Ein Kommentar von foodwatch-Geschäftsführer Dr. Chris Methmann.
Nach der Kampagne gegen den vermeintlichen „Heiz-Hammer“, macht die FDP – unterstützt von der Bild-Zeitung – jetzt gegen das nächste Ampel-Projekt Stimmung: die geplanten Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel.
Ist die FDP eigentlich Teil dieser Bundesregierung? Oder doch die lautstärkste Oppositionspartei? Wohl eher letzteres, wenn man sieht, wieviel Energie die Liberalen darauf verwenden, gemeinsame Projekte des Drei-Parteien-Bündnisses zu stoppen, zu verzögern oder zu verwässern. Nach der monatelangen Kampagne gegen den vermeintlichen „Heiz-Hammer“ geht es jetzt gegen den „Quark-Quatsch“: Die von Bundesernährungsminister Cem Özdemir geplanten Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel.
Im Februar legte der grüne Minister Eckpunkte für einen Gesetzentwurf vor, um Kinder besser vor aggressiver Junkfood-Werbung zu schützen: Tagsüber zwischen 6-23 Uhr sollen in Fernsehen und Internet keine Lebensmittel mehr beworben werden, die zu viel Zucker, Fett oder Salz enthalten. Damit folgte Cem Özdemir den dringenden Empfehlungen von Kinderärzt:innen, Verbraucherorganisationen und Krankenkassen. Auch im Koalitionsvertrag steht das Vorhaben. So weit, so gut, will man meinen. Nach 16 Jahren Kuschelkurs mit Nestlé und Co. legt sich die Regierung endlich mit der einflussreichen Lebensmittel-Lobby an!
FDP-Kampagne unterstützt von BILD
Doch kaum hatte Cem Özdemir seine Pläne gut gelaunt vor Mikrofonen und TV-Kameras präsentiert, lief die Blockade-Kampagne vom Koalitionspartner an – und nahm richtig Fahrt auf, nachdem im Streit um das Heizungsgesetz ein Kompromiss gefunden worden war. Bahn frei für die FDP, sich auf das nächste Ampel-Projekt einzuschießen – fleißig unterstützt von der Bild-Zeitung. Immer wieder dürfen dort FDP, Lebensmittel-Lobby und CDU/CSU das Gesetzesvorhaben ausgiebig kritisieren. Allein am 14. Juni erschienen vier Bild-Artikel. Tenor: „Werbeverbot ist Wahnsinn“. FDP-Mann Wolfgang Kubicki tobt über Özdemirs „persönliche Verbotsfantasien“, sein Parteifreund Gero Hocker schimpft über den „Quark-Quatsch des Ministers“. Man wolle nicht „in den Kühlschrank der Bürger hineinregieren“. Werbebeschränkungen würden sogar in den „Erziehungsauftrag der Eltern eingreifen".
Das Ganze ähnelt verblüffend der Anti-Heizgesetz-Kampagne: irreführende Argumente, Scheindebatten, Verantwortung abschieben.
"Den Liberalen sind die Profitinteressen der Junkfoodindustrie offenbar wichtiger als die Gesundheit der Kinder."
Erstens: Es geht überhaupt nicht um Verbote. Weder sollen irgendwelche Lebensmittel verboten werden, noch soll den Menschen vorgeschrieben werden, was sie essen. Vielmehr sollen Kinder einfach besser vor schädlichem Marketing für Limos, Süßigkeiten und Fastfood geschützt werden. Wer sich oder seinen Kindern unbedingt jeden Tag Ungesundes kaufen möchte, darf das gerne weiter tun.
Zahlen: Werbeschranken senken Junkfood-Verkauf
Zweitens: Lebensmittelwerbung beeinflusst nachweislich das Ernährungsverhalten und die Kaufvorlieben von Kindern. Internationale Daten zeigen: In Staaten mit verbindlichen Werbeverboten ist der Junkfood-Verkauf um knapp neun Prozent zurückgegangen. In Ländern ohne solche Regelungen ist er im gleichen Zeitraum hingegen um knapp 14 Prozent gestiegen. Es ist wissenschaftlich klar belegt: Junkfood-Werbung führt zu mehr Junkfood-Konsum bei Kindern. Sonst gäbe es diese Werbung ja auch nicht.
Junkfood-Werbung torpediert Erziehung der Eltern
Drittens: Natürlich tragen Eltern die Verantwortung für eine gesunde Ernährung ihrer Kinder. Aber genau diese Verantwortung untergräbt die Werbung. Jeden Tag müssen Eltern ankämpfen gegen eine milliardenschwere Werbeindustrie, die mit perfiden Marketingtricks ihre Kinder auf allen Kanälen mit Junkfood lockt. Es ist dadurch schwer, die eigenen Kinder für eine gesunde Ernährung zu begeistern. Zurecht wünschen sich 84 Prozent der Eltern gesetzliche Werbeschranken.
Fast eine Milliarde Euro für Süßwaren-Werbung
Lebensmittelhersteller vermarkten nicht etwa Apfel-Sticks oder Naturjoghurt an Kinder. Sondern fast ausschließlich Süßigkeiten, überzuckerte Getränke und fettig-salzige Snacks. Allein die Süßwaren-Industrie hat im vergangenen Jahr fast eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben. Das hat Folgen: Kinder in Deutschland essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen.
Kinder müssen vor schädlichen Einflüssen von Junkfood-Werbung besser geschützt werden – genau wie es auch beim Alkohol- und Tabakwerbeverbot geschehen ist. Wenn sich die FDP dagegen wehrt, muss man konstatieren: Den Liberalen sind die Profit-Interessen der Junkfood-Industrie offenbar wichtiger als die Gesundheit der Kinder.
Dieser Text erschien zuerst am 4.7.2023 in der Frankfurter Rundschau.