SPD

Antwortvorschlag und Argumente zur Antwort der SPD

Kopieren Sie diesen Text, variieren Sie ihn gerne – weiteren inhaltlichen Input finden Sie weiter unten in unserer Einschätzung der Standard-Antwort der SPD – und antworten Sie Ihren SPD-Abgeordneten!

Sehr geehrter/ geehrte …

vielen Dank für Ihre Antwort auf mein Schreiben zum geplanten Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP.

Sie gehen darin auf die geplanten Schiedsgerichte für Klagen von Investoren gegen den Staat ein. Mit der Frage der Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums setzen Sie sich bedauerlicherweise nicht auseinander. Ebenso wenig gehen Sie auf die von mir konkret genannten Beispiele ein, die aufzeigen, dass und wie TTIP Sie in der Ausübung Ihres Mandats als Abgeordnete(r) einschränken und mithin den Spielraum der Parlamente in der EU und den Mitgliedsstaaten beschränken würde.

Zutreffend ist, dass die Bindungswirkung internationaler Abkommen nichts Ungewöhnliches ist.  Im Rahmen von TTIP sind indes eigenständige regulatorische Kompetenzen vorgesehen. Das heißt, das europäische Sekundärrecht müsste künftig, ebenso wie das einfache nationale Recht, den in Ausübung dieser regulatorischen Kompetenzen erlassenen Regulierungen entsprechen.

Das wiederum bedeutet: Die von uns in Europa und Deutschland zukünftig beschlossenen Gesetze dürfen nur so weit gehen, wie es TTIP erlaubt. Sonst werden wir im Verhältnis zu unseren Handelspartnern vertragsbrüchig und riskieren Vertragsstrafen bzw. Handelssanktionen.

Dadurch besteht die konkrete Gefahr, dass gesellschaftspolitische Standards, seien es Verbraucherrechte, Arbeitnehmerrechte sowie Tierhaltungs- und Umweltschutzstandards durch TTIP auf einem zum Teil unzureichenden Niveau eingefroren zu werden. Veranschaulichen lässt sich das durch das im Rahmen von TTIP angewendete Prinzip der „gegenseitigen Anerkennung von Standards“. Wenn z. B. bestehende Standards der Gentechnikkennzeichnung oder der Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln, die wir für unzureichend und deshalb für verbesserungsbedürftig halten, durch TTIP gegenseitig anerkannt werden, kann ein Vertragspartner eben diese Standards nur noch einvernehmlich, nicht mehr einseitig ändern. Führt er die Änderung gegen den Willen des Partners durch, riskiert er Vertragsstrafen bzw. Handelssanktionen. Das könnte Gesetzgebungsverfahren erheblich verzögern, Vorhaben verwässern oder unmöglich machen. Bei der Weiterentwicklung gesellschaftspolitscher Standards machen wir uns damit abhängig von unseren Handelspartnern.

Das gilt nicht nur für EU-Gesetze, sondern auch für Bereiche, für die noch die Nationalstaaten zuständig sind. Die Weiterentwicklung bzw. Verbesserung von gesellschaftspolitischen Standards würde in Zukunft erschwert, wenn nicht gar in bestimmten Bereichen unmöglich gemacht werden. Das Bestehenbleiben formeller Gesetzgebungskompetenzen bedeutet nicht, dass diese in ihrer materiellen Ausgestaltung nicht tangiert würden. Im Gegenteil, ist das doch gerade Sinn und Zweck eines Abkommens wie TTIP, in dem es auch um die Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse gehen soll.

Ich bitte Sie daher nochmals, auf mein Schreiben zu antworten und sich auf die darin genannten konkreten Beispiele zu beziehen, die demonstrieren, wie TTIP Ihren Einfluss als Mandatsträger(in) mindert.

Daran schließt sich – ebenfalls erneut - die Frage an, ob Sie sich bewusst sind, wie stark TTIP Sie in der Ausübung Ihres Mandats einschränken wird und ob Sie das akzeptieren. Ihre bisherige Reaktion deute ich so, dass Ihnen dieser Umstand möglicherweise gleichgültig ist. 

Ich freue mich, von Ihnen zu hören!

Mit freundlichen Grüßen

Hier die foodwatch-Einschätzung der Argumente aus der Standard-Antwort der SPD:

Aus dem SPD-Schreiben: „Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass völkerrechtliche Verträge der Europäischen Union mit Drittstaaten in der Handelspolitik nichts Ungewöhnliches sind. Das bisher umfassendste Regelwerk der Handelspolitik betrifft die Schaffung der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1995. Teil dieses Regelwerks sind Einzelverträge über Bereiche, die auch Sie in Ihrer Mail ansprechen, nämlich Regeln zu Lebensmitteln im sogenannten „SPS“-Abkommen (über sanitäre und phytosanitäre Vorschriften) aber auch technische Vorschriften bis hin zu Fragen des Geistigen Eigentums und der Freiheit der Dienstleistungen.

Diesem großen Vertragswerk haben seinerzeit nicht nur die Parlamente aller Mitgliedstaaten zugestimmt, es findet bereits auch Anwendung im Verhältnis der EU-Staaten einerseits und den USA andererseits, da alle diese Staaten Mitglied der Welthandelsorganisation WTO sind.“

Einschätzung von foodwatch: Völkerrechtliche Verträge sind nichts Ungewöhnliches – das stimmt. Sie sind auch per se nichts Schlechtes. Im Gegensatz zu bereits bestehenden Freihandelsabkommen, wird TTIP (wie auch das bereits ausgehandelte CETA-Abkommen mit Kanada) jedoch wesentlich darüber hinausgehen. Denn bei TTIP geht es eben nicht nur um die Absenkung von Zöllen oder die Vereinheitlichung von technischen Standards wie Blinkerfarben oder Schraubenlängen. Es geht auch, wenn nicht vor allem um regulatorische Kooperationen und um „gesellschaftspolitische Standards“, wie Verbraucherrechte, Arbeitnehmerrechte aber auch Gesundheits- und Umweltschutzstandards. Durch die bei TTIP mögliche „gegenseitige Anerkennung“ besteht die Gefahr, dass die in vielen Bereichen verbesserungswürdigen Standards eingefroren werden. Denn diese gegenseitige Anerkennung ist bindend. Eine Änderung könnte nur im Einvernehmen mit dem Vertragspartner durchgesetzt werden. Andernfalls läge ein Rechtsbruch vor, der Vertragsstrafen bzw. Handelssanktionen nach sich ziehen kann. Weiterentwicklungen, etwa auch zur Konkretisierung des Vorsorgeprinzips würden mit TTIP erheblich behindert, wenn nicht gar praktisch unmöglich gemacht.

Aus dem SPD-Schreiben: „Über durchaus vorhandene Auffassungsunterschiede zwischen der EU und den USA, etwa im Bereich der Lebensmittelstandards in Bezug auf die Gentechnik, wurden bei der WTO auch bereits Streitschlichtungsverfahren geführt. Dies alles hat den Vorteil, dass die Verhandler der Europäischen Union nicht blauäugig in die Verhandlungen um TTIP gehen, sondern sich der Unterschiede und Gefahren wohl bewusst sind. Und auch die Bundesregierung, die über die wöchentlichen Unterrichtungen im Handelspolitischen Ausschuss sehr engmaschig über den Verhandlungsstand informiert ist, kann in diesen und anderen für die Bevölkerung sensiblen Bereichen ihre Position konstruktiv einbringen.

Die Verhandler der Europäischen Kommission haben auch keine Freiheit, sich über europäische Standards hinwegzusetzen oder diese zu untergraben. Denn sie werden eingegrenzt durch das Mandat, welches die europäischen Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Kommission einstimmig erteilt haben.“

Einschätzung von foodwatch: Die eigentliche Gefahr ist, dass unsere Standards – u. a. durch die geplante gegenseitige Anerkennung – auf dem teilweise sehr niedrigen Niveau festgeschrieben werden und eine Weiterentwicklung erheblich behindert wird (s.o.). Mit TTIP müssen Gesetzesvorhaben zunächst vom Handelspartner USA überprüft werden. Das verzögert Gesetzgebungsverfahren nicht nur, sondern verwässert vor allem Vorhaben. Erst nach einem Scheitern von Schlichtungverfahren könnte sich die EU entscheiden, gegen den erklärten Willen des Vertragspartners dennoch eine Regulierung zu verabschieden. Bei der Weiterentwicklung gesellschaftspolitscher Standards machen wir uns damit abhängig von unseren Handelspartnern.

Aus dem SPD-Schreiben: „Um die Bindungswirkung eines völkerrechtlichen Vertrags der Europäischen Union im Umfang des angestrebten TTIP-Abkommens zu rechtfertigen, vertritt die SPD-Bundestagsfraktion die Auffassung, dass TTIP durch den Bundestag und den Bundesrat ratifiziert werden muss. Nach meiner Kenntnis vertritt auch die Bundesregierung sowie alle anderen Regierungen der Europäischen Mitgliedsstaaten diese Ansicht. Damit hat jeder Bundestagsabgeordnete das Recht, über TTIP am Ende abzustimmen und ihm Legitimität zu verleihen.“

Einschätzung von foodwatch: Bis heute ist nicht geklärt, ob TTIP und CETA überhaupt „gemischte Abkommen“ sind. Die Europäische Kommisison will sich insoweit erst festlegen, wenn alle Verhandlungstexte vorliegen. Nur im Falle gemischter Abkommen wäre aber überhaupt eine Ratifizierung durch nationale Parlamente erforderlich. Aber selbst wenn diese über TTIP abstimmen dürfen, haben sie lediglich die Möglichkeit „Ja“ oder „Nein“ zu sagen. Ist der Vertragstext einmal fertig ausgehandelt, gibt es keine Einflussmöglichkeiten der Bundestagsabgeordneten auf die Bestimmungen des Vertrags mehr. Inhaltlich kann nichts mehr geändert werden. Gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum sieht anders aus.

Hinzu kommt: Die Abkommen können sogar vorläufig anwendbar auf Grund eines bloßen Beschlusses des EU-Ministerrates. Die nationalen Parlamente sind daran in keiner Weise beteiligt. Die Beteiligung des EU-Parlaments ist umstritten.

Aus dem SPD-Schreiben: „Zur Frage der von Ihnen außerdem angesprochenen privaten Schiedsgerichte im Zusammenhang mit den Investor-Staat-Schiedsverfahren sind die Verhandlungen meines Wissens nach noch nicht sehr weit fortgeschritten. Nach einer großangelegten Bürgerbeteiligung durch die Europäische Kommission im letzten Jahr werden in Kürze Reformvorschläge vorgelegt, welche die Regulierungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber weiter stärken, die Transparenz der Verfahren verbessern und Legitimation der Schiedsrichter herstellen sollen. Wir werden diese Vorschläge im Einzelnen dann genau überprüfen müssen, ob sie unseren Maßstäben genügen.“

Einschätzung von foodwatch: Schon im Verhandlungsmandat, das der EU-Kommission vom EU-Ministerrat erteilt wurde, ist die Schaffung von Investor-Staat-Klagemöglichkeiten vorgesehen. In dem bereits fertig verhandelten Vertragstext für das Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) werden Konzernen bereits weitgehende Klagemöglichkeiten vor privaten Schiedsgerichten eingeräumt. Die Klagemöglichkeiten, die in CETA festgelegt werden, gelten als Blaupause für das Abkommen mit den USA. Die gegenwärtig diskutierten Reformvorschläge zum Investor-Staat-Schiedsverfahren ändern nichts daran, dass Schiedsgerichte eine Paralleljustiz darstellen, die mit den Grundsätzen unserer Verfassung kollidiert.

Aus dem SPD-Schreiben: „Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf einen Vorschlag der sozialistischen und sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs vom 21. Februar 2015 auf ihrer Tagung in Madrid. Dort wird eine Fortentwicklung der Schiedsgerichte hin zu einem staatlichen Handelsgerichtshof empfohlen. Dieser Vorschlag wurde von der Europäischen Kommission recht gut aufgenommen und er hat in unserer Fraktion sowie im Europäischen Parlament eine lebhafte Diskussion ausgelöst. In diesem Sinne erwarte ich, dass das bisher weitgehend im Geheimen verhandelte Instrument der Investor-Staat-Schiedsverfahren anlässlich der TTIP-Verhandlungen einen längst überfälligen Reformschub erhält, der die Klagerisiken bei neuen Gesetzen zu Umwelt, Tierschutz oder Verbrauchergesundheit deutlich eindämmt.“

Einschätzung von foodwatch: Ganz gleich, welche Reformmöglichkeiten zum Inverstor-Staat-Klageverfahren von der SPD vorgeschlagen werden, stellt sich generell sich die Frage, warum bei funktionierenden Rechtssystemen, wie dem der USA und der europäischen Staaten, Inverstoren überhaupt ein weiterer Klageweg vor Schiedsgerichten eingeräumt werden sollte. Investor-Staat-Klagemöglichkeiten schränken den Handlungsspielraum von Nationalstaaten mehrfach ein: Sie greifen in die Budgethoheit von Staaten ein, wenn diese erfolgreich von Konzernen vor Schiedsgerichten verklagt werden. Ganz aktuell verklagt z.B. Vattenfall die Bundesregierung auf 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz für den Ausstieg aus der Atomenergie. Doch auch wenn Klagen nicht erfolgreich sind, beschränken sie in die Souveränität von Staaten. Denn schon allein die Androhung einer Klage kann Staaten veranlassen, auf dringend benötigte Gesetze zum Schutze des Allgemeinwohls zu verzichten.