Rechtslage: Mineralöl in Lebensmitteln
Obwohl das Problem von Mineralölen in Lebensmitteln schon seit etwa 25 Jahren bekannt ist, gibt es bisher keine Regulierung auf europäischer Ebene. Die EU-Kommission hat Anfang 2017 lediglich ein Monitoring-Programm beschlossen, dessen Ergebnisse nicht vor 2020 vorliegen und als Entscheidungshilfe für gesetzliche Regelungen dienen sollen. Auch in Deutschland gibt es keine bindenden gesetzlichen Vorgaben, sondern seit Mai 2019 einige "Orientierungswerte".
Für Kunststoffe, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, gibt es EU-Verordnungen. Diese regeln, welche Stoffe in Kunststoffen enthalten sein dürfen und legen Höchstgrenzen für den Übergang dieser Stoffe in Lebensmittel fest. Für Lebensmittelverpackungen aus Altpapier gibt es dagegen weder toxikologisch Bewertungen noch konkrete Regulierungen auf EU-Ebene. Obwohl das Problem des Übergangs von Mineralölen aus Verpackungen in die Lebensmittel schon seit den 1990er Jahren bekannt ist, arbeitet die Europäische Kommission bislang lediglich an einer Studie, auf deren Grundlage Anfang 2016 über Notwendigkeit und Ausmaß von Gesetzesvorhaben im Bereich der Materialien mit Lebensmittelkontakt entschieden werden soll.
Nationale Regelungen sind möglich
Solange es an europäischer Gesetzgebung fehlt, dürfen die Mitgliedsstaaten selbst aktiv werden, um Verbraucher vor gesundheitsgefährdenden Substanzen zu schützen. So haben viele europäische Länder Regulierungen für Papier und Karton erlassen, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen. In Deutschland gibt es zur Verwendung dieser Materialien lediglich Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), bislang aber keine bindenden gesetzlichen Vorgaben.
Deutschland: Problem und Lösung sind bekannt
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat – basierend auf Untersuchungsergebnissen des schweizerischen Kantonalen Labors Zürich – erstmals 2009 (!) auf das Problem des Übergangs von Mineralölbestandteilen in Lebensmittel aufmerksam gemacht. Im Jahr 2012 kam eine Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zu dem Ergebnis, dass „die Einführung einer Barriereschicht für Verpackungen mit Recyclingkarton (…) unverzichtbar“ erscheine. Sowohl das Problem als auch die Lösung sind also seit Jahren bekannt – zu einer gesetzlichen Umsetzung kam es allerdings bis heute nicht.
Im Mai 2019 wurden für einige Lebensmittel (pflanzliche Öle, Brot und Backwaren, Cerealien, Reis, Nudeln, Süßwaren einschließlich Schokoladen) zwischen den Überwachungsbehörden der Bundesländer und der Lebensmittelindustrie ausgehandelte „Orientierungswerte“ veröffentlicht, die in Bezug auf die besonders kritischen aromatischen Mineralöle (MOAH) die von foodwatch geforderte Nulltoleranz vorsehen.
Jahrelange Arbeit an Regulierungsentwürfen
Das Bundesministerium hat inzwischen lediglich mehrere Entwürfe für Änderungen der „Bedarfsgegenständeverordnung“ vorgelegt, die Materialien mit Lebensmittelkontakt reguliert:
1. Die Druckfarbenverordnung
Der fünfte Entwurf der sogenannten „Druckfarbenverordnung“ soll über eine Positivliste sicherstellen, dass nur noch unbedenkliche Druckfarben direkt auf Lebensmittelverpackungen aufgedruckt werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung arbeitet nach Auskunft des Bundesministeriums gegenüber foodwatch derzeit noch an dieser Positivliste. Auf die aus dem Altpapier ins Lebensmittel migrierenden Stoffe hat diese Verordnung jedoch keinerlei Einfluss. Zudem legt die Tatsache, dass seit dem ersten Entwurf der Verordnung bereits mehr als vier Jahre vergangen sind, die Vermutung nahe, dass hier auf Zeit gespielt wird.
2. Die Mineralölverordnung
Im März 2017 hat das Bundesernährungsministerium einen neuen Entwurf für eine „Mineralölverordnung“ (22. Verordnung zur Änderung der Bedarfsgegenständeverordnung) vorgelegt. Dieser schreibt die Verwendung sogenannter „funktioneller Barrieren“ bei Lebensmittelverpackungen aus Altpapier vor: zum Beispiel eine dünne Schicht auf dem Karton, die den Übergang von gefährlichen Stoffen auf Lebensmittel verhindern soll.
Drei entscheidende Schwachstellen
Der Entwurf wird den in der Studie von 2012 gemachten Empfehlungen der Experten jedoch in keiner Weise gerecht. Entscheidend sind vor allem drei Schwachstellen:
- Unwirksame Barrieren: Zwar sieht der Entwurf von Minister Schmidt funktionelle Barrieren für Altpapierverpackungen vor. Allerdings wird eine Barriere bereits als „funktional“ definiert, wenn der Übergang von MOAH auf Lebensmittel unter 0,5 mg/kg liegt – ein viel zu hoher Wert. Hierfür können relativ schwache Barrieren ausreichen, die weder den Übergang von MOSH noch den weiterer gesundheitsschädlicher Stoffe verhindern.
- Zu viele Ausnahmen: Die angestrebte Barrierepflicht enthält außerdem zahlreiche Ausnahmen: So sieht der Entwurf zum Beispiel keine Barrieren für Lebensmittelpackungen aus Frischfaserkartons vor. Mineralöle können allerdings auch aus Umverpackungen, etwa beim Transport oder der Lagerung, durch die Frischfaserverpackung auf Lebensmittel übergehen – diese Gefahr ignoriert der Gesetzentwurf. Auch bei Recyclingkarton mit geringen MOAH-Werten müssen Hersteller keine Barrieren verwenden – gesättigte Mineralöle (MOSH) oder andere Substanzen können so weiterhin ungehindert auf das Lebensmittel übergehen.
- Andere Eintragswege werden nicht betrachtet: Der Verordnungsentwurf bezieht sich ausschließlich auf MOAH-Verunreinigungen aus Recyclingverpackungen. Lebensmittel können aber auch aus anderen Quellen mit Mineralölen verunreinigt werden, etwa durch Maschinenöl. Dieses Problem wird von der Bundesregierung überhaupt nicht adressiert.