Nach Hygienemängeln in Landsberger Wurstfabrik von Tönnies: foodwatch legt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen drei Verantwortliche in bayerischer Kontrollbehörde ein
Nach Bekanntwerden schwerer Hygienemängel in der bayerischen Wurstfabrik „Landsberger Wurstwaren“ hat die Verbraucherorganisation foodwatch Aufsichtsbeschwerde gegen drei Leitungskräfte der zuständigen Lebensmittelbehörde eingelegt. Kontrolleure des Landratsamts Landsberg am Lech hatten die teils ekelerregenden Zustände in dem heute zum größten deutschen Fleischkonzern Tönnies gehörenden Betrieb über einen längeren Zeitraum hinweg zwar dokumentiert, die Behörde verzichtete jedoch auf Sanktionen. Die Beschwerde richtete foodwatch am Freitag an die für die Fach- bzw. Dienstaufsicht Verantwortlichen, Bayerns Verbraucherschutzminister Marcel Huber sowie den Landsberger Landrat Thomas Eichinger.
„Trotz der zum Teil massiven Mängel und der wiederholt festgestellten Versäumnisse gegen die Betriebshygiene unterließ es das Landratsamt, die erforderlichen Bußgelder oder andere Sanktionen gegen das Unternehmen zu verhängen und die Öffentlichkeit über die Kontrollergebnisse zu informieren“, schrieb Johannes Heeg von foodwatch in der Aufsichtsbeschwerde. „Das Landratsamt ließ es zu, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern in großer Stückzahl und über einen langen Zeitraum Wurstwaren aus einer Produktion zugemutet wurden, in der es für die Kontrolleure erkennbar an den Voraussetzungen der Betriebshygiene mangelte.“ Die Verantwortlichen für Lebensmittelkontrollen, das Veterinär- und Gesundheitswesen im Landratsamt hätten somit in drastischer Weise gegen ihre Aufgabe verstoßen, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen.
foodwatch kritisierte, dass das Landratsamt die massiven Hygieneverstöße in der Landsberger Wurstfabrik nachträglich nur als geringfügige Mängel einstufte und damit den Beschreibungen des eigenen Lebensmittelkontrolleurs widersprach, der u.a. „schwere Fehler in der Handhabung der Basishygiene“ festhielt. Zwei von Landratsamt und Tönnies unabhängige frühere Lebensmittelkontrolleure, denen foodwatch die Kontrollberichte vorlegte, stuften die Mängel ebenfalls als schwerwiegend ein. Der ehemalige Vorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller, sprach daher nicht nur von einem Betriebs-, sondern auch von einem Behördenversagen: Es sei „völlig unverständlich, warum das Landratsamt Landsberg noch nicht einmal Bußgelder verhängte und den Betrieb einfach monatelang weiter laufen ließ“. In einer Stellungnahme an foodwatch hatte das Landratsamt auch darauf verwiesen, dass die Mängel „in der Regel“ unmittelbar durch den Betrieb abgestellt worden seien – die Kontrollberichte zeugen jedoch von wiederholten Problemen. Darin heißt es u.a.: „Dieses Problem ist bereits sehr lange bekannt“, „zum wiederholten Mal“, „die übliche stinkende Brühe“, „genauso schmutzig wie am Montag“, „altverschmutzt“, „Ein Hauptkritikpunkt war, dass wenn Probleme festgestellt werden, keine Maßnahmen eingeleitet werden“, „So war das eigentlich nicht vereinbart“, „wieder nicht sauber“.
foodwatch warf dem auch für die Wirtschaftsförderung zuständigen Landratsamt mangelnde Unabhängigkeit vor. Nachdem es die Hygienemängel in der Fabrik vertuscht habe, sei es nicht verwunderlich, dass sich der Betreiber auch weiterhin vom Landratsamt Landsberg kontrollieren lassen möchte und nicht von einer womöglich konsequenteren Behörde. Tatsächlich wehrt sich Tönnies derzeit mit einer Klage dagegen, dass für die Lebensmittelkontrollen in seinem Landsberger Betrieb künftig die landesweit operierende Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) zuständig sein soll. Das Unternehmen hat es bisher erreicht, dass statt der Spezialbehörde auch weiterhin das Landratsamt verantwortlich bleibt – von dem er bisher offenbar auch im Falle von Mängeln nichts zu befürchten hatte.
foodwatch forderte Konsequenzen auf politischer Ebene. „Behörden müssen dazu verpflichtet werden, immer alle Ergebnisse von Hygienekontrollen öffentlich zu machen – sonst ist der nächste Ekelskandal nur eine Frage der Zeit“, sagte Johannes Heeg von foodwatch. „Ministerpräsident Markus Söder muss seine Blockadehaltung gegen Transparenz in der Lebensmittelüberwachung aufgeben.“ Unter Markus Söders Verantwortung als Fachminister hatte der Freistaat in der Verbraucherschutzministerkonferenz 2011 als einziges Bundesland gegen eine Veröffentlichung von Hygienekontrollergebnissen gestimmt. Als 2012 der Hygieneskandal um die bayerische Großbäckerei Müller aufgedeckt wurde, war Markus Söder bayerischer Gesundheitsminister. Vorbild für Deutschland müsse das erfolgreiche Smiley-System aus Dänemark sein. Dort sind Lebensmittelbetriebe seit 2002 verpflichtet, die Kontrollergebnisse mithilfe eines Smiley-Schemas an der Eingangstür auszuhängen und im Internet zu veröffentlichen. Die Zahl der Beanstandungen ist seitdem deutlich zurückgegangen.
Lebensmittelkontrolleure des Landratsamts hatten zwischen Oktober 2017 und Februar 2018 bei insgesamt 41 Überprüfungen der „Landsberger Wurstspezialitäten GmbH“ immer wieder Verstöße gegen Hygienevorschriften beanstandet. Das belegen die amtlichen Kontrollberichte, die die Verbraucherorganisation am Donnerstag online gestellt hatte.
Die Firma „Landsberger Wurstspezialitäten“ ist ein Unternehmen der „Zur Mühlen“-Gruppe, die wiederum zur Tönnies-Gruppe gehört. Die Firma hat am 1. Oktober 2017 die laufenden Geschäfte der zuvor insolvent gegangenen Firma „Lutz Fleischwaren“ übernommen, ohne die Produktion zu unterbrechen. Mitte Oktober stellte das Landratsamt Landsberg Altverschmutzungen fest. Über den aktuellen Hygienezustand bei Landsberger liegen foodwatch keine Informationen vor.
Links
- Dienstaufsichtsbeschwerde an Bayerns Verbraucherschutzminister Marcel Huber
- Dienstaufsichtsbeschwerde an den Landsberger Landrat Thomas Eichinger
- Das haben die Kontrolleure bei den „Landsberger Wurstspezialitäten“ bemängelt
- Ausgewählte Fotos der Hygiene-Mängel zum Download (Quelle: Landratsamt Landsberg am Lech)
- Stellungnahme Landratsamt Landsberg inkl. aller vom Landratsamt übermittelten Fotos
- foodwatch-Schriftwechsel mit dem Verwaltungsgericht München
- Mehr Informationen zum dänischen „Smiley-System“
- foodwatch-Stellungnahme zur geplanten Reform des Transparenz-Gesetzes §40