foodwatch zu Tierhaltung und Lebensmittelpreisen: „Ministerin Klöckner lenkt von der eigenen Verantwortung ab und schiebt Verbrauchern die Schuld in die Schuhe“
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hat von Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert, für eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion mehr Geld auszugeben. Dazu erklärt Martin Rücker, Geschäftsführer von der Verbraucherorganisation foodwatch:
„Wenn Frau Klöckner ihr Amt ernst nimmt, sollte sie ihre pauschalen Attacken auf die Verbraucherinnen und Verbraucher unverzüglich einstellen. Es ist nicht akzeptabel, wie die für den gesundheitlichen Verbraucherschutz zuständige Ministerin mit unsäglichem Verbraucherbashing über die Grüne Woche irrlichtert. Mit dem Verweis darauf, dass die Menschen in Deutschland nur einen vergleichsweise geringen Anteil ihres Einkommens für Essen ausgeben, eine Debatte über die angeblich fehlende Wertschätzung für Lebensmittel anzuzetteln, ist unanständig und unseriös. Jeder, der auch nur ein bisschen ökonomischen Verstand besitzt, weiß, dass die angeführten Zahlen nicht als Indikator für die Wertschätzung taugen. Richtig ist: In Deutschland müssen die Menschen deshalb einen relativ geringen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, weil der Wohlstand signifikant größer und die Lebensmittelpreise signifikant niedriger sind als in europäischen Vergleichsländern. Die Pro-Kopf-Ausgaben für Essen sind kein Ausdruck einer notorischen Schnäppchen-Mentalität, sondern Ergebnis unseres Wohlstandes und des unerbittlichen Preiskampfs im Einzelhandel. Wenn in ärmeren Ländern Menschen 80 Prozent oder mehr ihres verfügbaren Einkommens für Essen ausgeben, so ist dies schließlich auch eine schiere wirtschaftliche Notwendigkeit und kein Ausdruck einer völlig anderen Einstellung.
Umgekehrt gilt: Wenn die Menschen in Deutschland beim Einkauf zu teureren Produkten greifen, garantiert ihnen dies gerade keine höhere Qualität. Ein solcher Aufruf an die Verbraucher ist wohlfeil. Dass den Menschen nach wie klare Angaben zur Überprüfung der Qualität von Lebensmitteln vorenthalten werden und dass ihnen weiterhin ganz legal massenhaft irreführende Werbeaussagen mit völlig falschen Qualitätsversprechen zugemutet werden, ist ein politisches Versäumnis. Mit ihren wohlfeilen Appellen an die Verbraucher kann die Ministerin nicht vom eigenen Versäumnis ablenken. Wie die Tiere gehalten wurden, wo die Rohstoffe herkamen oder mit welchen Umwelt- und Klimafolgen ein Lebensmittel produziert wurde, kann ich vom Preis im Supermarkt nicht ableiten. Wenn Frau Klöckner – orchestriert mit dem Bauernverband – den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Schuld in die Schuhe schieben will für Tierleid, Höfesterben und Umweltfolgen der modernen Landwirtschaft, ist das ein ebenso perfides wie leicht durchschaubares Manöver. Eine echte Wende in der Landwirtschaft, die Tieren, Verbrauchern und Landwirten zugutekommt, erreichen wir nicht mit Verbraucherbashing, sondern mit einer Abkehr von der Klientelpolitik für die Agrar- und Lebensmittelindustrie – hier ist die Landwirtschaftsministerin gefragt.“
Zum Hintergrund
- Nach Angaben der GfK hatten die Menschen in Deutschland im Jahr 2019 eine Kaufkraft von 23.779 Euro pro Kopf – signifikant mehr als etwa in Frankreich (20.306 Euro) oder Italien (17.799 Euro), die vielen als Sehnsuchtsländer der Esskultur gelten. Quelle: GfK
- Das Preisniveau bei Lebensmitteln und Getränken liegt in Deutschland dagegen signifikant unter den genannten Ländern. In einem EU-Index für das Preisniveau im Jahr 2018 (EU-28 = Indexwert 100) liegt Deutschland nur knapp über dem Mittel (Indexwert 102), Italien (111) und Frankreich (115) deutlich darüber. Quelle: Eurostat
- Damit ist es keine Frage der Haltung, sondern Ergebnis ökonimischer Voraussetzungen, dass die Menschen in Deutschland in 2018 "nur" einen Anteil von 10,8 Prozent an ihren Konsumausgaben für Nahrungsmittel und Getränke verwenden mussten, während die Werte in Frankreich (13,1 Prozent) und Italien (14,1 Prozent) darüber lagen. Quelle: Eurostat