Nein, im Supermarkt können wir die Welt nicht retten
Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft reden uns seit Jahren ein, wir Konsumentinnen und Konsumenten seien es, die mit unseren Kaufentscheidungen die Verantwortung für eine bessere Welt tragen. Doch in diese Falle dürfen wir nicht tappen.
Auch wenn es schwerfällt, müssen wir akzeptieren, dass wir durch einen „ethischen“ Konsum zwar Vorbild sein und unseren individuellen Fußabdruck verbessern, aber nicht die Märkte verändern können. Warum das so ist, hat vor allem zwei Gründe:
Erstens: Freiwillige Appelle bringen zu wenig!
Auch wenn wir uns das anders wünschen, freiwillige Appelle bewirken wenig. Es machen nie genug Menschen mit oder es dauert einfach viel, viel, viel zu lange. Das belegt eindrücklich etwa das Scheitern der „Agrarwende“ hin zu mehr Bio-Lebensmitteln, die die damalige Bundesregierung aus SPD und Grünen um die Jahrtausendwende versprochen hatte. Trotz aller Appelle, mehr ökologische Lebensmittel zu kaufen: Noch immer machen Bio-Produkte lediglich gut fünf Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes in Deutschland aus, bei Fleisch sind es sogar gerade mal zwei Prozent. Entgegen all dem Gerede vom „Bio-Boom“ ist die Öko-Branche nüchtern betrachtet eine Nische geblieben. Oder vielleicht erinnern Sie sich noch, dass schon in den 1970er- und 80er-Jahren dazu aufgerufen wurde, Jutebeutel zum Einkaufen zu verwenden – ohne großen Erfolg. Die Flut an Plastiktüten wurde erst durch Abgaben und Verbote eingedämmt. Und dass all die inakzeptablen Zustände in der Tierhaltung schlagartig beendet wären, wenn alle Menschen vegan leben würden, ist natürlich richtig – aber eben auch eine unrealistische Erwartung angesichts der Tatsache, dass dies in Deutschland nur gut ein Prozent der Menschen tun. Die Aufrufe, den Konsum tierischer Lebensmittel zu verzichten, mögen somit mit Blick auf die Tierhaltung zwar gut gemeint sein – es ist aber erkennbar, dass sich so für die allermeisten Nutztiere nichts verbessern würde.
Zweitens: „Richtiger” Konsum ist nicht die Lösung!
Selbst WENN wir einmal annehmen würden, alle Menschen ließen sich doch mit Appellen zum vermeintlich „richtigen“ Einkaufen bewegen, wäre das für viele Probleme keine Lösung. Denn viel zu oft haben wir den Hebel gar nicht in der Hand, um mit unseren Konsumentscheidungen wirklich etwas zu verändern oder wir können uns nicht sicher sein, dass unser Einkauf tatsächlich seinen Zweck bewirkt.
Beispiel Tierschutz: Oft heißt es, wir Verbraucherinnen und Verbraucher müssten eben im Supermarkt auf die richtigen Siegel achten und für tierische Lebensmittel einfach mehr Geld ausgeben. Die Wahrheit ist: Auch wenn Fleisch heute tatsächlich viel zu billig verkauft wird, habe ich selbst bei teurem Fleisch keine Garantie, dass es den Tieren besser geht und dass sie gesund sind. Denn egal ob „Tierwohl“-Siegel, Haltungs-Kennzeichnung oder auch Bio-Label: Keines der Siegel garantiert, dass die Tiere so gehalten wurden, dass sie nicht an vermeidbaren Krankheiten litten. Ich kann schlichtweg weder am Preis noch an irgendwelchen Siegeln erkennen, ob Milchkühe an Euterentzündungen litten oder wie viele Schweine Lungenentzündungen durchmachen mussten. Mit den verfügbaren Informationen sind Verbraucherinnen und Verbraucher in vielerlei Hinsicht aufgeschmissen. Zudem stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es wirklich ethisch vertretbar wäre, dass wir beim Einkaufen die Wahl haben sollten zwischen Lebensmitteln mit und ohne Tierqual? Wir von foodwatch finden: Nein! Vielmehr muss die Politik über gesetzliche Standards dafür sorgen, dass es ALLEN Tieren so gut wie möglich geht.
Beispiel Klimaschutz: Die Nutztierhaltung verursacht den überwiegenden Anteil der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft und trägt damit erheblich zur Klimaerwärmung bei. Aber selbst wenn ALLE Menschen in Deutschland – eine völlig illusorische Annahme – komplett auf tierische Lebensmittel verzichten, das Auto stehen lassen und sich auch sonst in allen Bereichen so klimafreundlich wie nur möglich verhalten würden, reichte das bei weitem nicht aus, um die Klimaziele einzuhalten. Dafür müssen zum Beispiel Produktionsweisen verändert werden, über die wir beim Produkteinkauf gar nichts erfahren und auf die wir damit keinen Einfluss haben. Es führt also kein Weg an strengen Klimaschutzgesetzen vorbei – für die Landwirtschaft und alle anderen Wirtschaftsbereiche. Das ist eine politische Aufgabe, keine Frage des richtigen Einkaufsverhaltens!
„Politik mit dem Einkaufskorb“: ein Ablenkungsmanöver!
Natürlich: Es ist wichtig, auch ganz persönlich Veränderungsbereitschaft zu zeigen und Vorbild zu sein. Doch je mehr die Verantwortung von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern für Klimaschutz, Tierschutz & Co. betont wird, umso misstrauischer sollten wir sein. Denn damit umgehen die die Verantwortlichen in den Regierungen notwendige Konflikte mit mächtigen Wirtschaftsbranchen. Sie drücken sich damit um ihre Regulierungsverantwortung – und wälzen sie auf uns ab. Das nützt allein jenen Unternehmen, die sich gegen konsequente Regulierung für mehr Verbraucher-, Klima-, Tier- oder Umweltschutz wehren. Nach dem Motto: Wieso braucht es Klimaschutzgesetze, wenn wir doch alle nur ein bisschen die Heizung runterdrehen und öfter das Auto stehen lassen müssen? Warum schärfere Tierhaltungsstandards per Gesetz vorschreiben, wenn wir doch jeden Tag im Supermarkt für bessere Lebensbedingungen der Nutztiere sorgen können?
Deshalb, liebe foodwatch-Interessierte: Nein, „die Welt“ – oder die Märkte – verändern wir nicht mit ethisch bewusstem Konsum, sondern vor allem als kritische Bürgerinnen und Bürger! Indem wir die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft unter Druck setzen, uns einmischen, lautstark protestieren – auf der Straße, im Internet, mit Projekten vor Ort, mit Schreiben an Politikerinnen und Politiker oder Unternehmen sowie natürlich in der Wahlkabine. Ja, das erscheint umständlicher, als im Supermarkt zum vermeintlich „richtigen“ Produkt zu greifen. Aber es kann höchst wirksam sein. Lassen Sie uns das miteinander versuchen!
Andreas Winkler, Pressesprecher bei foodwatch Deutschland
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