EU lockert Grenzwerte für Produkte aus Japan
Absurd: Für Produkte aus Japan gelten beim Import nach Deutschland jetzt laxere Grenzwerte für die radioaktive Belastung als vor dem Reaktorunfall in Fukushima – und laxere als in Japan selbst. Mit einer Eilverordnung hat die EU am 27. März die Cäsium-Grenzwerte gelockert.
Grund zur Sorge über radioaktiv belastete Lebensmittel besteht in Europa zurzeit nicht: Japan exportiert überhaupt nur sehr wenige Lebensmittel, und seit dem Fukushima-Unglück ist der Handel nahezu zum Erliegen gekommen. Die Folgen der verheerenden Reaktorkatastrophe treffen bisher vor allem die Menschen in Japan. Doch aus Vorsorgegründen werden in Europa bereits Maßnahmen ergriffen.
Grenzwerte wie im nuklearen Notstand
Per Eilverordnung hat die EU-Kommission Maßnahmen aus einer Verordnung in Kraft gesetzt, die seit 1987 in den Schubladen lag. Seit dem 27. März 2011 greifen damit einerseits strengere Kontrollregelungen für Produkte aus Japan. Für das kurzlebige radioaktive Jod-131, für das es zuvor keinen Grenzwert gab, wird außerdem ein Grenzwert eingeführt. Andererseits gelten damit aber auch höhere Grenzwerte für die langlebigen radioaktiven Substanzen Cäsium-134 und Cäsium-137.
Für die meisten Lebensmittel aus Japan sind die zulässigen Höchstwerte mit 1.250 Becquerel/Kilogramm nun doppelt so hoch wie das bisher angewandte Limit von 600 Becquerel/Kilogramm. Für Säuglingsnahrung gilt damit ein Grenzwert von 400 (vorher 370), für Milch und Milchprodukte eine Höchstgrenze von 1.000 (vorher 370) Becquerel/Kilogramm. Bestimmte Produkte aus Japan wie Fischöl oder Gewürze, die nur in geringen Mengen verzehrt werden, dürfen sogar mit bis zu 12.500 Becquerel/Kilogramm belastet sein – ein 20-faches des bisherigen Wertes.
Alte und neue Grenzwerte für Cäsium-134 und Cäsium-137
Lebensmittel | Bisheriger EU-Grenzwert in Becquerel pro Kilogramm | Neuer Grenzwert in Becquerel pro Kilogramm |
Nahrungsmittel für Säuglinge | 370 | 400 |
Milcherzeugnisse | 370 | 1.000 |
Flüssignahrungsmittel | 600 | 1.000 |
Nahrungsmittel mit geringer Bedeutung (beispielsweise Süßkartoffeln, Knoblauch, Ingwer, Fischöl, Gewürze wie Zimt und Curry) | 600 | 12.500 |
Sonstige Lebensmittel | 600 | 1.250 |
foodwatch fordert Importstopp
Die Verordnung „aus der Schublade", die diese nun in Kraft gesetzten höheren Grenzwerte vorsieht, war unter dem Eindruck der Tschernobyl-Katastrophe entstanden. Im Falle eines „radiologischen Notstandes“ in Europa sollten im Zweifel diese Höchstwerte in Kauf genommen werden, damit die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nicht gefährdet ist. Jedoch gibt es aktuell zwar in Japan, nicht aber in Europa einen atomaren Notstand, auch wird es in Europa nicht zu Versorgungsengpässen kommen. Ein Importstopp, wie ihn auch Länder wie Südkorea und China kürzlich wegen des Dioxinsskandals für Schweinefleisch aus Deutschland ausgesprochen hatten, wäre die einfache und sichere Lösung.
Grenzwerte bisher für Importe in die EU
Grundsätzlich sind für Lebensmittelimporte nach Europa Cäsium-Aktivitäten von bis zu 370 Becquerel pro Kilogramm bei Säuglingsnahrung und 600 Becquerel pro Kilogramm für alle anderen Lebensmittel zulässig. Das regelt die sogenannte "Tschernobyl-Verordnung" Nr. 733/2008, die zuletzt im Oktober 2009 bis ins Jahr 2020 verlängert worden ist. Zwar verbreiten EU-Kommission und Bundesregierung die Auslegung, dass diese Grenzwerte nur für unmittelbar von der Tschernobyl-Katastrophe betroffene Länder gelte. Für japanische Lebensmittelimporte hätte es demnach bislang überhaupt keine Radioaktivitäts-Grenzwerte gegeben. In der Praxis jedoch wurden die Grenzwerte der „Tschernobyl-Verordnung“ grundsätzlich für Lebensmittel angewendet, also auch für Produkte aus Japan.
Manfred Kutzke, Abteilungsleiter bei dem für die Kontrolle von Lebensmittelimporten zuständigen Institut für Hygiene und Umwelt der Stadt Hamburg bestätigte foodwatch: „Für Produkte aus Japan – und nur für diese – gelten jetzt höhere Grenzwerte als vor dem Atomunfall. Das heißt, würde ein aus dieser Region importierter Pilz eine Belastung von 800 Becquerel pro Kilogramm aufweisen, dann würde dieser zurzeit nicht beanstandet. Vor Fukushima wäre er wegen Überschreitung des Grenzwertes von 600 Becquerel pro Kilogramm beanstandet worden, wie weiterhin auch ähnlich belastete Produkte aus anderen Regionen." Darüber hinaus dürfte ein Pilz mit einer Belastung von 800 Becquerel aus Russland aktuell nicht in die Europäische Union eingeführt werden – aus Japan aber schon.
EU-Grenzwerte höher als in Japan selbst
Eine weitere Konsequenz aus der absurden EU-Politik: Die jetzt in Europa gültigen Strahlen-Limits sind sogar lockerer als die Grenzwerte in Japan. Rein theoretisch könnten also Lebensmittel, die in Japan selbst wegen ihrer Belastung nicht mehr verkauft werden dürfen, ganz legal nach Europa exportiert werden. Zwar ist dies nur eine theoretische Möglichkeit und die tatsächliche Gefahr für die europäischen Verbraucher ist aktuell gering – aber ein effektiver „vorsorgender Verbraucherschutz“, der im Moment laut Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner „absolute Priorität“ hat, sieht anders aus. Und eine ehrliche Informationspolitik auch – denn die Ministerin hatte über die gelockerten Höchstgrenzen gar nicht erst informiert.