Pressemitteilung: foodwatch-Aktion bei Nestlé: Konzern lehnt Goldenen Windbeutel ab – „Von Werbelüge und Gesundheitsgefährdung kann keine Rede sein“ – foodwatch: Konzern dreht Eltern die lange Nase
Frankfurt/Main. „Ich will keine Werbelüge mehr sein“ – mit diesem Demonstrationsschild steht eine Aktivistin im menschengroßen Alete-Trinkmahlzeit-Kostüm auf der kleinen Wiese vor der Nestlé-Deutschlandzentrale in Frankfurt am Main. „Der Goldene Windbeutel 2014 geht an Nestlé“, heißt es auf einem weiteren Transparent – und auf der Litfaßsäule, die gerade noch eine Reminiszenz an Heinrich Nestlé gezeigt hatte. Aktivisten der Verbraucherorganisation foodwatch haben die Plakate zum 200sten Geburtstag des Firmengründers kurzerhand überkleistert.
Ein Produkt, vor dem Kinderärzte warnen, das Nestlé aber als babygerecht und gesund verkauft – dafür hat der weltgrößte Nahrungsmittelkonzern den Preis für die dreisteste Werbelüge des Jahres erhalten. Bei der von foodwatch initiierten Online-Wahl zum Goldenen Windbeutel 2014 waren 45,8 Prozent von mehr als 158.000 Stimmen auf die Alete Trinkmahlzeiten entfallen. Den Negativpreis aber wollte Nestlé heute nicht annehmen, die Konzernspitze stand für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Unternehmenssprecher Achim Drewes erklärte vor dem Nestlé- Hochhaus lediglich, Nestlé sei der Kritik von Kinderärzten mit Produktänderungen bereits vor Jahren nachgekommen. Die Alete Trinkmahlzeiten seien „bedenkenlos“ und für „Babys ab dem 10. Monat geeignet“, so Drewes. Von einer Werbelüge könne „keine Rede sein, geschweige denn von einer Gesundheitsgefährdung.“ Und den Goldenen Windbeutel? „Den können Sie gleich wieder mitnehmen.“
Tatsächlich hatte die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) Trinkbreie bereits 2007 als „unverantwortlich“ bezeichnet und einen Vermarktungsstopp gefordert. Nestlé reagierte darauf mit einigen Produktänderungen – nach wie vor jedoch bestätigt die DGKJ ihre Kritik an den Produkten. In einer E-Mail vom 30. Juli 2014 bestätigte Prof. Berthold Koletzko, der Vorsitzende der DGKJ-Ernährungskommission: „Die DGKJ spricht sich weiterhin gegen sogenannte Trinkbreie aus.“ Zudem betonen die Kinderärzte, sollten Breie nicht aus Flasche oder Becher getrunken, sondern mit dem Löffel gefüttert werden – Nestlé selbst empfiehlt dagegen Becher bzw. Tassen für seine Kalorienbomben.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) raten von Trinkmahlzeiten wegen des Risikos der Überfütterung und der frühkindlichen Kariesbildung grundsätzlich ab.
„Nestlé handelt ohne Rücksicht auf die Gesundheit von Säuglingen“, erklärte Oliver Huizinga, foodwatch-Experte für Lebensmittelwerbung. „Der Konzern dreht Eltern die lange Nase: Er setzt seine Werbelügen zu Lasten von Babys unbeeindruckt fort, denn anders als von Nestlé behauptet warnen Kinderärzte auch weiterhin vor Trinkmahlzeiten wie denen von Alete. Heinrich Nestlé dürfte sich im Grabe herumdrehen.“
Einen Monat lang hatten die Verbraucher auf www.goldener-windbeutel.de unter fünf Kandidaten über die dreisteste Werbelüge des Jahres abgestimmt. Dabei kam es zu einer Rekordteilnahme: Insgesamt gingen mehr als 158.000 gültige Stimmen ein und damit so viele wie noch nie bei einer Wahl zum Goldenen Windbeutel. Das vollständige Ergebnis:
1. Platz: Alete Trinkmahlzeiten ab dem 10. Monat von Nestlé, 45,8 Prozent (mehr als 72.000)
2. Platz: Knorr activ Hühnersuppe von Unilever, 25,2 Prozent
3. Platz: Glacéau Vitaminwater von Coca-Cola, 14,6 Prozent
4. Platz: Belvita Frühstückskeks von Mondelez (ehemals Kraft), 11,5 Prozent
5. Platz: Unser Norden Bio Apfelsaft naturtrüb der Coop eG, 2,9 Prozent
foodwatch forderte Nestlé auf, das Produkt vom Markt zu nehmen und hat dazu eine E-Mailaktion unter www.foodwatch.de/alete-aktion an das Unternehmen gestartet.
Bildmaterial zur Aktion
Fotos von der Aktion können Sie unter www.foodwatch.de/windbeutel2014 herunterladen.
Pressekontakt
in Frankfurt: Martin Rücker, Telefon: +49 (0) 17 43 75 16 89
in Berlin: Andreas Winkler und Christopher Link, Telefon: +49 (0) 30 24 04 76 – 2 90
E-Mail: presse@foodwatch.de
Hinweise zu Formulierungen:
foodwatch möchte freundlich empfehlen, bei der Berichterstattung auf folgende Formulierungen zu verzichten:
- „foodwatch prangert an“: Der Pranger ist ein Instrument des Mittelalters, bei dem sich der „Angeprangerte“ nicht wehren konnte. Deshalb ist der Vergleich schief: Wenn überhaupt, prangern Lebensmittelhersteller ihre Produkte selbst an, indem sie sie zum Verkauf in Supermarktregale stellen und öffentlich bewerben. Über die Aufrichtigkeit der Vermarktung und Kennzeichnung entscheiden sie im Rahmen der Gesetze selbst. Richtig ist also: foodwatch „kritisiert“ die genannten Werbepraktiken, „wirft den Herstellern Etikettenschwindel/Irreführung/legale Verbrauchertäuschung vor“ etc.
- „Die Verbraucher sollten also besser genau aufs Kleingedruckte achten“: Das ist zwar nie verkehrt, aber auch nicht die Lösung für das Problem des legalen Etikettenschwindels und insofern aus unserer Sicht kein geeignetes Fazit. Denn viele Informationen stehen gar nicht erst auf der Verpackung. Und selbst wenn: Unserer Vorstellung entspräche es auch nicht, wenn sich Verbraucher vorne auf der Packung in Großbuchstaben Schwindel gefallen lassen müssten, wenn sie hinten im Kleingedruckten die Auflösung finden könnten. Entscheidend ist also die Frage, wie der gesetzliche Rahmen gestaltet werden muss, um die Unternehmen zu einer ehrlicheren Kennzeichnung und Bewerbung zu veranlassen.