Staatliche Labore finden Mineralöl in Babymilch-Pulver
foodwatch: Julia Klöckner muss Produkte von Nestlé, Rossmann, Novalac und Humana vom Markt nehmen lassen
Säuglingsmilch-Produkte von Nestlé, Rossmann, Novalac und Humana waren bei amtlichen Untersuchungen mit gesundheitsgefährdenden Mineralölen verunreinigt. Das belegen Laboranalysen der Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter (CVUA) Münster und Stuttgart, die die Verbraucherorganisation foodwatch am Donnerstag veröffentlicht hat. 14 der in Münster untersuchten Proben enthielten dabei sogar die besonders gefährlichen aromatischen Mineralöle (MOAH), die nach Einschätzung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA im Verdacht stehen, Krebs auszulösen und das Erbgut zu schädigen. Nach einem von foodwatch im Oktober 2019 publizierten Labortest, der gesundheitsgefährdende Mineralölverunreinigungen bei Produkten von Nestlé und Novalac nachgewiesen hatte, belegen damit auch staatliche Untersuchungen eine Belastung von Babymilchen. Die amtlichen Befunde zeigen zudem, dass auch Produkte weiterer Hersteller betroffen sind.
foodwatch forderte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf, die mit MOAH belasteten Produkte umgehend vom Markt nehmen zu lassen und sicherzustellen, dass nur noch unbelastete Säuglingsmilch in den Handel gelangt. Frau Klöckner hatte im vergangenen Jahr in Reaktion auf den foodwatch-Test in einer Pressemitteilung erklärt: „Wenn sich herausstellt, dass Baby- oder Säuglingsmilch der Gesundheit unserer Kleinsten schaden könnte, darf sie nicht im Supermarkt landen.“ Diese Bestätigung liegt nun vor. „Frau Klöckner darf die Untersuchungsergebnisse nicht länger ignorieren, sondern muss im Einklang mit dem europäischen Vorsorgeprinzip endlich dafür sorgen, dass mineralölbelastete Babymilch sofort aus dem Handel geräumt wird und keine weiteren belasteten Produkte in den Handel gelangen“, erklärte foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.
Das CVUA Münster wies in allen 50 untersuchten Proben gesättigte Mineralöle (MOSH) nach und fand zudem aromatische Mineralöle (MOAH) in 14 der 50 Proben. Das Labor in Stuttgart fand in 17 Proben keine MOAH-Verunreinigungen, wies jedoch in 12 Proben MOSH nach. Insgesamt waren bei den beiden erst jetzt bekannt gewordenen staatlichen Untersuchungen
92 Prozent der Proben mit MOSH und 21 Prozent der Proben mit MOAH belastet. Aufgrund ihrer Gefährlichkeit sollen MOAH in Lebensmitteln auch nicht in geringsten Spuren vorkommen. MOSH sollen nach wissenschaftlicher Einschätzung zumindest weitestgehend vermieden werden: Sie reichern sich in Körpergeweben und Organen an, ihre genauen Auswirkungen sind wissenschaftlich noch unklar.
Die durch das CVUA Münster identifizierten aromatischen Mineralöle (MOAH) wurden in sechs Nestlé-Produkten („BEBA Pro HA 2“, „BEBA Supreme Pre, von Geburt an“, „BEBA Optipro 2“, „BEBA Optipro 1“, „BEBA Pro HA 1, von Geburt an“ und „BEBA Pro HA Pre“), jeweils zwei Produkten des Herstellers Novalac („Säuglingsmilchnahrung PRE 400g“ und „BK, Blähungen und Koliken“) und Humana („SL Spezialnahrung bei Kuhmilchunverträglichkeit“ und „Anfangsmilch 1 von Geburt an“) sowie in einem Produkt der Rossmann-Eigenmarke Babydream („Kinderdrink ab 1 Jahr“) nachgewiesen. Die analytische Bestimmungsgrenze bei dem Verfahren des CVUA Münster betrug 0,5 mg/kg MOAH (C10-C50).
foodwatch liegen keine Informationen darüber vor, ob sich die untersuchten Produktchargen noch im Handel befinden. Auch ist kein Nachweis der Hersteller bekannt, dass ihre mit Mineralöl verunreinigten Produkte mittlerweile etwa infolge von veränderten Produktionsabläufen oder Rohstoffquellen garantiert unbelastet sind. Die Laborbefunde belegen jedoch nach Einschätzung der Verbraucherorganisation, dass die betroffenen Hersteller mit ihren Produktionsabläufen die Unbedenklichkeit ihrer Babyprodukte nicht garantieren konnten.
Während foodwatch die amtlichen Untersuchungsergebnisse erst durch ein langwieriges formales Antragsverfahren erhielt, waren dem Klöckner-Ministerium bereits Anfang Dezember erste Ergebnisse staatlicher Analysen von Babymilch bekannt. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Amira Mohamed Ali vom 10. Dezember 2019 hervor. Doch weder das Ministerium noch andere Behörden machten öffentlich, in welchen Babyprodukten bei den amtlichen Tests die gesundheitsgefährdenden Substanzen nachgewiesen wurden. Stattdessen betonte das Klöckner-Ministerium in dem Antwortschreiben, dass Nestlé Deutschland bei „Eigenkontrolluntersuchungen“ keine aromatischen Mineralöle finden konnte.
„Julia Klöckner verschwieg konkrete amtliche Untersuchungsergebnisse und unterließ eine Warnung an Eltern vor gesundheitsgefährdenden Babyprodukten. Stattdessen verlautbarte ihr Ministerium die angeblich unbedenklichen Eigenkontrollergebnisse von Nestlé“, kritisierte Martin Rücker. „Dass die Bundesregierung die Geschäftsinteressen von Nestlé & Co. über den Gesundheitsschutz von Säuglingen stellt, ist ein Skandal.“
Als Maßgabe für die Analytik von Mineralölen in den unterschiedlichsten Lebensmitteln dient die Guideline (aus 2019) des „Joint Research Centre (JRC)“ der EU, die den aktuellen Stand der Labortechnik beschreibt. Durch die Veröffentlichung von foodwatch im Oktober 2019, welche auf den Vorgaben der JRC Guideline beruhte, wurden signifikante Unterschiede bei den von Überwachung und Industrie verwendeten analytischen Verfahren offengelegt. Mineralölverunreinigungen konnten demnach in einigen Fällen nicht oder nur mit höheren Bestimmungsgrenzen bestimmt werden. Babymilchpulver gehören zu den am schwierigsten zu analysierenden Lebensmitteln. foodwatch führt die teils unterschiedlichen Ergebnisse der MOAH-Bestimmung in den CVUAs Münster und Stuttgart auf die genannten Faktoren sowie mögliche Chargenunterschiede bei namensgleichen Produkten zurück.
foodwatch hatte im Oktober 2019 Mineralöl-Verunreinigungen in den Nestlé-Produkten „Beba Optipro Pre, 800g, von Geburt an“ und „Beba Optipro 1, 800g, von Geburt an“ sowie in der Novalac „Säuglingsmilchnahrung Pre, 400g“ publik gemacht. Dies hatte europaweit zu staatlichen Untersuchungen von Babymilch-Produkten geführt, deren Ergebnisse die Behörden jedoch nicht öffentlich bekannt machten.
Mineralöle gehören zu den mengenmäßig größten Verunreinigungen im menschlichen Körper. Neben Maschinen und Verfahren bei Ernte und Verarbeitung kann auch die Verpackung der Grund für eine Mineralöl-Verunreinigung sein. foodwatch fordert, dass EU-weit sichere Grenzwerte für Mineralöle festgelegt werden. Für aromatische Mineralöle müsse Nulltoleranz gelten – das heißt, dass unter Verwendung der zurzeit technisch erreichbaren Bestimmungsgrenze von 0,5 mg/kg MOAH-Gesamt kein Nachweis im Lebensmittel erfolgen darf. Die Bundesregierung hat es bislang versäumt, ihren Worten Taten folgen zu lassen – trotz mehrfacher Beteuerungen gibt es bislang keine Grenzwertregelungen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Links
- Mineralöl-Testergebnisse des CVUA Münsterland-Emscher-Lippe
- Mineralöl-Testergebnisse CVUA Stuttgart
- RASFF-Meldung mit Aufforderung der EU-Kommission an staatliche Stellen, Babymilch-Produkte auf Mineralöle zu testen
- foodwatch-Labortest vom 24. Oktober 2019
- Klöckner-Zitat vom 24. Oktober 2019
- Antwort des BMEL auf schriftliche Anfrage von MdB Mohamed Ali
- EU-Lebensmittelbehörde EFSA zu Mineralölen (englisch)
- JRC guidelines für den Nachweis von Mineralölen in Lebensmitteln
- FAQ von foodwatch zu Mineralölen in Babymilch