Mineralöle in Lebensmitteln: Industrie blockiert Gesundheitsschutz und hält zehntausende Messergebnisse zurück – nur Aldi Süd kündigt Zusammenarbeit mit EU-Behörde an
Berlin, 25. Juli 2017. Die Lebensmittelindustrie hält zehntausende gesundheitsrelevante Messdaten zu Mineralölen in Lebensmitteln unter Verschluss. Die EU-Kommission hatte bereits im Januar dieses Jahres Unternehmen aufgerufen, Testergebnisse zu Mineralölen in Lebensmitteln umgehend an die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu schicken. Dieser Aufforderung ist allerdings nach Auskunft der EFSA gegenüber der Verbraucherorganisation foodwatch europaweit bislang nur ein einziges Unternehmen nachgekommen. Um wen es sich konkret handelt, ist foodwatch nicht bekannt. Bei einer Branchenumfrage der Verbraucherorganisation erklärte lediglich Aldi Süd, der EFSA Daten schicken zu wollen.
Allein die deutsche Lebensmittelwirtschaft hat brancheninternen Quellen zufolge im Jahr 2016 zehntausende Mineralöl-Analysen durchgeführt. foodwatch hat eigene Testergebnisse an die EFSA geschickt und verlangte von den Unternehmen, der Aufforderung der EU-Kommission ebenfalls endlich nachzukommen.
„Die Blockadehaltung der deutschen Lebensmittelindustrie ist verantwortungslos. Statt die längst vorliegenden gesundheitsrelevanten Messerwerte endlich auf den Tisch zu legen, damit die EU die Belastungssituation erfassen und Grenzwerte für Mineralöle in Lebensmitteln festlegen kann, hat sich die Branche offensichtlich auf ein Hinhaltetaktik verständigt“, sagte Johannes Heeg von foodwatch. „Die Lebensmittelwirtschaft setzt 500 Millionen Europäerinnen und Europäer schamlos vermeidbaren Gesundheitsrisiken aus. Wir fordern die Unternehmen auf, alle Mineralöl-Messwerte umgehend den Behörden zu übermitteln.“
Die Gesundheitsgefahren durch Mineralölverunreinigungen in Lebensmitteln sind seit Jahren bekannt. Laut EFSA stehen „aromatische Mineralöle“ (MOAH) unter Verdacht, krebserregend und erbgutverändernd zu sein; die sogenannten gesättigten Mineralöle (MOSH) reichern sich in den Körperorganen an und können diese schädigen. Die EU-Kommission schloss sich im Januar 2017 dieser Bewertung an und forderte Lebensmittelunternehmen in ganz Europa auf, alle Messdaten aus dem Jahre 2016 „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ an die EFSA zu schicken. Doch nach sechs Monaten ist laut EFSA in ganz Europa nur ein einziges Unternehmen dieser Aufforderung nachgekommen. Der führende Lobbyverband der deutschen Lebensmittelindustrie BLL erklärte in einer öffentlichen Stellungnahme vom Mai dieses Jahres, dass keine Dringlichkeit geboten sei und man erst noch die Modalitäten prüfen wolle. Dieser Auskunft schlossen sich auch mehrere Handelsketten und Lebensmittelhersteller an, darunter Nestlé, Lindt, Dr. Oetker, Lidl und Edeka. Lediglich Aldi Süd kündigte gegenüber foodwatch an, dass man „selbstverständlich“ Untersuchungsergebnisse an die EFSA schicken werde.
Immer wieder kommt es zu Mineralöl-Funden in Lebensmitteln: foodwatch fand sie in Reis, Pasta und Frühstücksflocken. Stiftung Warentest wies sie in Fleischersatz-Produkten nach. Zuletzt stellte die Zeitschrift Öko-Test Mineralölverunreinigungen in Bio-Brotaufstrichen und Schokolade fest.
Mineralöle können beispielsweise aus Verpackungen oder Maschinenölen in Lebensmittel gelangen. Eine wesentliche Quelle für Verunreinigungen ist Altpapier, das neben Mineralölen auch etliche andere gefährliche Substanzen wie Weichmacher und Lösungsmittel enthalten kann. foodwatch fordert Grenzwerte für Mineralöle in Lebensmitteln, bei den besonders kritischen aromatischen Mineralölen eine Null-Toleranz. Für alle Lebensmittelverpackungen aus Papier müsse außerdem eine „funktionelle Barriere“ vorgeschrieben werden, die den Übergang von Mineralölen und anderen schädlichen Substanzen auf die Lebensmittel verhindert.