Junkfood-Werbung an Kinder: Deutscher Werberat lässt Verstöße gegen Werbekodex zu
- Deutscher Werberat weigert sich, Influencer-Werbung an Kinder für Torte und Limo zu unterbinden
- Von foodwatch gemeldete Fälle allesamt abgelehnt: Werbung richte sich angeblich nicht an Kinder
- foodwatch: Selbstkontrollgremium schützt Geschäftsmodell der Junkfood-Industrie auf Kosten der Kindergesundheit
Das Selbstkontrollgremium der Werbeindustrie missachtet seine eigenen Standards zum Schutz von Kindern. Zu diesem Schluss kommt eine Recherche von foodwatch. Die Verbraucherorganisation hatte dem Deutschen Werberat mehrere besonders dreiste Fälle gemeldet, in denen Unternehmen wie Coca-Cola, McDonald’s und Coppenrath & Wiese ungesunde Lebensmittel über bekannte Internet-Stars an Kinder bewerben. Der Werberat lehnte alle Beschwerden ab. Die Werbung richte sich angeblich nicht an Kinder – daher müsse das Gremium nicht aktiv werden. foodwatch bezeichnet diese Darstellung als absurd, vor allem angesichts der sehr jungen Zielgruppe der Influencerinnen Viktoria und Sarina.
„Wenn Influencerinnen, die Malhefte, Bastelpapier und Schülerkalender verkaufen, nicht Kinder als Zielgruppe haben – wer dann? Der Werberat versucht, die eigene Untätigkeit durch fadenscheinige Argumente zu rechtfertigen und lässt Kindermarketing für Zuckerbomben und fettige Snacks in sozialen Medien einfach durchgehen. Das Selbstkontrollgremium schützt offenbar nicht die Kinder, sondern das Geschäftsmodell der Junkfood-Industrie“, erklärte Saskia Reinbeck von foodwatch. „Ernährungsministerin Julia Klöckner darf nicht länger auf die Selbstheilungskräfte der Werbeindustrie hoffen, sondern muss das an Kinder gerichtete Junkfood-Marketing gesetzlich verbieten.“
Insgesamt sechs der zwölf Beschwerden hatte foodwatch zu den Influencerinnen Viktoria und Sarina beim Werberat eingereicht: In ihren Videos werben die Österreicherinnen, die auf ihren Kanälen mehrere Millionen Fans haben, unter anderem für Produkte von McDonald’s, Spooning Cookie Dough und Coppenrath & Wiese. Der Werberat lehnte ein Einschreiten in allen Fällen ab, da die jungen Frauen nach ihrer Einschätzung keine Kinder adressierten: Sie begründeten ihr Urteil damit, dass die beiden Influencerinnen „25 Jahre alt“ seien, „als Singles dargestellt“ würden und „nicht in einem Familiengefüge“ lebten. „Hier wird nicht die Lebenswelt von Kindern unter 12 gezeigt, sondern ältere Personen angesprochen“, heißt es weiter.
foodwatch bezeichnete die Argumentation als absurd und verwies auf die deutlich jüngere Zielgruppe der Influencerinnen: Nicht nur Aufmachung und Themen der Kanäle seien auf Kinder ausgelegt, auch die Fanveranstaltungen würden von jungen Mädchen besucht, viele von ihnen unter 12 Jahren. Der Merchandise-Shop der Influencerinnen mit Pferdepuzzeln, Malen nach Zahlen und Schulsachen richte sich explizit an Kinder.
Im Kampf gegen Adipositas bei Kindern setzt Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf freiwillige Vereinbarungen mit der Lebensmittelindustrie und der Werbewirtschaft. Der Deutsche Werberat soll in diesem Kontext die an Kinder gerichtete Werbung freiwillig einschränken und die Einhaltung der selbst auferlegten Verhaltensregeln kontrollieren: Danach darf Werbung einer ausgewogenen, gesunden Ernährung „nicht entgegenwirken“. Zudem darf sie keine direkten Kaufappelle an Kinder enthalten. foodwatch hatte mit seinen Beschwerden beim Werberat überprüfen wollen, wie ernst das Gremium seine Verhaltensregeln nimmt. In einem der insgesamt zwölf gemeldeten Fälle erklärte sich der Werberat nicht zuständig. In einem anderen Fall hat das betroffene Unternehmen eine Passage aus dem Posting nach Aufforderung zur Stellungnahme gelöscht.
Kürzlich kündigte Ernährungsministerin Julia Klöckner an, dass der Deutsche Werberat seine Verhaltensregeln ab Juni dieses Jahres anpassen werde. So sollen sich unter anderem die Regeln für das Kindermarketing künftig auf Kinder bis 14 Jahren beziehen, statt wie bisher auf unter 12-Jährige. Saskia Reinbeck von foodwatch kritisierte: „Auch die künftigen Regeln ändern nichts am Kern des Problems: „Die Selbstkontrolle der Industrie ist nicht geeignet, um Kindermarketing für Junkfood zu verhindern – das zeigen auch Erfahrungen aus anderen Ländern.“
Fachorganisationen und Ärzteverbände fordern seit Jahren eine gesetzliche Beschränkung des Kindermarketings. Nur ausgewogene Lebensmittel sollten demnach an Kinder beworben werden dürfen. Freiwillige Selbstverpflichtungen sind nachweislich nicht geeignet den Junkfood-Konsum von Kindern zu senken. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Bundesernährungsministeriums zeigt: In Ländern mit gesetzlichen Beschränkungen des Kindermarketings ist der Konsum von Junkfood im Zeitraum von 2002 bis 2016 um 8,9 Prozent gesunken. In Länder mit freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft ist der Konsum im gleichen Zeitraum hingegen um 1,7 Prozent gestiegen.
Quellen und weiterführende Informationen:
- Beschwerden von foodwatch mit den konkreten Beispielen
- Begründung des Deutschen Werberats zu den Beschwerden von foodwatch
- Report: Junkfluencer – Wie McDonald‘s, Coca-Cola & Co. in sozialen Medien Kinder mit Junkfood ködern
- Viktoria und Sarina mit jungen Fans
- Online-Shop von Viktoria und Sarinas Torte „Spring in eine Pfütze“
- Video-Beispiele von Junkfluencer*innen
- Wirksamkeit von Selbstverpflichtungen: Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik des BMEL (2020), Tabelle 8-6 auf S. 550