Studie Finanzspekulation und Nahrungsmittelpreise

Spekulation mit Nahrungsmittel, © Merzavka / istockphoto.com

In einer Metastudie hat der Bremer Professor für Internationale Wirtschaft Hans-Heinrich Bass im Auftrag von foodwatch zahlreiche Studien analysiert, die den Einfluss der Finanz­spe­ku­lation auf Nahrungs­mittelpreise untersuchen. Die Analyse entkräftet zentrale Argumente der Spekulationsbefürworter um Deutsche Bank, Allianz und den Wittenberger Ethikprofessor Ingo Pies. Die Fortführung der Spekulation mit Nahrungsmitteln ist damit nicht mehr zu rechtfertigen. 

Im Gegensatz zu der hitzigen politischen Debatte ist der wissenschaftliche Diskurs darüber, wie sich exzessive Spekulationen mit Agrarrohstoffen an den Rohstoff-Terminbörsen auf die Lebensmittelpreise auswirken, in Deutschland dürftig. Dominiert wird er von einer Wissenschaftlergruppe um den Wittenberger Wirtschaftsethiker Ingo Pies und den Agrarökonomen Thomas Glauben aus Halle. Diese stellen die These auf, es gebe einen wissenschaftlichen Konsens, dass die finanzmarktgetriebenen Spekulationen „mit Sicherheit“ positive Auswirkungen haben und sich befürchtete negative Auswirkungen nicht nachweisen lassen.

Hans-Heinrich Bass, Professor für Internationale Wirtschaft an der Hochschule Bremen hat im Auftrag von foodwatch den Stand der Wissenschaft und insbesondere die Quellen der Papiere von Pies und Glauben analysiert.

foodwatch zieht aus der Analyse folgende Schlüsse:

Die These von Pies/Glauben, es gebe einen wissenschaftlichen Konsens über die Nicht-Schädlichkeit der Spekulation mit Agrarrohstoffen, ist nicht haltbar. Die von der Forschergruppe getroffene Auswahl der Studien zur Stützung ihres Argumentes ist einseitig und schätzt die Aussagekraft formaler Methoden falsch ein. Studien mit identischen methodischen Ansätzen, aber unterschiedlichem Betrachtungszeitraum kommen zu gegenteiligen Ergebnissen.

Zudem befassen sich Pies/Glauben, die keine eigene empirische Primärforschung des Untersuchungsgegenstandes betreiben, nur mit den Auswirkungen der Indexfonds-Spekulationen. Diese machen aber nur einen Teil der Kapitalanleger an den Terminbörsen aus. Andere Investitionskategorien bzw. Investoren wie z. B. Hedgefonds, Pensionsfonds etc. werden nicht betrachtet. Dennoch suggerieren Pies/Glauben unzulässigerweise, ihre Schlussfolgerungen seien genereller Natur, die sich auf alle an den Rohstoffterminbörsen tätigen Finanzakteure beziehen. Konsequenterweise weisen sie auch Regulierungsmaßnahmen zur Verhinderung exzessiver Spekulation zurück. 

Bereitwillig haben wichtige Finanzakteure in Deutschland – allen voran die Allianz und die Deutsche Bank – die Thesen von Pies/Glauben aufgegriffen. Explizit auf Pies/Glauben bezieht sich der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau. So behauptete er in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. Januar 2013: „Der Einfluss von Finanzanlagen auf die Preise für landwirtschaftliche Güter ist statistisch nicht signifikant.“

Dass die Deutsche Bank ihre schwerwiegende politische Entscheidung, an den Agrarrohstoff-Spekulationen festzuhalten, auf wissenschaftlich derart dürftige Untersuchungen wie die von Pies/Glauben stützt, ist ein Armutszeugnis. Diese einseitige Bezugnahme führt dazu, dass selbst Thesen übernommen werden, die mittlerweile von der überwiegenden Mehrheit wissenschaftlicher Arbeiten zurückgewiesen werden.

So behauptet David Folkerts-Landau, Kassapreise könnten durch Finanzspekulationen nicht in die Höhe getrieben werden, weil Rohstoffindexfonds nicht mit physischen Rohstoffen hinterlegt seien und deshalb der Kauf eines Terminkontraktes durch einen Indexfonds keine neue Nachfrage und der Verkauf des Instruments kein Angebot des zugrundeliegenden Rohstoffes darstelle. Identisch argumentiert Prof. Ingo Pies: „Ein hohes Volumen an Sportwetten hat praktisch keinen Einfluss darauf, welche Leistungen die Sportler im Wettkampf erbringen. In ähnlicher Weise hat das hohe Volumen der Indexspekulation einen allenfalls geringen Einfluss auf das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage auf dem Kas-samarkt.“ Die allermeisten wissenschaftlichen Studien belegen hingegen, dass es über Arbitra-gemechanismen und Informationskanäle einen Zusammenhang zwischen der Preisbildung und den Termin- und Kassamärkten gibt und dass die Terminmärkte die Kassamärkte dominieren.

Dass, anders als von Pies/Glauben behauptet, kein wissenschaftlicher Konsens über die Unschädlichkeit von Agrarrohstoff-Spekulationen existiert, heißt aber nicht, dass es deshalb einen wissenschaftlichen Konsens über deren Schädlichkeit gibt. Es ist unstrittig, dass für die langfristigen Preisentwicklungen bei Lebensmitteln vor allem fundamentale Faktoren, z.B. Bevölkerungsentwicklung, Ernte, Fleischkonsum etc., ursächlich sind. Dennoch weisen auch in Deutschland zunehmend wissenschaftlich qualifizierte Untersuchungen darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen finanzmarktgetriebenen Spekulationen an den Rohstoff-Terminbörsen und Preissteigerungen von Lebensmitteln geben kann. Dazu gehören Arbeiten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, des Center of Quantitative Economics an der Universität Münster (Prof. Martin Bohl) und des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn (Prof. Joachim v. Braun).

Die entscheidende Frage ist die nach dem politischen Handlungsbedarf bei uneindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnis. Auf eine definitive, endgültige Antwort der Wissenschaft darf nicht gewartet werden. Dies liegt in der Natur der ökonomischen Methoden und der mangelnden Qualität der zur Verfügung stehenden Daten. Beispielsweise kann eine saubere Unterscheidung zwischen Finanzspekulanten und Akteuren, die Preise absichern wollen („Hedger“), also z.B. Farmern oder Getreide-Verarbeitern, heute nicht mehr getroffen werden.

Große Getreidehandelshäuser versichern ihre Ware nicht nur auf den Terminmärkten gegen Preisänderungen, sondern treten auch selber als Finanzanleger auf. Genauso wie große Finanzanleger, z. B. Investmentbanken, auch eigene physische Rohstofflager unterhalten. Schließlich haben auch die ökonomische Methodik und Theorie Grenzen. Ökonometrische Aussagen, wie der oft verwendete „Granger-Kausalitätstest“, können höchstens zeitliche Zusammenhänge von Phänomenen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit beschreiben, doch niemals ursächliche Wirkungszusammenhänge eindeutig belegen. Diese Methodenschwäche bezieht sich natürlich auf alle Studien, sowohl die spekulationskritischen als auch die spekulationsbefürwortenden Untersuchungen. Umso wichtiger ist es, bei einer Beurteilung der finanzmarktgetriebenen Spekulationen an den Rohstoff-Terminbörsen auch die Erfahrungen von Praktikern (z. B. Analysten, Fondsmanager) oder Marktteilnehmern (z. B. Hersteller, Händler, Verarbeiter) zu berücksichtigen. 

Die wissenschaftlich nicht eindeutige Ausgangslage ist für foodwatch kein Grund zum Abwarten, sondern ein Gebot zum Handeln. foodwatch fordert die Anwendung des „Vorsorgeprinzips“ und der diesem Prinzip innewohnenden Umkehr der Beweislast. Das ist keineswegs ein „Trick“, sondern es ist die Anwendung eines Gebots der Europäischen Verfassung (Lissabon-Vertrag) .

Das Vorsorgeprinzip kann keineswegs beliebig angewendet werden. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips gilt ausdrücklich für die Bereiche Umweltschutz, Agrarpolitik und menschliche Gesundheit. Es dient dazu, Risiken irreversibler, langfristig schädlicher Auswirkungen für Umwelt und die Gesundheit von Menschen vorsorglich zu vermeiden, auch wenn sie noch nicht mit letzter wissenschaftlicher Sicherheit nachgewiesen sind. sind. Entscheidend ist die Ersetzung der konkreten hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch die reine Möglichkeit, die abstrakte Besorgnis eines Schadenseintritts. Die Angemessenheit der Zweck-Mittel-Relation ist dabei zu beachten. Im Falle der Agrarrohstoffspekulation sind diese Voraussetzungen gegeben:

  • Es gibt genügend Hinweise wissenschaftlicher und empirischer Art, dass es in bestimmten Situationen durch die exzessive Finanzspekulation zu Preissteigerungen mit irreversiblen Schäden für die Gesundheit von Menschen kommen kann. Schon eine durch Preis-Schocks bedingte kurzfristige Unterbrechung der Zufuhr mit wichtigen Nährstoffen kann jedoch bei ohnehin unterernährten Kindern zu irreversiblen geistigen und körperlichen Schäden oder zum Tod führen.

  • Finanzinvestoren sind im heutigen Umfang erst um die Jahrtausendwende im Rahmen der Deregulierung der Finanzmärkte an den Rohstoff-Terminbörsen tätig geworden. Sie verfolgen lediglich das Ziel, zusätzliche, rentable Kapitalanlagemöglichkeiten zu schaffen. Für die eigentliche Funktion der Rohstoff-Terminbörsen, nämlich die Absicherung gegen Preisschwankungen, ist diese Ausweitung der Rohstoff-Terminbörsen nicht nötig. Eine strikte Regulierung der Rohstoff-Terminbörsen, um exzessive Finanzspekulationen zu vermeiden, würde deshalb eine Re-Regulierung bedeuten und keinen unzulässigen Eingriff in bewährte Geschäftspraktiken.

Das Handeln nach dem „Vorsorgeprinzip“, also eine effektive Regulierung der Rohstoffterminbörsen, ist ein Gebot des Allgemeinwohlschutzes. Es ist schamlos, wie die Allianz und die Deutsche Bank, die der Sozialpflichtigkeit des Eigentums verpflichtet sind und den Geboten der deutschen und europäischen Verfassung unterliegen, Aktivitäten durchführen und rechtfertigen, die Dritte unwiderruflich und langfristig schädigen können. Aktivitäten, die lediglich das Ziel haben, die Rentabilität von privaten Finanzanlagen zu verbessern.

foodwatch fordert deshalb nicht nur, die Warenterminmärkte strikt zu regulieren, sondern appelliert auch an Finanzmarktakteure wie die Allianz und die Deutsche Bank, freiwillig und umgehend auf diese potenziell schädlichen Nahrungsmittel-Spekulationen zu verzichten.