Die Corona-Krise trifft einkommensschwache Bevölkerungsgruppen besonders hart. Preise steigen, die Tafeln sind geschlossen. Um Mangelernährung zu verhindern, muss sich die SPD unter anderem für höhere Hartz-IV-Sätze einsetzen.
In einem Offenen Brief fordert foodwatch die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf, sich mit Blick auf die anhaltende Corona-Krise endlich für all diejenigen Menschen stark zu machen, die von der Krise besonders hart getroffen sind. „Die Versorgung mit einer ausreichenden und ausgewogenen Ernährung ist aktuell für Millionen Menschen aufgrund der Coronakrise nicht gewährleistet – eine Schande für ein reiches Land wie Deutschland“, schreibt foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. Die Corona-Pandemie droht zu einem Programm für Ernährungsarmut zu werden.
Es gibt mehrere Gründe, weshalb besonders ärmeren Menschen Mangelernährung droht:
- Kinder aus Familien mit geringem Einkommen haben unter normalen Umständen Anspruch auf ein kostenloses Mittagsessen in der Schule oder dem Kindergarten – der entfällt, seitdem diese Einrichtungen geschlossen sind.
- Auch hunderte Tafeln mussten deutschlandweit schließen. Damit fallen Angebote weg, die für Millionen von Menschen bislang eine Grundversorgung gewährtleistet haben.
- Einnahmequellen „auf der Straße“ (durch Musik, Zeitungsverkauf und auch Bettelei) sind massiv eingeschränkt oder versiegt, die für Menschen ohne Leistungsanspruch gegenüber dem deutschen Staat (wie z.B. Menschen aus einigen osteuropäischen Ländern) die Existenzgrundlage darstellten.
- Die Lebensmittelpreise sind in den letzten Wochen deutlich gestiegen – vor allem von Gemüse.
Gemüsepreis steigt um 27,1 Prozent
Die Preise für Lebensmittel sind in den letzten Wochen gestiegen wie seit zwei Jahren nicht mehr. Wie Daten des AMI Verbraucherspiegels auf Basis des GFK-Haushaltspanels zeigen, war Gemüse, bekanntlich die Grundlage einer ausgewogenen Ernährung, im April 2020 ganze 27,1 Prozent teurer als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Insgesamt beträgt der Preisanstieg für Frischwaren im Vergleich zum Vorjahresmonat 9,5 Prozent. Somit ist es noch schwerer geworden, sich ausreichend und vor allem ausgewogen zu ernähren. Und dies ist gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wichtiger denn je.
Gefahr von Entwicklungsstörungen bei Kindern
Ernährungsarmut sei „ein übersehenes Problem mit sichtbaren Folgen“ insbesondere für Kinder, sagte der Ernährungsmediziner Hans-Konrad Biesalski, emeritierter Professor an der Universität Hohenheim: „Kann eine für ein Kind ausgewogene Ernährung nicht finanziert werden, so bedeutet dies Ernährungsarmut. Sind vor allem Vitamine und Mineralien nicht altersentsprechend ausreichend, so drohen körperliche und kognitive Entwicklungsstörungen. Dies gilt vor allem für Kinder in den wichtigen Entwicklungsphasen bis zum fünften Lebensjahr. Sie bleiben im Wachstum zurück und haben häufiger Probleme in der Schule.“
Gesunde Ernährung stärkt das Immunsystem
Die Ökotrophologin Ulrike Arens-Azevêdo, ehemals Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und von 2016 bis 2019 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), verweist darauf, dass in Deutschland rund 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahren) als armutsgefährdet eingestuft werden: „Für diese Kinder ist die derzeitige Situation besonders gravierend. Nach dem Bildungs- und Teilhabepaket hätten sie Anrecht auf eine kostenfreie Mittagsverpflegung in Kita und Schule. Da Kindertagesstätten und Schulen derzeit geschlossen sind, fällt diese warme Mahlzeit weg. Verschärft wird die Situation dadurch, dass auch die meisten Ausgabestellen der Tafeln nicht mehr bedient werden können. Eine gesundheitsfördernde Ernährung, die besonders wichtig wäre, um das Immunsystem und die Abwehrkräfte zu stärken, ist unter diesen Bedingungen in den armutsgefährdeten Haushalten nicht mehr möglich.“
foodwatch fordert Sofortprogramm
Die SPD-Spitze muss sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung ein Sofortprogramm gegen Ernährungsarmut beschließt. Unter anderem braucht es einen bundesweiten Koordinator für Ernährungssicherheit. Dieser muss mit einem ausreichenden Etat ausgestattet sein und muss dafür sorgen, dass Akuthilfe gegen Hunger und Mangelernährung dort ankommt, wo sie dringend benötigt wird.
100 Euro Soforthilfe
Gemeinsam mit Spitzenvertreterinnen und Spitzenvertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes und weiterer bundesweiter Organisationen hat foodwatch in einem Aufruf die Bundesregierung aufgefordert, allen Menschen, die auf existenzsichernde Sozialleistungen angewiesen sind, einen pauschalen Mehrbedarf von 100 Euro monatlich unbürokratisch zukommen zu lassen. Es sind die Ärmsten, so heißt es in dem Aufruf, die die Auswirkungen der Corona-Krise existentiell und mit besonderer Härte treffen.
Pläne der Bundesregierung bislang lebensfern
Bisher bekannt gewordene Überlegungen aus dem Bundesarbeitsministerium umfassen lediglich, dass das weggefallene kostenlose Mittagessen in Schulen und Kitas durch Zuschüsse für die Belieferung mit Caterern kompensiert werden sollen. Das wird den aktuellen Problemen der Menschen nicht gerecht und ist lebensfern. So wird die SPD ihren Aussagen „Das Wichtigste ist der Schutz der Gesundheit“ und „Es geht um Solidarität, für einander da sein“ in keiner Weise gerecht.