Grüne Woche 2020 - Ministerin für Verbraucherbashing
Demonstrationen für mehr Umwelt- und Klimaschutz, Bauernproteste und Treckerblockaden: Rund um die internationale Agrarmesse „Grüne Woche“ wird dieses Jahr besonders hitzig und zugespitzt über Landwirtschaft und Ernährung diskutiert. Viele Menschen fordern Veränderungen ein – und wie orchestriert haben Bundesernährungsministerin Julia Klöckner und der Bauernverband die Bühne der Grünen Woche genutzt, um darauf mit einer plakativen Debatte über die Verantwortung der Einzelnen beim Einkauf zu antworten. Mehr noch: Es ist ein regelrechtes Bashing von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Die pauschale Botschaft, für die das Bundesministerium sogar eine eigene Plakatkampagne unter dem Titel „Du entscheidest“ gestartet hat: Wir schätzen Lebensmittel nicht ausreichend wert und sollen doch bitte einfach mehr Geld für Essen ausgeben. Mit unserer Schnäppchen-Mentalität tragen wir die Schuld für all die Missstände, von untragbaren Zuständen in der Tierhaltung bis zu den Umwelt- und Klimafolgen landwirtschaftlicher Produktion.
Wir bei foodwatch wissen, dass solche Aussagen durchaus bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern verfangen. Richtig ist, dass wir – selbstverständlich! – eine Verantwortung für die Folgen unseres Tuns haben. Und natürlich gibt es Menschen, denen beim Einkauf nichts wichtig ist außer einem günstigen Preis. Doch die Pauschalkritik der Ministerin ist falsch und noch dazu ziemlich dreist. Warum? Die wichtigsten Argumente:
- Als zentralen Fakt nennen Frau Klöckner und andere, dass wir in Deutschland nur einen geringen Anteil (etwa zehn Prozent) unseres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Das stimmt, und das ist – prozentual – weniger als etwa in Italien oder Frankreich, die bei manchen als Sehnsuchtsländer der Esskultur gelten. Das belegt jedoch mitnichten die These von einer scheinbar kollektiven Geiz-ist-geil-Mentalität: Die geringen Pro-Kopf-Anteile sind nämlich kein Zeichen für eine mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel, sondern ganz einfach Ergebnis unseres Wohlstands und anderer ökonomischer Umstände. Denn wir müssen nur deshalb einen so geringen Anteil unseres Einkommens für Essen ausgeben, weil unser Einkommen so hoch ist (viel höher als in Italien oder Frankreich) – und weil die Lebensmittelpreise wegen des massiven Konkurrenzkampfs der Handelskonzerne deutlich niedriger sind als in diesen Ländern. Was uns hier als vermeintliche Logik verkauft wird, ist in Wahrheit ein Trugschluss. Denn wenn die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt 80 Prozent ihres Einkommens oder mehr für Essen ausgeben, so ist dies schließlich auch keine Frage ihrer Einstellung – sondern die blanke Not. Eigentlich ist es ganz einfach: Wer viel Geld hat, kann sich viel Luxus leisten und muss nur einen kleineren Anteil für Notwendiges wie Essen ausgeben. Über diese Zusammenhänge setzt sich Frau Klöckner hinweg und nutzt die Zahlen für eine ganz andere Erzählung.
- Besonders plump ist die Forderung, Verbraucherinnen und Verbraucher sollten doch einfach mehr Geld für Essen ausgeben – und damit den Eindruck zu erwecken, als würde dies die Probleme in Landwirtschaft und Tierhaltung lösen. Ohne Zweifel: Gerade Fleisch und tierische Lebensmittel werden oft viel zu billig angeboten. Erhält ein Bauer nur Dumpingpreise, kann er damit keine hohen Standards beim Umweltschutz oder in der Tierhaltung bezahlen. Doch meist haben wir das alles beim Einkauf gar nicht in der Hand: Kaufen wir das teuerste Produkt, heißt das nämlich längst nicht, dass zum Beispiel ein Bauer davon profitiert und dann plötzlich anders produzieren kann – den höheren Profit streichen vor allem die Supermärkte und Lebensmittelhersteller ein, ohne dass die Standards in der Produktion verbessert werden.
- Wer ehrlich ist, sollte auch sagen: Ein höherer Preis garantiert bei Lebensmitteln gerade keine höhere Qualität. Die teure Markenmilch stammt womöglich von denselben Kühen und aus denselben Bedingungen wie das billigere No-Name-Produkt, das im Regal daneben steht. Das teure Fleisch ist teurer – aber stammt es deshalb von gesunden Tieren? Das alles erfahren wir nicht. Zu den teuersten Lebensmitteln, gemessen an den Produktionskosten, gehören zum Beispiel kleine probiotische Joghurts mit haltlosen Gesundheitsversprechen, Limonaden oder Junk Food von Markenherstellern, oftmals hergestellt mit billigem Zucker, billigem Palmfett, billigen Zusatzstoffen – die Produkte sind also teuer, aber eben gerade nicht von hoher Qualität.
Und so lenkt Ministerin Julia Klöckner mit ihrer Wertschätzungsdebatte vor allem von der eigenen Verantwortung ab. Dann offensichtlich ist doch: Viele von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern wollen unnötiges Tierleid nicht mehr akzeptieren – sie erfahren aber nicht, unter welchen Umständen ein konkretes Produkt im Supermarkt hergestellt wurde. Viele Menschen wollen beim Einkauf etwas tun – für ihre eigene Gesundheit, für den Umweltschutz, für das Klima. Viele sind bereit, Verantwortung beim Einkaufen zu übernehmen – wenn sie nur die Qualität von Lebensmitteln zuverlässig vergleichen könnten. Doch sie erfahren ja nicht einmal, woher die Erdbeeren in der Marmelade kommen.
Mancher, der zu ökologischen Produkten greift, ist enttäuscht, dass bei allen Vorteilen selbst beim Bio-Siegel unnötiges Tierleid nicht ausgeschlossen ist, dass auch in der Bio-Eier-Produktion männliche Eintagsküken direkt nach dem Schlüpfen getötet werden dürfen, dass auch Lebensmittel, die mit hohem Wasserverbrauch oder schlechter Klimabilanz durch die halbe Welt gekarrt werden, das Siegel tragen dürfen. Die Menschen wünschen sich endlich bessere Hilfestellungen beim Einkauf. Warum macht Frau Klöckner nicht endlich Schluss mit tierquälerischen Praktiken, weil es dafür schließlich keine gute Begründung gibt? Und warum stärkt die Ministerin nicht die Informationsrechte der Menschen, sorgt für klare und verständliche Kennzeichnungen in lesbar großer Schrift? Warum mutet sie uns immer noch unzählige irreführende Versprechen zu und lässt uns im Dunkeln tappen, wie gut die Produkte wirklich sind?
Das anzugehen – und kein Verbraucherbashing – wäre die vordringliche Aufgabe für eine Bundesernährungsministerin.