Tierschutz- und Verbraucherorganisationen kritisieren geplante Haltungskennzeichnung von Landwirtschaftsminister Özdemir
Zahlreiche Tierschutz- und Verbraucherorganisationen kritisieren die von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir geplante Kennzeichnung der Haltungsbedingungen auf tierischen Lebensmitteln. In einem offenen Brief an Özdemir erklärten foodwatch, Peta, Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft und 18 weitere Organisationen, dass „in allen Haltungsverfahren massive Tierschutzprobleme die Regel sind“. Die meisten Nutztiere litten unter vermeidbaren Krankheiten und Schmerzen, und zwar sowohl in konventionellen als auch in Biobetrieben, in kleinen Höfen ebenso wie in Tierfabriken. Ein Label, das alleine die unterschiedlichen Haltungsformen kennzeichnet, könne deshalb niemals eine Lösung für die massiven Tierschutzprobleme sein. Vielmehr brauche es gesetzliche Vorgaben, damit alle Tiere überprüfbar gesund gehalten werden.
„Das Tierhaltungslabel ist ein staatliches Täuschungslabel, wenn den Verbraucher:innen vorgegaukelt wird, sie würden beim Einkauf über Wohl und Wehe der Tiere entscheiden. Ein gesundes, tiergerechtes Leben hängt nicht nur von Platz, Einstreu und Auslauf ab“, sagte Matthias Wolfschmidt, Tierarzt und internationaler Strategiedirektor von foodwatch. „Die Bundesregierung muss endlich geeignete Rahmenbedingungen schaffen, die allen Nutztieren gleichermaßen ein gesundes Leben ermöglichen. Die krankmachende Hochleistungszucht verursacht Tieren Schmerzen und Leiden in allen Haltungsformen. Unabhängige Expert:innen müssen den Schutz und die Gesundheit der Tiere in allen Haltungsbetrieben überprüfen.“
Dem Landwirtschaftsministerium zufolge soll die verbindliche Tierhaltungskennzeichnung transparent machen, „unter welchen Bedingungen Tiere tatsächlich gelebt haben“. Vorbild soll die 0-1-2-3-Kennzeichnung auf Eiern sein. Somit solle sich „eine relevante Lenkungswirkung auf der Verbraucherseite entfalten“. Tatsächlich sei wissenschaftlich jedoch längst belegt, dass etwas mehr Platz und Auslauf nicht vor vermeidbaren Krankheiten schützten, so foodwatch. Rund jedes vierte tierische Produkt stammt laut der Verbraucherorganisation von einem kranken Tier. Bei Legehennen seien etwa Knochenbrüche an der Tagesordnung, da bei den auf extrem hohe Legeleistung gezüchteten Tieren das Kalzium vorrangig in den Eierschalen lande. In einer aktuellen Studie der Uni Bern litten 97 Prozent der untersuchten Hennen unter einem gebrochenen Brustbein, auch Biohühner waren betroffen. Statt einer Haltungskennzeichnung brauche es deshalb verbindliche Vorgaben für die Gesundheit aller Nutztiere, forderte foodwatch.
„Es ist nicht die Aufgabe des Landwirtschaftsministers, der ja auch Minister für Tierschutz ist, Verantwortung für den Tierschutz auf die Kaufentscheidung der Konsument:innen zu übertragen, sondern er ist verpflichtet, für die Umsetzung des Tierschutzgesetzes Sorge zu tragen“, sagte Dr. Claudia Preuß-Ueberschär von der Vereinigung Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft (TfvL e.V.). Die übergroße Mehrheit der Bundesbürger sehe in der Lebensmittelproduktion keinen vernünftigen Grund (§ 1 TierSchG), Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden zufügen zu dürfen. Die bestehenden Ausführungsverordnungen zum Tierschutzgesetz seien nicht zum Schutz der Tiere in der Landwirtschaft geeignet, im Gegenteil unterliefen sie das Gesetz und förderten die Tierausbeutung.
Die den offenen Brief unterzeichnenden Organisationen wiesen zudem auf die grundlegende Kritik des Bundesrechnungshofs an den Plänen eines Tierwohlkennzeichens der vorigen Bundesregierung hin. In einem mit rund einem Jahr Verspätung Ende März 2022 veröffentlichten Bericht der Behörde heißt es, „dass es für die Ziele, die das BMEL mit dem Tierwohlkennzeichen erreichen möchte, alternative und wirkungsvollere und möglicherweise wirtschaftlichere Handlungsoptionen gibt.“
Eine Haltungskennzeichnung, auch als staatliches Tierwohllabel bezeichnet, wurde bereits von mehreren Bundeslandwirtschaftsminister:innen angekündigt, bisher jedoch nie umgesetzt. Im Gegensatz zu früheren Plänen einer freiwilligen Kennzeichnung will Minister Özdemir diese verbindlich vorschreiben. Große Lebensmittelhändler hatten 2019 ein vierstufiges System der Haltungskennzeichnung eingeführt. Für Hühnereier gelten in der Europäischen Union seit 2004 Kennzeichnungsregeln.
Quellen und weiterführende Informationen:
- Offener Brief an Cem Özdemir
- PM BMEL zum Bundeshaushalt und dem Umbau der Tierhaltung (16.03.2022)
- Bericht Bundesrechnungshof: Entwicklung und Markteinführung eines Tierwohlkennzeichens (veröffentlicht im März 2022)
- Jedes vierte tierische Produkt stammt von einem kranken Tier – ausgewählte Studien zur Tiergesundheit
- Studie Uni Bern zu Knochenbrüchen bei Legehennen