Wie funktioniert Tierhaltung tiergerecht, umweltschonend und menschenwürdig? Das „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ – die sogenannte Borchert-Kommission – hat dazu Vorschläge erarbeitet – unter anderem eine „Tierwohlabgabe“, um den Umbau von Ställen zu finanzieren. foodwatch hält die Empfehlungen für kontraproduktiv.
Im Februar unterbreitete das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter Leitung des früheren Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert im Auftrag der derzeitigen Ressortleiterin Julia Klöckner Vorschläge zum Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland. Die Kommission schlägt unter anderem eine „Tierwohlabgabe“, etwa in Form einer Verbrauchersteuer auf tierische Produkte, vor. Denkbar seien Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, 2 Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte. Mit dem Geld sollen Stallumbauten finanziert werden.
Eine lösungsorientierte Debatte muss her
foodwatch kritisiert die Empfehlungen in einem Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestags. Die Vorschläge sind „nicht geeignet, um die gravierenden Probleme in der deutschen Landwirtschaft zukunftsfähig zu lösen, sondern im Gegenteil kontraproduktiv“, schreiben foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker und der Veterinärmediziner und internationale Strategie-Direktor von foodwatch, Matthias Wolfschmidt. „Wir bitten Sie daher, die Umsetzung der Empfehlungen abzulehnen und stattdessen eine lösungsorientierte Debatte über die Kernprobleme der deutschen Landwirtschaft zu unterstützen.“
Export-Fixierung der Landwirtschaft ist gemeinwohlschädlich
Die Borchert-Kommission ignoriert die „Kernprobleme einer tier- und umweltschutzwidrigen Nutztierhaltung“ und fokussiert stattdessen auf einen „Nebenschauplatz“: den Umbau von Ställen, heißt es in dem Brief. Die Empfehlungen versuchen, das Ziel internationaler Wettbewerbsfähigkeit mit der Forderung nach Verbesserungen beim Tierschutz durch die Vermeidung von Kostensteigerungen in Einklang zu bringen.
„Aus der Fixierung der deutschen Agrarindustrie auf Exporterfolge und den ‚Weltmarkt‘ , welche die Borchert-Kommission nicht in Frage stellt, resultiert ein ‚race to the bottom‘ bei Tier-, Umwelt- und Arbeitsschutz“, schreiben Martin Rücker und Matthias Wolfschmidt. „Die Landwirte sind gezwungen, in einem Preisunterbietungswettbewerb zu bestehen. Dies ist schlichtweg nicht möglich, ohne den Interessen des Gemeinwohles zuwider zu handeln – und daran kann und wird die Förderung von Stallneubauten nichts ändern.“
Exportweltmeister auf dem Rücken der Tiere, Umwelt und Menschen
Die Bundesregierung feiert Deutschland als Exportweltmeister bei Schweinefleisch, ohne zu thematisieren, wie dieser zweifelhafte Titel zustande kommt. Exportweltmeister wird nicht, wer die beste Qualität liefert, sondern wer möglichst billig anbietet – und das geht nur zu Lasten der Standards im Tier- und Umweltschutzschutz oder für Arbeiterinnen und Arbeiter in der Fleischindustrie.
Folgen wir den Empfehlungen der Borchert-Kommission, dann wird noch mehr Geld ins System gepumpt, damit Landwirte zum Beispiel ihre Ställe umbauen können – ohne dass es dafür eine Garantie gäbe, welche Verbesserung damit zu erreichen ist. Die kann es auch nicht geben, denn Tiermediziner sagen seit langem: Mehr Tierschutz hängt kaum vom Stallbau ab, als vielmehr von einer deutlichen Verbesserung des Betriebsmanagements. Der Fokus auf mehr Geld für Ställe ist ein Irrweg. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen mehr zahlen, ohne dass mit dem Aufpreis etwas für den Tierschutz erreicht wird.
Höhere Preise dürfen nicht am Anfang der Debatte stehen!
Für foodwatch ist klar: Höhere Preise dürfen nicht am Anfang der Debatte stehen, sondern sie sind eine notwendige Folge einer tierschutzgerechteren Produktion. Die fängt damit an, dass endlich Zielvorgaben für die Tiergesundheit gemacht werden, die betriebsgenau zu erfassen sind und einen akzeptablen Mindeststandard bringen. Es ist selbstredend, dass Landwirte die Mehrkosten dafür weiterberechnen müssen und Fleisch dadurch teurer wird.
Die Vorschläge der Borchert-Kommission sind am 3. Juli Thema im Deutschen Bundestag. In einem Entschließungsantrag will die Große Koalition die Bundesregierung auffordern, die Empfehlungen noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.