Der Behördenskandal des Jahres
Hallo und guten Tag,
mindestens drei Tote und Dutzende Erkrankte: Das ist die schockierende Folge des Lebensmittelskandals, der mit der Firma Wilke in Verbindung gebracht wird. Sie erinnern sich: In der hessischen Wurstfabrik hatten die Behörden eklatante Verstöße gegen Hygieneregeln festgestellt. Nachdem die Opfer längst erkrankt waren, notierten die Behörden Dinge wie „Verwesungsgeruch“, „Mäusekot“ und „Fliegenbefall“, von verschimmelten Decken tropfte Wasser in offene Fleischwannen. Es herrschten „ideale Bedingungen“ für die gefährlichen Listerien-Keime.
Erst später kam heraus: Die Firma Wilke wurde viel zu selten kontrolliert. Seltener, als vorgegeben – und selbst dann noch, als die Behörden bereits von „Auffälligkeiten“ wussten. Auch das hat zu dem Skandal beigetragen. Wenn Sie auch finden, dass ein solches Behördenversagen absolut inakzeptabel ist, dann helfen Sie uns dabei zu verhindern, dass so etwas wieder passiert – werden Sie Förderin/Förderer von foodwatch.
Doch wer solch mangelhafte Kontrolle für einen Einzelfall hält und annimmt, dass sonst die amtlichen Lebensmittelkontrolleure regelmäßig in den Unternehmen nach dem Rechten sehen, der irrt sich leider gewaltig! Manches Restaurant ist seit vielen Jahren nie kontrolliert worden. Die Ämter sind so dramatisch unterbesetzt, dass sie jede dritte (!) Kontrolle ausfallen lassen, die sie nach einer bundesweiten Vorschrift eigentlich durchführen müssten. Jede dritte Kontrolle entfällt, das heißt im Jahr finden in Deutschland eine Viertelmillion vorgeschriebener Kontrollbesuche NICHT statt, weil an den Stellen für Kontrollpersonal gespart wurde. Diese Tatsache ist für sich genommen ein Skandal. Noch viel schlimmer finden wir aber, dass von diesem ganzen Ausmaß niemand etwas wüsste, wenn wir, also foodwatch, diesen Missstand nicht ans Tageslicht gebracht hätten! Sieben Monate lang haben wir diese Daten bei den Behörden recherchiert, zum Teil gegen heftige Widerstände: Wir haben sage und schreibe 400 (!) Anfragen und ungezählte Nachfragen gestellt, wir haben Widerspruchsverfahren und Aufsichtsbeschwerden eingeleitet und sind in einem Fall sogar vor Gericht gezogen, weil die Ämter Auskünfte verweigerten.
Bitte unterstützen Sie uns dabei, solche wichtigen Recherchen machen zu können und Auskunftsrechte auch gegen Widerstände durchzusetzen: Werden Sie jetzt Förderer/Förderin von foodwatch!
Die bittere Wahrheit ist: Fast 90 Prozent der für die Lebensmittelkontrollen zuständigen Verbraucherschutzämter in Deutschland schafft es nicht, die vorgeschriebene Zahl an Betriebskontrollen einzuhalten. 90 Prozent! Da drängen sich viele Fragen – an die für das Spardiktat verantwortlichen Landräte, Bürgermeisterinnen und Minister – auf. Wieso sparen sie ausgerechnet bei der Lebensmittelsicherheit so massiv am Personal? Warum haben sie die nötigen Stellen nicht geschaffen? Wie rechtfertigen sie es, dass ihre Verbraucherschutzbehörden selbst gegen Verbraucherschutzvorgaben verstoßen, nämlich gegen die vorgegebene Anzahl von Betriebskontrollen? Und wann gedenken sie, etwas daran zu ändern?
Auf diese naheliegenden Fragen erwarten wir Antworten. Und mit Antworten meinen wir nachvollziehbare Erklärungen und keine Ausreden. Denn davon haben wir in den vergangenen Wochen bereits genug gehört: „Wir sind gut aufgestellt“, behaupteten gleich mehrere Landesminister. „Die Menschen müssen sich keine Sorgen machen, Lebensmittel sind sicher“, hieß es pauschal aus manchem Landkreis. Oder sinngemäß auch: „Dort, wo es ein Risiko gibt, kontrollieren wir immer noch ganz oft.“ Das haben wir im Fall Wilke gesehen, liebe foodwatch-Interessierte! Kaum eine Politikerin, ein Politiker, die ernsthaft darauf eingehen, dass sich fast flächendeckend Verbraucherschutzbehörden nicht an ihre Vorgaben halten. Die eingestehen, dass es hier ein Problem gibt – und die erklären, wie sie es lösen werden. Was sie – die Verantwortlichen für all die fehlenden Stellen – uns stattdessen unterbreiten, sind nichts anderes als die Aneinanderreihungen leerer Worthülsen.
Abstreiten, verschleiern und beiseiteschieben: Genau dieses Drumherumgerede und dieses Verweigern von Antworten ist es doch, weshalb sich so viele Menschen von „der Politik“ abwenden. Es ist auch keine Frage der Partei, denn über die Parteigrenzen hinweg redeten die Vertreter von Landesregierungen oder Kommunen um den heißen Brei herum – und auch die Oppositionsvertreter haben die Missstände in den Lebensmittelämtern bisher nicht zum Thema gemacht. Ich halte das für den besten Beleg dafür, dass es starke Verbraucherorganisationen braucht, um solch wichtige Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Machen Sie foodwatch stark, indem Sie uns als Fördermitglied unterstützen: Treten Sie jetzt bei!
Wenn Sie denken, schlimmer geht’s nimmer, dann haben Sie die Rechnung ohne Julia Klöckner gemacht. Denn unsere Bundesernährungsministerin hat einen Entwurf für eine neue bundesweite Vorschrift erarbeiten lassen, mit dem alle Probleme von Personalmangel und Unterbesetzung ganz einfach gelöst werden. Wie? Das Klöckner-Ministerium schlägt vor, einfach weniger Betriebskontrollen vorzuschreiben! Ja, Sie haben richtig gelesen: Die Zahl der vorgegebenen Kontrollen soll sinken. Risikobetriebe, für die bisher tägliche Kontrollen vorgesehen sind, sollen nur noch wöchentlich verbindlich kontrolliert werden. Und selbst Wurstfabrikant Wilke würde planmäßig nicht mehr 12 Mal im Jahr (wie bisher) kontrolliert, sondern nur noch 4 bis 8 Mal. Wenn Sie mit uns der Meinung sind, dass solche irren Pläne gestoppt werden müssen, dann schließen Sie sich uns jetzt an als Förderin/Förderer von foodwatch.
Wir werden im neuen Jahr alles daransetzen, eine Schwächung der Verbraucherschutzkontrollen zu verhindern. Wir werden weiter hartnäckig recherchieren und Missstände ans Tageslicht bringen, auch wenn wir dabei gegen massive Widerstände kämpfen müssen. Und wir werden Kampagnen für ein besseres statt ein schlechteres Kontrollsystem machen – denn unser Anspruch ist, dass sich Fälle wie Wilke nicht mehr wiederholen können! Seien Sie dabei: werden Sie jetzt Förderin/Förderer von foodwatch!
Vielen Dank und herzliche Grüße
Ihr Martin Rücker, foodwatch