125.047 Menschen gegen CETA: Campact, foodwatch und Mehr Demokratie reichen größte Verfassungsbeschwerde der Geschichte ein
- Handelsabkommen mit Kanada verstößt in vier Punkten gegen das Grundgesetz
- Einstweilige Anordnung soll „vorläufige Anwendung“ von CETA verhindern
- Bild-Aktionen heute in Erfurt und morgen in Karlsruhe
Erfurt/Karlsruhe/Berlin. Die Organisationen Campact, foodwatch und Mehr Demokratie haben heute beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das Handelsabkommen CETA eingereicht. 125.047 Menschen haben sich der Beschwerde „Nein zu CETA“ angeschlossen – es ist damit die größte Bürgerklage in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Verteilt auf mehr als 70 Kartons, wurden die Vollmachten am heutigen Dienstag in Erfurt in einen Laster geladen und auf den Weg nach Karlsruhe gebracht. Das in Erfurt ansässige gemeinnützige Christophoruswerk hatte die Vollmachten erfasst und sortiert. – Morgen (Mittwoch) Vormittag sollen die Vollmachten, mit denen sich die Bürgerinnen und Bürger der CETA-Beschwerde anschließen, an das Bundesverfassungsgericht übergeben werden.
+++ ACHTUNG REDAKTIONEN: BILD-TERMIN IN KARLSRUHE AM MITTWOCH, 31.8., 10.45 UHR IM SCHLOSSPARK NEBEN DEM BUNDESVERFASSUNGSGERICHT +++
Nach Einschätzung der Organisationen verstößt das geplante Abkommen zwischen der EU und Kanada gleich in vier Punkten gegen das Grundgesetz. Das Bündnis hat beim Bundesverfassungsgericht zudem eine einstweilige Anordnung beantragt: Damit würde das Gericht den deutschen Vertreter im Handelsministerrat – nach dem Stand der Dinge Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel – auffordern, gegen die geplante „vorläufige Anwendung“ von CETA zu stimmen, mit der das Abkommen bereits vor einer Abstimmung im Bundestag in Kraft gesetzt werden soll. Eine solche „vorläufige Anwendung“ soll in diesem Herbst vom Ministerrat beschlossen werden.
„Die vorläufige Anwendung von CETA ist brandgefährlich, denn damit werden Fakten geschaffen. Demokratisch nicht legitimierte Gremien und investorenfreundliche Schiedsgerichte würden bereits anfangen zu arbeiten, das Vorsorgeprinzip könnte ausgehebelt werden – das alles ohne Zustimmung des Bundestages“, erklärte Roman Huber, geschäftsführender Bundesvorstand der Vereins Mehr Demokratie.
„Es steht außer Frage, dass CETA schädlich ist für die Demokratie und deshalb abgelehnt werden muss. Vor dem Bundesverfassungsgericht wollen wir klären lassen, ob das Abkommen zusätzlich noch gegen das Grundgesetz verstößt“, ergänzte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode.
Jörg Haas von Campact sagte: „Über 125.000 Bürger stehen hinter dieser Verfassungsbeschwerde. Sie senden ein klares Signal: Wir kämpfen für unsere Demokratie – bis vor das Verfassungsgericht! Angesichts wachsender Politikverdrossenheit täten Bundesregierung und Parteien gut daran, dieses Signal sehr ernst zu nehmen.”
Ansatzpunkt für die Verfassungsbeschwerde ist, dass CETA den Einfluss von Parlamenten schwächen würde, wodurch auch die Stimmen von Wählerinnen und Wählern weniger wert wären. Prof. Dr. jur. Bernhard Kempen, Direktor des Instituts für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Köln, hat als Prozessvertreter des Bündnisses in seinem Schriftsatz an das Verfassungsgericht vier Punkte aufgeführt, die nach Auffassung der Beschwerdeführer nicht vereinbar mit dem Grundgesetz sind:
- Durch CETA sollen europäisch-kanadische Ausschüsse weitreichende Befugnisse erhalten. Sie können den Vertrag unter Umgehung der Parlamente auslegen und sogar verändern. Das oberste CETA-Gremium, der „gemischten Ausschuss“, soll allein mit Vertretern der Exekutive besetzt werden, Parlamentarier und deutsche Vertreter sind nicht vorgesehen.
- Die geplanten Investitionsgerichte würden eine unzulässige Paralleljustiz mit Sonderrechten für kanadische Investoren einrichten. Dies wäre eine Diskriminierung europäischer Investoren, denen dieser Weg verschlossen bliebe. Allein die Möglichkeit, dass ein Schiedsgericht den deutschen Staat zu hohen Schadenersatzzahlungen verpflichten könnte, hätte erheblichen Einfluss auf Regulierung und Gesetzgebung.
- Das Vorsorgeprinzip – ein Kernelement der europäischen Regulierungspolitik – ist im CETA-Vertrag nicht hinreichend abgesichert. Damit wären viele Verbesserungen beim Umwelt- oder Gesundheitsschutz praktisch ausgeschlossen.
- Vorläufige Anwendung: Noch bevor die nationalen Parlamente in den EU-Staaten über CETA abgestimmt haben, soll der Vertrag „vorläufig“ angewandt werden – womöglich über Jahre hinweg. Damit würde die „vorläufige“ Anwendung endgültige Fakten schaffen: Denn den negativen Folgen des Abkommens wären die Bürgerinnen und Bürger voll und ganz ausgesetzt, lange vor einem Votum des Bundestages.
Redaktionelle Hinweise
Bild-Termin in Karlsruhe am Mittwoch, 31.8., um 10.45 Uhr im Schlosspark am Bundesverfassungsgericht.
Pressekontakte
Campact: Svenja Koch, koch@campact.de, 0 42 31 / 95 75 90
Mehr Demokratie: Anne Dänner, presse@mehr-demokratie.de, 030 / 42 08 23 70
foodwatch: Martin Rücker, presse@foodwatch.de, 0 30 / 2 40 47 62 90
Vor Ort in Erfurt (30.8.): Ralf-Uwe Beck, Mehr Demokratie, 01 72 / 7 96 29 82
Vor Ort in Karlsruhe (31.8.): Jörg Haas, Campact, 01 52 / 22 88 87 99