Internationale Expertenkommission: Einfluss der Lebensmittellobby verhindert effektive Maßnahmen gegen Fehlernährung – foodwatch: „Schallende Ohrfeige für gesundheitsgefährdende Politik von Ernährungsministerin Julia Klöckner“
Um Fettleibigkeit und Fehlernährung in den Griff zu bekommen, muss der Einfluss der Lebensmittelindustrie zurückgedrängt werden, fordern führende internationale Forscherinnen und Forscher in einem neuen Report. Die Lebensmittellobby untergrabe mit Einschüchterung und finanzieller Einflussnahme politische Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung, kritisierte die von der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ einberufene Expertenkommission. Die Verbraucherorganisation foodwatch forderte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf, den Empfehlungen des Reports zu folgen und die Zusammenarbeit mit der Ernährungsindustrie umgehend zu beenden. Die Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtung sei zum Scheitern verurteilt.
„Der Report ist eine schallende Ohrfeige für die gesundheitsgefährdende Politik von Ernährungsministerin Julia Klöckner“, sagte Luise Molling von foodwatch. „Klöckners Klüngelei mit der Lebensmittelindustrie ist nachweislich die falsche Strategie, um die grassierende Fehlernährung in den Griff zu bekommen – das ist jetzt von führenden Expertinnen und Experten bestätigt worden. Statt die Lebensmittelindustrie nur lieb zu bitten, doch etwas weniger Zucker in ihre Produkte zu mischen, braucht es klare Vorgaben wie eine Limo-Steuer, eine Nährwert-Ampel und ein Verbot des Kindermarketings für unausgewogene Lebensmittel. Doch Frau Klöckner traut sich bisher nicht, sich mit der Industrie anzulegen. Sie nimmt Übergewicht, Diabeteserkrankungen und frühzeitige Todesfälle billigend in Kauf. Sie ignoriert die Stimmen von Medizinerinnen und Ernährungsexperten und trägt damit eine wesentliche Mitverantwortung für die Misere.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bezeichneten Fehlernährung als die „weltweit führende Ursache schlechter Gesundheit“. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie seien gänzlich „ineffektiv“, um gegen Fehlernährung vorzugehen. Auch quasi-regulatorische Ansätze, in denen die Regierungen die Zielsetzung vorgeben und das Monitoring übernehmen, die Teilnahme der Industrie aber freiwillig ist, würden durch den Einfluss der Industrie verzögert und verwässert, heißt es im Report. Die freiwillige „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“, die Julia Klöckner gemeinsam mit den Lebensmittelkonzernen auf den Weg gebracht hat, sei deshalb zum Scheitern verurteilt, so foodwatch.
Um wirksame Maßnahmen gegen Fehlernährung einzuführen, sollten Regierungen einen globalen Vertrag nach dem Vorbild der Anti-Tabak-Konvention der Weltgesundheitsorganisation errichten, forderte die Expertenkommission. Die Anti-Tabak-Konvention schließt die Tabakindustrie ausdrücklich von der Beteiligung an politischen Maßnahmen aus.
Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen in Deutschland fordern schon lange wirksame Maßnahmen gegen Fehlernährung und Fettleibigkeit, wie eine verbraucherfreundliche Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben, eine Beschränkung der Lebensmittelwerbung an Kinder sowie eine Herstellerabgabe auf gesüßte Getränke. Im vergangenen Jahr hatten mehr als 2.000 Ärztinnen und Ärzte die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert. Gegen diese Maßnahmen wehrt sich die Lebensmittelindustrie vehement.
Das Bundeskabinett hat stattdessen Ende 2018 die „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf den Weg gebracht. Erklärtes Ziel der Strategie ist es, „eine gesunde Lebensweise zu fördern“ und „den Anteil der Übergewichtigen und Adipösen in der Bevölkerung zu senken“. Das Papier von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner bleibt jedoch meilenweit hinter den Forderungen und Empfehlungen der medizinischen Fachwelt zur Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas zurück. Stattdessen setzt das Ministerium auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Ernährungsbranche.