„Milchmärchen“-Report kritisiert irreführende Klimawerbung der Milchindustrie
foodwatch fordert Halbierung der Milchvieh-Haltung in Deutschland
- Milchlobby rechnet Klimabilanz schön: Emissionen der Tierhaltung in Deutschland in Wahrheit dreimal höher als von der Lobby suggeriert.
- Durch Umstieg auf pflanzliche Milch-Alternativen und Renaturierung von Futter- und Weideflächen könnten Emissionen in der Größenordnung von mehr als 10 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen reduziert werden.
- Die Zahl der fast 3,7 Mio. Milchkühe in Deutschland muss mindestens halbiert werden.
+++ foodwatch-Report „Milchmärchen: Wie die Milchlobby die Klimakrise befeuert, Kühe leiden lässt und Verbraucher:innen täuscht“ +++
Mit irreführenden Marketing-Kampagnen versucht die deutsche Milchindustrie, sich als klimafreundlich darzustellen – dabei trägt sie viel stärker zur Klimakrise bei als behauptet. Das zeigt der neue foodwatch-Report „Milchmärchen", den die Verbraucherorganisation heute gemeinsam mit dem Thinktank „Faba Konzepte“ vorgestellt hat. Die Milchlobby versuche mit reichweitenstarken Videos auf Tiktok und Co., eigenen Websites oder sogar Aktions- und Lehrmaterialen für Kitas und Schulen gezielt, das Image der Milchproduktion zu verbessern und ihre negativen Auswirkungen zu verharmlosen. Tatsächlich jedoch verursachten Milch und Milchprodukte rund dreimal so hohe Klima-Emissionen wie pflanzliche Alternativen. Für einen wirksamen Klimaschutz müsse die Zahl der Milchkühe in Deutschland daher mindestens halbiert werden, forderte foodwatch.
„Die Wahrheit hinter den Milchmärchen von Industrie und Lobbyverbänden ist: Die Milchproduktion verursacht enorme Klimaschäden und großes Tierleid“, sagte Annemarie Botzki von foodwatch. “Es geht nicht darum, Milch, Käse oder Joghurt zu verbieten. Aber wenn wir Klima- und Tierschutz ernst nehmen wollen, kommen wir um eine Wahrheit nicht herum: Wir müssen deutlich weniger Kühe halten und deutlich weniger Milchprodukte herstellen und essen.“
Als Experte zu der Pressekonferenz war ebenfalls der Agrarökonom Dr. Benjamin Bodirsky vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung geladen, der an der Erarbeitung des foodwatch-Reports nicht beteiligt war. Er fügte hinzu: „Wenn es um die Klimabilanz von Milchprodukten geht, werden wichtige Emissionsquellen oft nicht berücksichtigt. Zum Beispiel wurden in den letzten Jahrzehnten viele Moore in Deutschland trockengelegt, um sie als Weideflächen oder zum Anbau von Futtermitteln zu nutzen. Durch die Trockenlegung baut sich der Torf ab, der sich dort über Jahrtausende aufgebaut hat – dies führt zu riesigen Emissionen. Die landwirtschaftlich genutzten ehemaligen Moore in Deutschland emittieren etwa sechs Prozent der deutschen Gesamtemissionen, die jedoch in offiziellen Statistiken nicht der Landwirtschaft zugewiesen werden.“
Emissionen der Tierhaltung dreimal höher als von der Lobby suggeriert.
In dem „Milchmärchen“-Report zeigen foodwatch und Faba Konzepte detailliert, mit welchen Methoden die Branche versucht, die Auswirkungen der Milchproduktion zu verschleiern. So präsentiere die Milchlobby zum Beispiel gerne Zahlen, wonach die Tierhaltung in Deutschland nur für fünf Prozent der deutschen Emissionen verantwortlich sei, die Rinderhaltung sogar nur für 3,9 Prozent. Doch diese Berechnung beziehe nur die direkten Emissionen der Rinderhaltung ein, also die Treibhausgase, die unmittelbar bei der Haltung und Fütterung der Tiere entstehen. Das ist vor allem Methan aus der Verdauung der Tiere und aus der Gülle. Die sogenannten indirekten Emissionen aus dem Anbau und dem Import von Futtermitteln etwa oder durch die Bewirtschaftung von Moorböden würden hingegen bewusst außer Acht gelassen, kritisierten die beiden Organisationen. In Wahrheit seien die Emissionen der Tierhaltung in Deutschland daher mehr als dreimal so hoch wie die Lobbyverbände suggerieren.
Durch eine Reduktion der Tierhaltung ergebe sich ein enormes Einsparpotenzial, rechnet der „Milchmärchen“-Report vor: Würden in Deutschland Milch und Milchprodukte durch pflanzliche Alternativen ersetzt und freiwerdende Flächen renaturiert, könnten Emissionen in der Größenordnung von mehr als 10 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen reduziert werden.
Die von der Branche präsentierten vermeintlichen Lösungen wie Weidehaltung der Tiere, Spezialfutter oder Effizienz-Steigerung kritisierten foodwatch und Faba Konzepte als nicht realistisch und als Greenwashing. So stände zum Beispiel in Wahrheit gerade einmal ein Drittel aller Kühe auf der Weide, und das Futter stamme zum Großteil nicht von der Wiese, sondern vom Acker. Zudem sei die Weidehaltung auf entwässerten Moorböden ein besonderer Klimakiller. Spezialfutter könne die Klima-Versprechen ebenfalls nicht einhalten und sei kaum in großem Maßstab umsetzbar. Und Milchkühe noch „effizienter“ zu machen sei aus Tierschutzgründen keine Lösung. Schon jetzt litten durch die Zucht auf immer höhere Milchleistung rund 40 Prozent der deutschen Milchkühe an schmerzhaften Euterentzündungen. Viele Tiere würden durch die enorme tägliche Belastung krank und müssen frühzeitig geschlachtet werden.
„Die Milchindustrie betreibt Greenwashing, um Milch als harmloses oder gar klimafreundliches Nahrungsmittel darzustellen und weiter große Mengen an Milchprodukten zu verkaufen. Dabei liegt die Lösung für Klima und Tierschutz darin, die Tierhaltung abzubauen und pflanzenbasierte Ernährungsweisen voranzubringen. Dafür braucht es jetzt politische Maßnahmen“, konstatierte Dr. Friederike Schmitz von Faba Konzepte.