Nachricht 05.11.2010

Ministerin täuscht Öffentlichkeit über eigene Umfrage

Das Bundesverbraucherministerium hat die Öffentlichkeit über Monate hinweg systematisch falsch über das Thema Nährwertkennzeichnung informiert. Auch Ministerin Ilse Aigner selbst stellte eine Studie aus dem eigenen Hause, die eindeutig für die Verwendung von Ampelfarben spricht, verzerrt dar und benutzte sie, um gegen die Ampel Stimmung zu machen. Damit nahm sie Einfluss auf den europäischen Gesetzgebungsprozess zur Nährwertkennzeichnung.

Die Lebensmittelindustrie möchte die Ampelkennzeichnung mit aller Kraft verhindern. Deshalb hat sie ein Gegen-Modell für die Nährwertkennzeichnung entwickelt: das so genannte "GDA"-System. Dabei werden die Kalorien sowie die Gehalte an Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren und Salz mit verwirrenden Zahlen- und Prozentwerten angegeben. Die Bundesverbraucherministerin weiß die Lebensmittelindustrie an ihrer Seite. Auch Ilse Aigner will das GDA-Modell, sie verwendet dafür nur einen anderen Namen. In ihrem Hause heißt es "1 plus 4"-Modell.

Umfrage des Ministeriums spricht für Ampelfarben

Mit vielen, oft fragwürdigen, Argumenten hat die Ministerin gegen die Ampelkennzeichnung argumentiert – und sie war sich nicht zu schade, eine Umfrage aus ihrem eigenen Ministerium in ihr Gegenteil zu verkehren. Im Klartext: Ilse Aigner benutzte eine Pro-Ampel-Umfrage, um gegen die Ampel Stimmung zu machen und damit die Öffentlichkeit und den europäischen Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen.

Systematische Falschdarstellung über Monate hinweg

Über Monate hinweg stellten Vertreter des Bundesverbraucherministeriums mehrfach die Behauptung auf, dass eine vom Ministerium selbst im Frühjahr 2008 beauftragte Umfrage eine große Zustimmung zum „1 plus 4“-Modell ergeben habe. So antwortete beispielsweise Frau Aigner im Dezember 2009 auf die Frage eines Bürgers nach der Ampelkennzeichnung im Portal abgeordnetenwatch.de: „Das '1 plus 4'-Modell wird jedenfalls durch Verbraucherinnen und Verbraucher positiv beurteilt. Dies ergab eine im März 2008 im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durchgeführte repräsentative Meinungsumfrage. Über 80 Prozent der Befragten beurteilten die Darstellung nach diesem Modell als informativ, verständlich und übersichtlich.“ Sinngleiche Aussagen machte auch Staatssekretärin Julia Klöckner.

80 Prozent der Befragten finden Grafik mit Ampelfarben informativ

Der Haken dabei: In der betreffenden Umfrage, von Infratest Dimap im Auftrag des Ministeriums durchgeführt, wurde den Befragten gar nicht das „1 plus 4“-Modell, wie es die Ministerin fordert, gezeigt. Diese äußerten stattdessen ihre Meinung zu einer Grafik, in der die Nährwertangaben mit den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün hinterlegt waren. Mehr als 80 Prozent fanden genau diese Grafik informativ, verständlich und übersichtlich – mit den Ampelfarben. Dies verschweigt Ilse Aigner bis heute und benutzt die Umfrage sogar als Argument gegen die Ampel.

Das "1 plus 4"-Modell, wie es Ministerin Ilse Aigner fordert (oben) – und wie es in der Umfrage des Ministeriums dargestellt wurde (unten, mit Ampelfarben). Quelle: BMELV (2)

foodwatch fordert öffentliche Richtigstellung

foodwatch hat Frau Aigner aufgefordert, ihre falschen Darstellungen öffentlich richtigzustellen. Eine Sprecherin der Ministerin war dazu auch auf mehrfache Nachfrage von foodwatch und von Spiegel Online nicht bereit.

Die Täuschung der Öffentlichkeit über die Umfrageergebnisse ist nicht das einzige Beispiel für eine verzerrende Informationspolitik des Bundesverbraucherministeriums beim Thema Nährwertangaben. So kritisiere Frau Aigner auch stets die angeblich fehlende Wissenschaftlichkeit der Ampelkennzeichnung. Doch zur einzigen umfassenden und nicht von der Lebensmittelindustrie finanzierten Studie über Ampel und „GDA“-Kennzeichnung in der Praxis, der Studie der britischen Lebensmittelbehörde FSA von Mai 2009, hat ihr Ministerium nie Stellung bezogen – bis heute.

Rückkehr zu den Portionsgrößen

Zuletzt hatte Ilse Aigner im Oktober 2010 einen Vorstoß für eine veränderte Darstellung des „1 plus 4“- bzw. „GDA“-Modells gemacht. Dabei setzt sie sich für die Angabe der Nährwertgehalte pro Portion ein – wie von der Industrie gefordert. Praxistests hatten jedoch gezeigt, dass die Bezugnahme auf unterschiedliche Portionen eines Lebensmittels den Vergleich zweier Produkte unmöglich macht. Das Europaparlament hatte daher für eine standardisierte Angabe der Nährwerte pro 100 Gramm bzw. 100 Milliliter gestimmt, wie auch bei der Ampel vorgesehen. Die deutsche Ministerin fällt nun sogar noch hinter diese Debatten im Europaparlament zurück und verkauft Portionsgrößen als Fortschritt für die Verbraucher, obwohl dies doch nur Klientelpolitik für die Ernährungsindustrie ist.