Jede Woche drei Lebensmittelrückrufe – Zahl der Produktwarnungen 2017 weiter gestiegen – Verbraucher werden nicht ausreichend informiert
Berlin, 31.01.2018. Die Zahl der öffentlichen Lebensmittelwarnungen ist weiter gestiegen. Im Jahr 2017 warnten die Behörden in Deutschland auf dem staatlichen Internetportal lebensmittelwarnung.de 161 Mal vor Lebensmitteln – das ist noch einmal rund zehn Prozent häufiger als im Jahr 2016 (147 Einträge auf lebensmittelwarnung.de). Vor fünf Jahren war die Zahl der Meldungen gerade einmal halb so hoch (2012: 83 Einträge), wie eine Auswertung aller Meldungen auf lebensmittelwarnung.de durch foodwatch ergab. Allerdings veröffentlichen die Behörden nicht alle Produktrückrufe auf dem Portal. Die Verbraucherorganisation kritisierte, dass die meisten Produktrückrufe die Menschen nicht erreichten. Verbraucherinnen und Verbraucher würden nach wie vor nicht umfassend und schnell genug vor gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln gewarnt, weil die Behörden Rückrufe oft nur verspätet online stellen. Ein bereits 2011 zwischen Bund und Ländern fest vereinbarter E-Mail-Newsletterservice über Produktwarnungen ist bis heute nicht eingerichtet. Auch Supermärkte informierten ihre Kunden häufig unzureichend, kritisierte foodwatch.
„In Deutschland werden jede Woche im Schnitt etwa drei Lebensmittel zurückgerufen – doch die Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren häufig nichts davon“, sagte Lena Blanken von foodwatch. Neben einer Verbesserung des Portals lebensmittelwarnung.de sieht die Verbraucherorganisation vor allem den Handel in der Pflicht. Supermärkte sind bisher nicht dazu verpflichtet, die Kunden schnell und umfassend an zentraler Stelle über alle Rückrufaktionen aus ihrem Sortiment zu informieren. Dies müsse sich dringend ändern, so foodwatch: „Die Supermärkte haben direkten Kontakt zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern, informieren aber viel zu oft entweder gar nicht oder nur unzureichend über Rückrufe. Rewe, Aldi, Edeka und Co. müssen per Aushang in den Filialen, über Newsletter, Pressemitteilung und auch über die sozialen Medien die Kundinnen und Kunden vor gesundheitsgefährdenden Produkten warnen.“ Über eine E-Mail-Protestaktion unter www.warn-mich.foodwatch.de können Verbraucherinnen und Verbraucher diese Forderung an die Handelsketten unterstützen.
Bund und Länder hatten die Internetseite lebensmittelwarnung.de im Jahr 2011 gestartet, um Rückrufe auf einer zentralen Plattform zu verbreiten. foodwatch hat alle Meldungen des Portals der vergangenen Jahre ausgewertet. 2017 stellten die Behörden 161 Rückrufe online – aus den unterschiedlichsten Gründen, von Glasscherben im Brot bis Salmonellen im Ei. Damit gab es, seit das Portal Ende 2011 online ging, nahezu konstant einen Anstieg der gemeldeten Rückrufe: 2012 waren es 83 Meldungen, 2013: 75, 2014: 107, 2015: 100, 2016: 147. Als zentrale Informationsplattform für Verbraucherinnen und Verbraucher ist lebensmittelwarnung.de aus Sicht von foodwatch aber gescheitert. Das Portal sei unübersichtlich und liefere Rückrufhinweise nur lückenhaft und oft verzögert: Jede zweite Warnung erscheint deutlich verspätet, wie ein Test von foodwatch in 2017 zeigte. Ohnehin finden sich auf der Seite in der Regel nur Meldungen, die auch die betroffenen Unternehmen schon veröffentlicht haben. Eine Einschätzung, warum es zu mehr Rückrufen kam, sei jedoch schwierig, so foodwatch-Expertin Lena Blanken: „Ob es zu mehr Vorfällen kam oder ob die Unternehmen mittlerweile einfach eher einen Rückruf starten, lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen. Fakt ist: Wenn es zu einem Rückruf kommt, wird nicht alles dafür getan, die betroffenen Menschen zu warnen.“
Das deutsche und europäische Lebensmittelrecht lässt bisher viele Spielräume, wann ein Rückruf erforderlich ist. Ob und in welcher Form vor unsicheren Lebensmitteln gewarnt wird, hängt in erster Linie vom Willen und der Kompetenz der Unternehmen ab. Denn sowohl die Beurteilung des gesundheitlichen Risikos als auch die öffentliche Warnung ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen - die hier vor dem Interessenkonflikt zwischen einem Rückruf und möglichen negativen Folgen für das Unternehmen stehen. Den Behörden fehlt oftmals die Rechtssicherheit. foodwatch hatte im vergangenen Jahr in dem Report „Um Rückruf wird gebeten“ die Schwachstellen des Systems der Lebensmittelrückrufe aufgezeigt: Wichtige Lebensmittelwarnungen kommen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern oft nicht an. In etlichen Fällen entscheiden sich Unternehmen und Behörden zu spät, manchmal auch gar nicht für eine erforderliche Rückrufaktion und die Information der Öffentlichkeit. Zudem werden dabei die gesundheitlichen Risiken der Lebensmittel, die zum Beispiel mit Bakterien belastet sind oder Fremdkörper enthalten, immer wieder verharmlost.
Redaktioneller Hinweis:
Gerade bei Produkten von kleineren, namentlich wenig bekannten Herstellerfirmen passiert es oft, dass Rückrufinformationen keine große Verbreitung finden. Vielen Medien ist dies keine Meldung wert. Doch unabhängig vom „Nachrichtenwert“ kann eine Meldung im besten Falle lebensrettend sein. Ob ein Mensch beispielsweise an einem listerienbelasteten Käse ernsthaft erkrankt, hängt schließlich nicht davon ab, wie bekannt die Käserei ist oder in welcher Stückzahl der Käse produziert wurde. Daher bitten wir alle Redaktionen, Lebensmittelwarnungen und Rückrufinformationen schnell und prominent zu vermelden, wenn diese auf offiziellen Quellen (vom Hersteller oder Händler selbst, von einer Lebensmittelüberwachungsbehörde oder von dem staatlichen Portal www.lebensmittelwarnung.de) stammen. Auch das private Portal www.produktrueckrufe.de ist eine seriöse Anlaufstelle, die Warnungen häufig schneller vermeldet als die Behörden und Links zu den Originalinformationen setzt. Zudem versendet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) Presseinformationen zu jeder neuen Meldung auf lebensmittelwarnung.de. Dieser Service wird auf dem Portal bedauerlicherweise nicht genannt - nach unserer Erfahrung nimmt das BVL Sie jedoch auf Ihre Bitte hin in den Verteiler auf (Kontakt: pressestelle@bvl.bund.de). Bei Fragen zum redaktionellen Umgang mit Lebensmittelwarnungen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.