Lobbyeinfluss: Lebensmittelindustrie kocht in Kitas mit
Stolz präsentierte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner Leitlinien für die Kita-Ernährung. Doch am Menü für die Kleinen hat die Lebensmittel-Wirtschaft kräftig mitgekocht, wie ein internes Schreiben ihres Spitzenverbandes BLL zeigt: Die Lobbyisten sorgten dafür, dass Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und Süßstoffe weiter auf dem Speiseplan stehen.
"Gespräche auf nahezu allen Ebenen" will der Spitzenverband der deutschen Ernährungsindustrie (BLL) geführt haben, heißt es in einem internen Rundschreiben. Der Lobby-Verband brüstet sich damit, dass er bei den Qualitätsstandards, die das Aigner-Ministerium bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Auftrag gegeben hatte, im Vergleich zu ursprünglichen Entwürfen "zahlreiche Inhalte richtigstellen beziehungsweise verbessern" konnte.
"Ideologische Verbotsaussagen" seien verhindert worden, heißt es in dem Verbandspapier. So sei es gelungen, dass "die nicht zu rechtfertigende Ausgrenzung von Schmelzkäse/Schmelzkäse- zubereitungen, Mayonnaise sowie von Geschmacksverstärkern, künstlichen Aromen und Süßstoffen/Zuckeralkoholen wieder gestrichen“ wurde. Restlos zufrieden zeigt man sich gleichwohl nicht: Trotz massiver Einwände, beklagt der BLL, habe er die DGE-Forderung "keine Süßigkeiten in die Brotbox" nicht verhindern können.
2,6 Millionen Kinder essen täglich in Kindertagesstätten
Die "Qualitätsstandards für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder" ist eine 40-seitige Broschüre, die ausführliche Empfehlungen für die Ernährung von ein- bis sechsjährigen Kindern gibt. Der Markt der Verpflegung von Kindertagesstätten gilt als Wachstumssegment. 2,6 Millionen Kinder sollen in Deutschland im Jahr 2006 in Kindertagesstätten mit Essen versorgt worden sein. Etwa 25.000 größere Kindertagesstätten und Kindergärten gibt es bundesweit, zusätzlich noch eine Vielzahl kleinerer Einrichtungen in privater Trägerschaft. Manche größere Kindergärten verfügen über eine eigene Küche, in der für die Kinder gekocht wird. Auf der Anbieterseite übernehmen entweder spezialisierte Caterer die komplette Versorgung, sei es mit vorgefertigten Komponenten oder gleich mit fertigen Menüs – oder die Einrichtungen bereiten die Menüs aus mehr oder weniger frischen Zutaten selber zu.
Kinder gewöhnen sich an "Industrie-Geschmack"
Bundesernährungsministerin Aigner schreibt in ihrem Geleitwort zu den "Qualitätsstandards": "In der Kindheit erlerntes richtiges Ernährungs- und Bewegungsverhalten trägt zu einem guten Gesundheitszustand im ganzen künftigen Leben bei.“ Was "richtig“ ist, hat nun offenbar der BLL mitentschieden – der Verband von Nestlé, Unilever, Kraft & Co., deren Gastro-Sparten entsprechende Produktportfolios aufweisen. Weil hochwertige Rohstoffe der entscheidende Kostenfaktor sind, werden Convenience-Produkte mit Hilfe künstlicher Aromen und Geschmacksverstärker aufgehübschten billigen Rohstoffen hergestellt. Als Nebeneffekt wird so sichergestellt, dass die Geschmacksknospen der Kleinsten an den Industriegeschmack gewöhnt werden. Dass Convenience-Produkte auch ohne solche Zusätze in der Gemeinschaftsverpflegung von Kleinkindern zur Verfügung stehen, beweisen nicht nur zahlreiche Anbieter von Bio-Kindergartenkost. Auch einige konventionelle Anbieter wie die Firma Apetito verzichten auf die umstrittenen Zusätze.