Versteckter Alkohol
„Alkoholfrei“ heißt nicht immer frei von Alkohol – und in manchen Lebensmitteln steckt Alkohol, obwohl niemand es dort vermutet. Ein Wegweiser durch die Kennzeichnungslücken und Absurditäten des Lebensmittelrechts.
Nach Medienberichten gab es Aufregung: „Versteckter Alkohol in Kindersüßigkeiten“, betitelte WDR ServiceZeit einen Beitrag im Jahr 1998. Redakteure der Rundfunkanstalt hatten mehrere bekannte Süßwaren auf ihren Alkoholgehalt analysieren lassen – und waren fündig geworden: bei Ferreros Milchschnitte etwa oder bei Nestlés Bärensnack. Relativ geringe Mengen zwar nur, die selbst bei Kindern unbedenklich sind. Doch auf der Packung stand von alledem nichts.
Gesetzeslücken verhindern Transparenz
Bis heute gibt es solche Kennzeichnungslücken. Und die beziehen sich nicht nur auf Früchte wie Bananen, Säfte, Kefir oder Sauerkraut – Lebensmittel, in denen Gärungsprozesse ganz natürlich stattfinden. Auch in vielen Fertiggerichten und Getränken steckt Alkohol, ohne dass dieser deklariert werden muss.
Der Grundsatz: Wird Alkohol als Zutat einem verpackten Lebensmittel beigemischt – etwa bei Pralinen – muss dieser in der Zutatenliste angegeben werden. In vielen anderen Fällen jedoch entfällt die Pflicht zur Kennzeichnung:
- Bei Getränken muss der Alkoholgehalt laut Lebensmittelinformationsverordnung erst ab 1,2 Volumenprozent deklariert werden.
- Bei lose verkaufter Ware, etwa Kuchen oder Pralinen in einem Café oder beim Konditor, muss der Alkoholgehalt nicht in der Theke ausgewiesen werden. Auch bei Desserts oder alkoholhaltigen Saucen im Restaurant ist eine Angabe in der Speisekarte nicht vorgegeben.
- Ist Alkohol ein Hilfsmittel oder Trägerstoff, zum Beispiel für Aromen, gilt er dem Lebensmittelrecht nicht als „Zutat“ und muss daher in der Zutatenliste nicht auftauchen.
Rezepturen geändert
Letztgenannte Ausnahme war auch ausschlaggebend für die fehlende Information über den Alkoholghelat in Kinder-Süßigkeiten, über die der WDR berichtet hatte. Nestlé und Ferrero betonten in ihren Reaktionen zwar, dass die Alkoholgehalte unbedenklich seien, änderten aber dennoch die Rezepturen für „Bärensnack“ und „Milchschnitte“; alkoholfreie Alternativen waren also möglich.
foodwatch fordert klarere Kennzeichnung
Selbst wenn es oft nur um geringste Mengen geht: Aus verschiedensten Gründen wollen Verbraucher auch darauf verzichten. Ob wegen einer Schwangerschaft, ob aus religiösen Gründen – oder weil ein trockener Alkoholiker zumindest jene Produkte meiden möchte, die trotz geringer Mengen spürbar nach Alkohol schmecken oder riechen. foodwatch fordert daher: Wird einem Produkt Alkohol zugesetzt oder die Bildung von Alkohol durch die Herstellungsweise gefördert, muss der Alkoholgehalt auch ausgewiesen werden.
„Alkoholfrei“ heißt nicht immer frei von Alkohol
Ganz absurd wird die Gesetzgebung, wenn es um den Begriff „alkoholfrei“ geht. Denn dieser bedeutet keineswegs frei von Alkohol, auch wenn in Umfragen 70 bis 80 Prozent der Verbraucher dies erwarten.
Ausdrücklich erlaubt der Gesetzgeber für „alkoholfreien Wein“, dass dieser bis zu 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten darf – so regelt es die Deutsche Weinverordnung. Für Bier dagegen, wo der Absatz vermeintlich „alkoholfreier“ Gebräue stetig steigt, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Die Brauereien aber sind einfach so frei und orientieren sich am Wein. Heißt: Alles unter 0,5 Volumenprozent ist für sie „alkoholfrei“, die Behörden dulden diese Irreführung. Einzelne Anbieter, der größte wohl Bitburger, bieten auch wirklich alkoholfreie „0,0 %“-Biere an – doch das sind die Ausnahmen.
In Deutschland „alkoholfrei“, in England mit „wenig Alkohol“
In anderen Ländern geht das transparenter. Großbritannien erlaubt unter dem Titel „alcohol free“ nur Spuren (bis zu 0,05 Volumenprozent) Alkohol. Die Folge: So manche Brauerei verkauft dasselbe Bier in England für jeden verständlich als alkoholreduziert („low alcohol“), was sie in Deutschland als „alkoholfrei“ vermarktet. foodwatch fordert den Gesetzgeber auf, die Gesetzeslücke zu schließen: Wo „alkoholfrei“ drauf steht, darf auch kein Alkohol drin sein. Wenn eine Bezeichnung wie „alkoholreduziert“ in Großbritannien funktioniert, sollte das auch in Deutschland kein Problem sein.