Listerienbelastete Wurst: foodwatch kritisiert katastrophale Informationspolitik von Landkreis und Wurstproduzent Wilke
- Verbraucherorganisation fordert Information über Verkaufsstellen und Produktliste
- Warnungen von Unternehmen und Landkreis nicht ausreichend
- Landkreis war 2018 im Bereich der Lebensmittelkontrollen massiv unterbesetzt
Die Verbraucherorganisation foodwatch hat dem Landkreis Waldeck-Frankenberg und dem Wurstproduzenten Wilke schwere Versäumnisse bei der Informationspolitik im Zusammenhang mit dem Rückruf potenziell keimbelasteter Wurst vorgeworfen. Es sei inakzeptabel, dass noch immer keinerlei Angaben zu den Verkaufsstellen der zurückgerufenen Produkte gemacht wurden. Auch gebe es bislang keine Liste der betroffenen Produkte.
Den offiziellen Rückrufangaben zufolge wurden Wilke-Produkte beispielsweise auch als lose Ware in Wursttheken verkauft. Zudem produzierte Wilke offenbar auch für Handelsmarken. So bestätigte das Personal in einem Berliner Metro-Markt gegenüber foodwatch, dass Wilke auch der Hersteller einiger Produkte sei, die der Großhändler unter seiner Eigenmarke Aro vertreibt. Unklar ist, ob auch andere, von Wilke selbst vertriebene Marken betroffen sind. Aus Sicht von foodwatch reicht es daher nicht aus, ausschließlich Wilke als Hersteller der zurückgerufenen Produkte sowie das Identitätskennzeichen zu benennen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten die Herkunft der Produkte nicht sicher nachvollziehen, kritisierte foodwatch.
„Die Behörden müssen alles dafür tun, um die Menschen rechtzeitig vor dem Verzehr potenziell gefährlicher Lebensmittel zu warnen – genau das haben der Landkreis und das Unternehmen versäumt. Die Menschen werden im Stich gelassen. Auch wenn es um Salami geht, eine Salami-Taktik bei der öffentlichen Information ist hier völlig fehl am Platz“, kritisierte foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. „Alle bekannten Verkaufsstellen und die Namen der betroffenen Produkte auch von Handelsmarken müssen unverzüglich öffentlich genannt werden.“ foodwatch rief die Handelsunternehmen dazu auf, bekannt zu geben, ob sie Wilke-Produkte unter eigenen Marken verkauft haben. Der zuständige Landkreis müsse zudem transparent machen, ob und wann die Verkaufs- und Ausgabestellen von Wilke-Produkten direkt kontaktiert worden sind.
foodwatch kritisierte darüber hinaus weitere Versäumnisse in der Information über den Rückruf:
- Auf der Internetseite von Wilke konnten wir bislang keinerlei Information über den Rückruf und die Verzehrwarnung finden.
- Die offizielle Rückrufinformation wurde erst deutlich nach der Betriebsschließung auf dem offiziellen Behördenportal lebensmittelwarnung.de verbreitet worden - dadurch ging unnötig Zeit verloren, in der Menschen bereits vor dem Verzehr hätten gewarnt werden können.
- Auf seiner facebook-Seite informierte der Landkreis zwar darüber, dass am Donnerstag „Tag der deutschen Einheit war“ – eine Verzehrwarnung und Rückrufinformation zu den Wilke-Produkten konnte foodwatch dort jedoch bis Freitagvormittag nicht finden.
- Der Landkreis hatte auf der Startseite seines Internetauftritts zunächst nur den Hinweis darauf publiziert, dass die „Produktion der Firma Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren stillgelegt“ wurde – eine Warnung der Verbraucherinnen und Verbraucher ist dem kurzen Text auf der Homepage nicht zu entnehmen.
- Erst die darunter verlinkte Presseerklärung weist auf einer Unterseite auf eine potenzielle Gefährdung hin – es werde „empfohlen, ggf. noch im Haushalt vorhandene Produkte der Firma Wilke nicht zu verzehren, sondern vorsorglich zu entsorgen“. Aus Sicht von foodwatch wäre hier eine deutliche Warnung statt einer weichen Empfehlung angebracht gewesen – zudem sollten Betroffene keinesfalls dem Aufruf folgen, mögliche Beweismittel zu entsorgen.
Der Landkreis und das hessische Umweltministerium müssten laut foodwatch umgehend über die Abläufe vor der Betriebsschließung aufklären. Wer hatte zu welchem Zeitpunkt welche Information? Wann wurden an welcher Stelle Proben genommen und Listerien nachgewiesen? Wie wurde darauf reagiert? An beide Stellen hat foodwatch bereits am Freitag erste Fragen geschickt und erwartet hieraufbis spätestens Montag Antwort.
In einem Interview mit der Hessenschau des HR-Fernsehens am 2. Oktober 2019 erweckte der zuständige Dezernent des Landkreises Friedrich Schäfer den Eindruck, als liege das größte Problem in der Schließung eines Unternehmens, in dem „Freunde und Bekannte arbeiten“ und nicht in den schweren gesundheitlichen Folgen, mit dem der Verzehr von Wilke-Produkten in Verbindung gebracht werden. Aus Sicht von foodwatch sind die Aussagen Schäfers – der im Landkreis „Dezernent für Verbraucherschutz und Direktvermarktung“ ist – mustergültiges Argument dafür, die Lebensmittelüberwachung nicht mehr auf kommunaler Ebene zu organisieren. Geschäftsführer Martin Rücker: „Es kann nicht gut sein, wenn ein und dieselbe Behörde für Lebensmittelkontrollen und für die lokale Wirtschaftsförderung zuständig ist - diesen Interessenkonflikt müssen wir auflösen, indem die Bundesländer die Kontrolltätigkeit an sich ziehen und auf Landesebene organisieren.“
foodwatch bemängelte, dass dem Verbraucherschutz im Landkreis Waldeck-Frankenberg in der Vergangenheit kein großer Stellenwert beigemessen wurde. Das Veterinäramt ist nach Auffassung der Verbraucherorganisation eklatant unterbesetzt. Im Jahr 2018 kamen nach Angaben des Landkreises gegenüber foodwatch gerade einmal 3,15 Stellen für Lebensmittelkontrolleure auf annähernd 3.000 zu kontrollierende Betriebe. Bei den Betriebskontrollen verstieß der Landkreis massiv gegen die Vorgaben: 2018 führte er nur etwa die Hälfte der vorgeschriebenen planmäßigen Betriebskontrollen durch. „Das ist politisches Versagen - ob dies auch im Fall Wilke eine Rolle gespielt hat, wird zu prüfen sein“, so foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.