Zucker: Krasse Falschaussagen von Ernährungsminister Schmidt
Wenn es um das Thema Zucker geht, nimmt es Bundesernährungsminister Christian Schmidt mit den Fakten offensichtlich nicht so genau. foodwatch hat die Aussagen des CSU-Politikers auf ihren Wahrheitsgehalt gecheckt und ist dabei auf eine Reihe von Falschaussagen gestoßen, mit denen der Minister versucht, die Gefahren durch Zucker kleinzureden und die bisherigen Erfahrungen von Limo-Steuern schlecht zu machen.
Folgende Aussagen sind schlichtweg falsch:
1. Falsch ist: Der Mensch braucht Zucker als Lebensmittel
Das Ministerium erweckt den Eindruck, als gäbe es einen Bedarf an Zucker – so Minister Christian Schmidt („Es ist doch ein Unterschied, ob ich Fett oder Zucker habe, das jeder Mensch braucht“) oder der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser („Bei Zucker handelt es sich um ein Lebensmittel, was Sie brauchen“).
Richtig ist: Es gibt keinen Bedarf, Zucker (d.h. Mono- und Disaccharide) als Lebensmittel aufzunehmen. Das menschliche Gehirn benötigt zwar etwa 130 Gramm Glucose (Traubenzucker) am Tag, der Körper ist jedoch in der Lage, diese Glucose aus Polysacchariden (Stärke) selbst aufzuspalten.
2. Falsch ist: Deutschland hat die Erfahrung gemacht, dass eine Zuckersteuer nichts bringt
Als Argument gegen eine Herstellerabgabe für Süßgetränke wird neuerdings jene Zuckersteuer bemüht, die, noch aus preußischer Zeit stammend, in Deutschland 1993 abgeschafft wurde. Minister Christian Schmidt verwendete dieses „Argument“ in Medienauftritten („Bei Steuern können wir auf einen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Bis 1993 hatten wir in Deutschland eine Zuckersteuer und es hat sich nichts geändert.“; „Es hat in Deutschland eine Zuckersteuer gegeben. (…) Bis zum Jahre 1993, da wurde sie abgeschafft. Es ist im Jahre 1993 kein Knick nach oben oder unten festzustellen gewesen").
Richtig ist: Die damalige Zuckersteuer hatte überhaupt keine gesundheitspolitische Zielsetzung. Es handelte sich um eine Bagatellsteuer mit einem sehr geringen Aufkommen. Umgerechnet betrug sie für einen Liter Coca-Cola classic weniger als einen Pfennig – dass eine so geringe Besteuerung keine Lenkungswirkung auf das Einkaufsverhalten entfaltet, versteht sich von selbst. Ebenso, dass dies kaum ein ernstgemeintes Argument gegen eine spürbare Sonderabgabe für besonders zuckerhaltige Getränke sein kann, wie sie heute unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), zahlreichen medizinischen Fachgesellschaften und auch foodwatch gefordert wird.
3. Falsch ist: Steuern in anderen Ländern haben nicht die gewünschte Lenkungswirkung
„Strafsteuern auf Lebensmittel“ sind für Christian Schmidt „der falsche Weg“ – weil sie keinen gesundheitspolitischen Erfolg brächten, wie der Minister behauptet („Erfahrungen in anderen EU-Ländern zeigen, dass dies in aller Regel nicht die gewünschte Lenkungswirkung hat“).
Richtig ist: Erfahrungen aus anderen Ländern belegen die Lenkungswirkung. In Mexiko, Frankreich oder in der US-amerikanischen Stadt Berkeley ging der Zuckergetränke-Konsum nach Einführung einer Sondersteuer bzw. -abgabe auf besonders zuckerreiche Getränke zurück. Die WHO hält es für wissenschaftlich evident, dass eine Sonderabgabe in Höhe von 20 Prozent des Verkaufspreises den Konsum der Produkte um etwa 20 Prozent reduziert, was der Entstehung von Adipositas und Diabetes vorbeuge.
4. Falsch ist: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen Verbote und Gesetze
Unter Berufung auf eine Umfrage für seinen „Ernährungsreport 2016“ behauptete das Schmidt-Ministerium, dass eine Mehrheit der Bevölkerung „Zwangsmaßnahmen“ ablehne und dass sie „zwar staatliche Maßnahmen für besonders geeignet hält, um einer gesunden Ernährung den Weg zu ebnen, aber nicht in Form von Verboten und Gesetzen.“
Richtig ist: Repräsentativen Umfragen zufolge befürwortet eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Verbot der an Kinder gerichteten Werbung für Junkfood und auch eine zweckgebundene Hersteller-Abgabe für Limonaden. Man muss sie nur danach fragen. Das Ministerium hat dies für den „Ernährungsreport“ offenbar gar nicht ernsthaft wissen wollen: Gefragt wurde nach der Akzeptanz verschiedener potenzieller Maßnahmen – ausgerechnet eine derzeit viel diskutierte „Zwangsmaßnahme“ fehlte jedoch: die Beschränkung von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel. Für sie gibt es eine Dreiviertel-Mehrheit in der Bevölkerung. Nach der Akzeptanz steuerpolitischer Maßnahmen ließ das Ministerium zwar fragen, jedoch nur in suggestiver Form (wörtlich: „Besteuerung ungesunder Lebensmittel, z.B. besonders fett- oder zuckerreicher Lebensmittel, sodass diese für den Verbraucher deutlich teurer werden“). Bei dieser Fragestellung weggelassen wird die Möglichkeit, dass im Gegenzug gesunde Lebensmittel steuerlich besser gestellt werden könnten, sodass es insgesamt nicht zu einer Verteuerung von Lebensmitteln kommen müsste.
„Es ist auffällig, wie viele Aussagen aus der Spitze des Ministeriums die Gefahren durch Zucker kleinreden und die bisherigen Erfahrungen mit Limo-Steuern schlecht machen. Gerade dann, wenn die Wichtigkeit staatlicher Regulierungsmaßnahmen offensichtlich wird, nimmt es Herr Schmidt mit den Fakten nicht so genau.“
In der Sendung „Frontal 21“ an diesem Dienstag (21 Uhr) fordert der CDU-Gesundheitspolitiker Dietrich Monstadt die Einführung einer Zuckersteuer. In der Vergangenheit hatten sich bereits mehrere Politiker der Regierungsfraktionen in diesem Sinne geäußert. foodwatch forderte Bundesminister Christian Schmidt deshalb auf, sich nunmehr ernsthaft damit zu befassen, statt zu versuchen, das Thema auf Basis falscher Fakten vom Tisch zu wischen.
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Hier noch einmal alle wichtigen Links zum Nachschlagen:
- zu Punkt 1.:
- Zitat Christian Schmidt: ARD-Sendung „Hart aber fair“, 29. August 2016
- Zitat Peter Bleser: BR2-„Tagesgespräch“, 25. August 2016
- Körper „macht“ sich seinen Zucker selbst: siehe z.B. European Food Information Council, DIE GRUNDLAGEN, Kohlenhydrate, 07/2012.
- zu Punkt 2.:
- 1. Zitat Christian Schmidt: http://www.bmel.de/SharedDocs/Interviews/2016/_2016-09-07-SC-Nordkurier.html
- 2. Zitat Christian Schmidt: ARD-Sendung „Hart aber fair“, 29. August 2016
- Bundesfinanzministerium zu Zielsetzung und Details der Zuckersteuer bis 1993, S. 164
- Lt. Bundesfinanzministerium betrug das Aufkommen der deutschen Zuckersteuer umgerechnet lediglich 92 Millionen Euro im Jahr (http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Weitere_Informationen/zusammenstellung-der-steuerrechtsaenderungen-seit-1964-anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=5, S. 71). Betrachtet man den damaligen Zuckerverbrauch von etwa 2.750.000 Tonnen pro Jahr (1990/1991) (Quelle: http://www.bmel-statistik.de//fileadmin/user_upload/010_Jahrbuch/Stat_Jahrbuch_2001.pdf, S. 193), machte das gerade mal 7 Pfennig (bzw. 3,3 Eurocent) Steuer je Kilogramm Zucker (Gesamtaufkommen in Euro / Zuckerverbrauch in kg = Steueraufkommen je kg). Ein Liter Coca-Cola classic enthält heute 106 Gramm Zucker, darauf entfielen also statistisch gesehen weniger als 1 Pfennig Zuckersteuer.
- zu Punkt 3.:
- Zitat Christian Schmidt: dpa-Meldung „Zusammenfassung 1600 (…) Sehr süße Getränke - Foodwatch will Zucker-Abgabe für Hersteller“ vom 24. August 2016
- WHO zu den Effekten von Sonderabgaben
- Studie zur Wirkung der Zuckersteuer in Mexiko
- Bewertung der Zuckersteuer durch das mexikanische Gesundheitsministerium
- Analyse der WHO (Europa) zur Lenkungswirkung von Lebensmittelsteuern in Dänemark, Finnland, Ungarn und Frankreich
- Bewertung der Lebensmittelsteuer in Ungarn durch die WHO
- zu Punkt 4.:
- BMEL im Internet zu den Ergebnissen des Ernährungsreports: www.tinyurl.com/bmel-text
- BMEL-Ernährungsrepiort 2016, S. 29
- Emnid-Umfrage im Auftrag von foodwatch: „Drei Viertel der Bürger für Werbebeschränkung bei Kinderlebensmitteln“
- Infratest-Dimap-Umfrage im Auftrag von foodwatch: Den Vorschlag, dass die Hersteller besonders zuckerreicher Getränke Abgaben zahlen sollen und mit den Einnahmen die Förderung gesunder Kinderernährung finanziert wird, halten insgesamt 54 Prozent der Befragten für „sehr geeignet“ oder „geeignet“, um eine gesunde Ernährung von Kindern zu fördern“ – insgesamt 44 Prozent halten dies für „weniger“ oder „gar nicht geeignet“