Adventskalender von Netto Marken-Discount laut Behörde mit riskanten Mineralölen belastet – Edeka-Tochter will Information der Öffentlichkeit durch bayerisches Landesamt vor Gericht verhindern – foodwatch veröffentlicht Produktnamen dennoch
Berlin, 16. Dezember 2015. Die Handelskette Netto Marken-Discount will die bayerische Lebensmittelbehörde auf juristischem Wege von der Weitergabe einer gesundheitsrelevanten Information abhalten. Wie die Verbraucherorganisation foodwatch erfuhr, ist die Edeka-Tochter vor Gericht gezogen um zu verhindern, dass der Name eines nach Behördenangaben mit potenziell krebserregenden Mineralölen belasteten Adventskalenders öffentlich genannt wird. Das Verfahren gegen das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) ist bereits in zweiter Instanz vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängig (Az 20 CS 15.2677). Das LGL hatte per Bescheid an diesem Montag angekündigt, Messergebnisse seiner Untersuchung von Adventskalendern am heutigen Mittwoch an foodwatch zu übermitteln und im Internet zu veröffentlichen. Dagegen geht Netto Marken-Discount vor. Das Verwaltungsgericht Regensburg hatte den Antrag binnen weniger Stunden zurückgewiesen (Az.: RO 5 S 15.2163), dagegen legte das Unternehmen Beschwerde ein.
Da die Verbraucherorganisation dem Verfahren beigeladen ist, hat sie jedoch die Schriftsätze der Netto-Anwälte per Fax erhalten – und damit auch Kenntnis von den relevanten Informationen. Sie macht sie daher unabhängig von einem endgültigen Gerichtsbeschluss ihrerseits öffentlich. Aus den Unterlagen geht hervor, dass nach den Dokumenten des LGL in folgendem Produkt riskante aromatische Mineralöle nachgewiesen wurden:
Adventskalender „Santa Claus In Town“, hergestellt für Netto Marken-Discount
„Netto Marken-Discount und sein Lieferant sind dafür verantwortlich, dass zahlreichen Kinder ein Gesundheitsrisiko beim Verzehr der Schokolade aus den Adventskalendern zugemutet wird. Es ist einfach nur widerlich, dass das Unternehmen jetzt auch noch versucht, eine Information der Öffentlichkeit vor Weihnachten zu verhindern“, erklärte foodwatch-Sprecher Martin Rücker. „Für uns ist es selbstverständlich, dass wir diese gesundheitsrelevanten Informationen öffentlich machen, nachdem wir sie auf Umwegen erhalten haben.“
Nach Angaben des LGL ergab die Messung eine Konzentration von 0,6 mg/kg aromatische Mineralöle (MOAH) in der Schokolade. Da MOAH nach Einschätzung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA als potenziell krebserregend und erbgutverändernd gelten, besteht ein Risiko bei jeder noch so geringen Spur, einen sicheren Schwellenwert gibt es nicht. Die Handelskette Real hatte erst kürzlich ein niedriger belastetes Markenprodukt aus dem Verkauf genommen.
Das LGL hatte eigenen Angaben zufolge im November elf Adventskalender analysiert. Über die Untersuchung hatte die Behörde am 1. Dezember auf ihrer Internetseite berichtet, ohne dabei Messdaten und ohne die Namen der getesteten bzw. belasteten Produkte zu nennen. Die Kalender blieben also nicht nur im Verkauf, den Verbraucherinnen und Verbrauchern wurde zudem vorenthalten, welche Kalender verunreinigt sind. Eine Anfrage von foodwatch auf Nennung der Namen ließen sowohl die Pressestelle des LGL als auch die des Verbraucherschutzministeriums zunächst unbeantwortet. Am Donnerstag der vergangenen Woche startete foodwatch daraufhin eine E-Mail-Aktion unter www.adventskalender.foodwatch.de, über die in kurzer Zeit mehr als 17.000 Menschen Ministerin Ulrike Scharf aufforderten, die Namen öffentlich zu machen. Schließlich stellte foodwatch zudem einen förmlichen Antrag unter Berufung auf das Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Das LGL gab dem Antrag statt und setzte in einem „Eilverfahren“ immerhin auch die für solche Fälle geltenden Auskunftsfristen von zwei Monaten außer Kraft, die zu einer Veröffentlichung der Angaben frühestens im Februar 2016 geführt hätten. Zunächst jedoch bat die Behörde, wie beim VIG üblich, die betroffenen Unternehmen um Stellungnahme, wodurch eine Information der Öffentlichkeit weitere Tage nach hinten geschoben wurde.
Netto Marken-Discount ist nach Kenntnis von foodwatch das einzige Unternehmen, dass auf juristischem Wege eine Veröffentlichung der Angaben zu verhindern sucht. foodwatch geht davon aus, dass das LGL noch am heutigen Mittwoch die Namen offenbar belasteten Adventskalender anderer Hersteller übermitteln wird.
Dem LGL und dem bayerischen Verbraucherschutzministerium warf die Verbraucherorganisation schwere Versäumnisse vor. „Bereits Ende November hätten die Behörden in Bayern den Verkauf der belasteten Kalender stoppen und die Öffentlichkeit informieren können“, kritisierte foodwatch-Sprecher Martin Rücker. „Das Lebensmittelrecht gibt den Behörden die Möglichkeit, bei Gesundheitsgefahren sofort zu handeln und sofort zu informieren – es verpflichtet sie aber nicht dazu. Der Schildbürgerstreich rund um die Adventskalender zeigt, dass sich dies dringend ändern muss.“ Erforderlich sei eine bundesgesetzliche Klarstellung, dass Informationen über Gesundheitsrisiken sofort aktiv von den Behörden verbreitet werden müssen.
Links
- E-Mail-Aktion für einen besseren Schutz vor Mineralöl in Lebensmitteln
- LGL Bayern zur Adventskalender-Untersuchung
- Förmlicher VIG-Antrag von foodwatch an das LGL (11.12.)
- foodwatch-Hintergrundpapier Mineral-Öl
- Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zu Mineralöl
- EFSA Scientific Opinion
- Forschungsprojekt des BMELV 2012