Der vermeidbare Skandal: Dioxin in Eiern und Fleisch
Dioxin in Eiern, in Geflügel- und nun auch in Schweinefleisch: Ein neuer Lebensmittelskandal beherrscht die Nachrichten. Nicht zum ersten Mal ist Gift über Futtermittel auf unseren Tellern gelandet. Im aktuellen Fall ist noch vieles unklar – eines jedoch ist gewiss: Der Skandal wäre vermeidbar gewesen. Doch anstatt eine Test-Pflicht für die Futtermittelhersteller einzuführen, stellt die Bundesregierung die Interessen der Wirtschaft über die der Verbraucher.
Kurz vor Weihnachten hatten niedersächsische Behörden die ersten Hinweise auf erhöhte Dioxinwerte in Mischfuttermitteln erhalten. Dioxine reichern sich im Körper an, werden kaum wieder abgebaut und können krebserregend sein. Der genaue Hergang des Falls ist verstrickt, mehrere Firmen sind beteiligt, und noch längst liegen nicht alle Fakten auf dem Tisch.
Nach heutigem Kenntnisstand lässt sich der Skandal soweit rekonstruieren: Der Futtermittelhersteller Wulfa-Mast aus Dinklage meldete am 21. Dezember 2010 Grenzwertüberschreitungen bei Legehennenfutter – offenbar zu einem Zeitpunkt, als das Futter bereits verkauft war.
Dioxinwerte waren offenbar bekannt – und wurden nicht gemeldet
Die Giftstoffe sollen aus einer Fettsäuremischung stammen, die Wulfa-Mast von der Firma Lübbe bezogen hatte. Diese wiederum ist im niedersächsischen Bösel nur als Spedition eingetragen – Lübbe gehört zur Firma Harles & Jentzsch. Bekannt ist, dass die Firma Lübbe von dem Emdener Unternehmen PetroTec mehrere Lieferungen technischer Fette erhalten hatte, aus denen Futtermischfette hergestellt wurden. Wo die Dioxinbelastung erstmals auftauchte und ob die technischen Fette zur Verwendung in Futtermitteln überhaupt hätten eingesetzt werden dürfen, ist offen. Fest steht jedoch, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete und das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium bestätigte: Harles & Jentzsch wusste bereits am 19. März 2010 von einer Dioxinbelastung in Futterfetten.
Eine Tatsache, die das Unternehmen nicht an die Behörden gemeldet hatte und die durch eine Razzia bei Harles & Jentzsch bekannt wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin.
Grenzwert um das 164-fache überschritten
Am 28. Dezember stieß die zuständige niedersächsische Behörde eine Meldung über die Dioxinfunde im behördeninternen Schnellwarnsystem ab. In der Meldung wird die Probe einer Fettsäure aus einem Tank der Firma Lübbe erwähnt. Sie ist mit 123 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm belastet – dem 164-fachen des zulässigen Grenzwerts von 0,75 Nanogramm. Es ist der höchste bisher bekannte Wert.
foodwatch liegt die chemische Analyse dieser Probe vor, wie sie die niedersächsische Behörde in der Meldung weiterleitete. Aus der Häufigkeit einzelner chemischer Verbindungen haben Dioxin-Experten in unserem Auftrag Rückschlüsse über die Quelle des Dioxins gezogen. Ihr Fazit: Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem chemischen „Fingerabdruck“ um Rückstände einer Chlorphenolverbindung, wie sie als Ausgangsstoff zum Beispiel für Pflanzenschutzmittel eingesetzt wird. Dass sich die im Fett enthaltenen Dioxine etwa durch Verbrennungen gebildet haben, halten die Experten angesichts der chemischen Analyse dagegen für unwahrscheinlich.
Wie kam das Gift ins Futter?
Wie genau das Dioxin ins Futtermittel kam, ist damit noch nicht geklärt. Auch dioxinhaltige Pflanzenschutzmittel können auf mehreren Wegen in die Kette gelangen – durch den Einsatz auf dem Acker oder beispielsweise durch verunreinigte Transportbehälter oder Lagerhallen.
Wie der Eintragsweg des Giftstoffs auch gewesen sein mag: Der Skandal wäre vermeidbar gewesen. Die verantwortlichen Politiker wissen, dass Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Eier und Milch für 80 Prozent der menschlichen Gesamtaufnahme an Dioxinen verantwortlich sind. Sie wissen, dass die durchschnittliche Dioxinbelastung der Bevölkerung am oberen Limit dessen ist, was die EU als gerade noch akzeptabel einstuft. Und sie wissen, dass die Hauptquelle für Dioxine in Lebensmitteln das Tierfutter ist. Doch sie scheuen die entscheidenden Maßnahmen für mehr Lebensmittelsicherheit, um die Futtermittelindustrie von Auflagen zu verschonen und Exportgeschäfte nicht zu erschweren.
Staatliche Kontrolleure können nur Stichproben nehmen
Tiere fressen heute nicht nur Getreide, Mais, Gras oder Heu, sondern Mischfutter, die mit Zusatzstoffen, Mineralien, Vitaminen, auch mit pflanzlichen oder tierischen Fetten versetzt sind. Es gibt nur eine kleine Zahl staatlicher Futtermittelkontrolleure – das Magazin Stern gibt die Zahl mit weniger als 200 bundesweit an –, die bei ihren Kontrollbesuchen die Stecknadel im Heuhaufen suchen. Doch selbst, wenn es zehn Mal so viele amtliche Kontrolleure gäbe wie heute – sie könnten immer nur Stichproben nehmen.
foodwatch fordert daher: Die Bundesregierung muss die Futtermittelhersteller verpflichten, jede Charge jeder Zutat für Mischfutter auf Dioxin zu testen, bevor eine Mischung stattfindet. Die Analyse muss dokumentiert werden, so dass die Behörden die Unterlagen prüfen können. Und ist auch nur eine Charge zu hoch mit Dioxin belastet, muss sie entsorgt werden.
Wirtschaftliche Interessen werden über Gesundheitsschutz gestellt
Warum die Politik diese Forderung nicht aufgreift, hat einen einfachen Grund. Sie will Fleischexporte deutscher Bauern fördern – höhere Preise für Futtermittel durch verpflichtende Tests sind hinderlich für diese Strategie. So werden wieder einmal wirtschaftliche Interessen über den Gesundheitsschutz gestellt, zu Lasten der Verbraucher.
Für die würden sich die verpflichtenden Tests durch die Hersteller preislich kaum auswirken. Der Endverbraucherpreis für Eier oder Fleisch setzt sich aus vielen Bestandteilen zusammen, zum Beispiel aus Kosten für Verpackung und Transport oder Gewinnmargen für den Handel. Der Anteil der Futtermittelkosten am Endverbraucherpreis ist nur gering – würde er sich verteuern, macht dies für den Verbraucher am Ende wenige Cent aus. Wenige Cent, mit denen maximale Sicherheit erreicht werden könnte.