Nachricht 21.01.2021

Bundesregierung verharmlost Zustände in der Tierhaltung

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Eine foodwatch-Analyse untersucht, welche Informationen das Bundesagrarministerium Verbraucher*innen zur Nutztierhaltung in Deutschland anbietet. Deutlich wird: Broschüren, Webseiten und Berichte, die vermeintlich „neutrale“ und „objektive“ Fakten liefern, beschönigen die Zustände in der Landwirtschaft.

Die Bundeslandwirtschaftsministerium informiert die Öffentlichkeit nur unzureichend und einseitig über die Zustände in der Tierhaltung. Das ist das Ergebnis einer im Auftrag von foodwatch durchgeführten systematischen Analyse von Webseiten, Broschüren und Berichten des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Missstände in der Tierhaltung werden verschwiegen und die Situation in den Ställen beschönigt.  Insbesondere die weit verbreiteten Krankheiten unter Nutztieren werden kaum erwähnt. Verbraucherinnen und Verbrauchern ist es auf dieser Grundlage nicht möglich, sich ein realistisches Bild der deutschen Landwirtschaft zu machen – geschweige denn, eine informierte Kaufentscheidung im Supermarkt zu treffen. 

Ministerium verfehlt eigene Ansprüche

Das Ministerium von CDU-Politikerin Julia Klöckner erfüllt damit nicht das selbst ausgegebene Versprechen, die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Zustände in der deutschen Landwirtschaft zu informieren. Die Online-Portale „landwirtschaft.de“ und „tierwohl-staerken.de“ – betrieben vom Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL), einem Informationsdienstleister im Geschäftsbereich des Agrarministeriums – verfolgen nach eigenen Angaben das Ziel, Verbraucher*innen  „durch unabhängige und objektive Information“ über die Tierhaltung aufzuklären. Doch die Missstände im Bereich der Tiergesundheit und beim allgemeinen Befinden der Tiere werden auf den Webseiten weder ausgewogen noch umfassend dargestellt. Positive Beispiele stehen  im Vordergrund, das Gros tierschutzwidriger Missstände wird dagegen ausgeblendet.

Statt der Öffentlichkeit ein realistisches Bild über die Zustände in den Ställen zu vermitteln, betreibt die Bundesregierung massive Schönfärberei. Sie hintertreibt dadurch den längst überfälligen gesellschaftlichen Diskurs über eine tiergerechte Nutztierhaltung.
Matthias Wolfschmidt Veterinärmediziner und internationaler Kampagnendirektor bei foodwatch

Sogar der eigene wissenschaftliche Beirat im Agrarministerium hält die Nutztierhaltung in ihrer derzeitigen Form für „nicht zukunftsfähig“. Als Grund nennt das Gremium unter anderem die systematischen Erkrankungen von Nutztieren. Auf den Internetseiten des Bundesagrarministeriums werden diese Missstände hingegen nicht erwähnt. Im Gegenteil: An etlichen Stellen werden die Zustände in der Tierhaltung beschönigt. Fünf Beispiele:

  • „So leben Schweine“: In der auf „landwirtschaft.de“ veröffentlichten Broschüre „So leben Schweine“ wird die Schweinehaltung wie folgt umschrieben: „Ein geschlossener, klimatisierter Stall ohne Einstreu ist der Standard in der konventionellen Schweinehaltung. Von äußeren Einflüssen abgeschirmt, ist es möglich, ein hohes Maß an Hygiene zu erreichen. Krankheiten werden so nicht leicht übertragen.“ Unerwähnt bleibt: Rund ein Fünftel aller in Deutschland geschlachteten Schweine, etwa 13 Millionen, überleben die Mastzeit nicht. Statt geschlachtet zu werden, enden ihre Körper in Tierkörperbeseitigungsanlagen. Zudem zeigen die an jedem Schlachtkörper durchgeführten amtlichen Untersuchungen eine große Bandbreite an Krankheiten und Schäden – und zwar bei mindestens jedem dritten Tier, wie aktuelle Daten des Schlachtkonzerns Vion zeigen. Besonders häufig kommt es demnach zu Entzündungen an Lungen, Herzbeuteln und Leber.
  • Betäubung von Schweinen: In der Broschüre heißt es außerdem, dass der „Transport von Schweinen und ihre Schlachtung gesetzlich geregelt“ sind, „sodass sie möglichst mit wenig Stress durchgeführt werden“. Unerwähnt bleibt:  Nach Angaben der Bundesregierung werden Tiere in etlichen Fällen bei Bewusstsein geschlachtet. Laut einer offiziellen Statistik liegt die Fehlbetäubung bei handgeführten Betäubungsanlagen bei 12,5 Prozent, die Dunkelziffer könnte höher sein.
  • Kastenstand in der Schweinehaltung: Auf „landwirtschaft.de“ wird auch auf das Leben der Mutterschweine eingegangen: „Eine Sau bekommt pro Wurf durchschnittlich 10 bis 15 Ferkel. (...) Ferkelschutzkörbe sollen verhindern, dass die Muttersau ihre Nachkommen versehentlich erdrückt.“ Unerwähnt bleibt: „Ferkelschutzkörbe“ – auch bekannt als Kastenstände – verursachen laut Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hohen Stress und Frustrationen und bringen ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen und Verhaltensstörungen mit sich. Im Kastenstand können sich die Sauen vier Wochen lang nicht bewegen und oftmals nicht einmal in Seitenlage strecken. Das Argument der Landwirte, die Sauen müssten fixiert sein, um ihre Ferkel nicht zu erdrücken, ist längst widerlegt. Sind die Ställe groß genug und entsprechend ausgerüstet, sind die Ferkel-Verluste nachweislich nicht größer.
  • Haltungsformen bei Milchkühen: Die Unterseite von „tierwohl-staerken.de“ mit dem Titel „Nutztiere“ / „Blick in den Stall“ zeigt anhand von ausgewählten Betrieben Beispiele für Tierhaltung in Deutschland. Die Liste beginnt mit einem Betrieb, der Mutterkuhhaltung betreibt. Es entsteht der Eindruck, dass die als „sehr tiergerecht” gelobte Mutterkuhhaltung, bei der die Kälber bis zu neun Monaten bei der Mutter bleiben und die Kühe „viel Zeit auf der Weide” verbringen, einen Standard in der Rinderhaltung repräsentiert. Dabei repräsentiert diese Haltung nur einen kleinen Anteil an den Haltungsverfahren von Rindern. Unerwähnt bleibt zudem: Jedes fünfte Rind in Deutschland lebt in der Anbindehaltung. Die permanente Fixierung geht mit erheblichen physischen und psychischen Folgen sowie schmerzhaften Klauen- und Eutererkrankungen einher.
  • Leben auf Spaltenböden: Auf der Internetseite „tierwohl-staerken.de“ beschreiben die Autor*innen unter der Rubrik „Schweine“ / „Das Leben im Stall“, dass „circa neun von zehn Schweinen auf perforierten Betonspaltenböden gehalten“ werden. „Der Vorteil: Durch sie kann der Harn abfließen und Kot durchgetreten werden.“ Unerwähnt bleibt: Spaltenböden lösen nachweislich Gelenkschäden und große Schmerzen aus. Das permanente Einatmen der Schadgase des Flüssigmistes schadet den Atemwegen und der Lunge.

Wichtige Fakten werden ausgelassen

Auch in den Fachberichten der Bundesregierung kommuniziert das Bundesagrarministerium tendenziös. Wichtige Fakten zur Situation der Tiergesundheit werden nicht erwähnt. Besonders im „Tierschutzbericht 2019“ der Bundesregierung erwartet man eigentlich eine Übersicht über die Situation der landwirtschaftlich genutzten Tiere, besondern zu den aktuell grassierenden Produktionskrankheiten. Missstände in der Nutztierhaltung werden jedoch in allen untersuchten Berichten, darunter auch im „Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2019“ sowie in der „Nutztierstrategie“, nur vereinzelt und beiläufig genannt. Stattdessen erwähnen die veröffentlichten Texte Initiativen, die den Tierschutz verbessern sollen, ohne die problematische Ausgangssituation zu beschreiben.

Julia Klöckner muss nachbessern!

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner muss die Situation in der Nutztierhaltung umfassend und realistisch auf den offiziellen Internetseiten ihres Ministeriums darstellen. Nur so kann das Ministerium den Prinzipien staatlicher Öffentlichkeitsarbeit – sowie den eigenen formulierten Ansprüchen – gerecht werden.