Ministeriumsgutachten bestätigt: Kommission ist gescheitert
- Produktbezeichnungen
Ein vom Bundesernährungsministerium beauftragtes Gutachten bestätigt: Die Lebensmitelbuch-Kommission ist gescheitert. Minister Christian Schmidt kündigte eine Reform an. Doch folgt er den Empfehlungen der industrienahen Gutachter, soll der entscheidende Konstruktionsfehler bleiben...
Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission tagt im Geheimen, und geheim blieb auch lange das vom Bundesernährungsministerium beauftragte Gutachten über die Arbeit des Gremiums. Bereits vor Weihnachten war es dem Ministerium zugestellt worden. Ende Februar hatte foodwatch gefordert, den Evaluationsbericht endlich zu veröffentlichen. Nun liegt er vor – und bestätigt, was Lebensmittelwirtschaft und die politisch Verantwortlichen über Jahren hinweg nicht wahrhaben wollten: Die Kommission ist gescheitert.
Alles spricht für eine Änderung des Gremiums
Anders lässt sich der Bericht kaum interpretieren. Die Gutachter haben verschiedene Szenarien für die Frage, wie es weiter geht, anhand von Pro- und Contra-Punkten bewertet. Für ein Weiter so mit einer unveränderten Kommission sehen die Gutachter eine ganze Reihe von Argumenten in der Contra-Spalte, aber nur ein einziges, das dafür spricht: Dass dann „kein Restrukturierungsaufwand“ bestehe. Mit anderen Worten: Alles spricht dafür, das Gremium zu verändern – außer, dass dazu etwas geändert werden müsste.
Veto-Recht für die Lebensmittelwirtschaft
foodwatch kritisiert die Lebensmittelbuch-Kommission seit vielen Jahren. Das geheim tagende, beim Bundesernährungsministerium angesiedelte Gremium erarbeitet sogenannte Leitsätze zur Produktkennzeichnung und -zusammensetzung. Diese sind zwar formal unverbindlich, doch weil sich Hersteller, die amtliche Lebensmittelüberwachung und auch Gerichte an ihnen orientieren, haben sie eine mit Gesetzen vergleichbare Wirkung. Acht der 32 Mitglieder der Kommission stammen aus der Lebensmittelwirtschaft. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass sie mit ihren Stimmen alle Entscheidungen blockieren können. In der Kritik steht das Gremium, weil es für zahlreiche irreführende Produktbezeichnungen verantwortlich ist – zum Beispiel Schokoladenpudding, der nur einen Mini-Anteil Kakao enthält, Kirschtee ohne Kirschen oder Lachs-Imitat, das unter dem Namen „Alaska-Seelachs“ verkauft wird. Der Bayreuther Staatsrechtler Prof. Stephan Rixen hatte das Konstrukt einer quasi normsetzenden, aber demokratisch unzureichend legitimierten Instanz zuletzt als verfassungswidrig bezeichnet.
Mit freundlicher Unterstützung von Ferrero
Das Ergebnis der Evaluierung ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Lange hatten Lebensmittelwirtschaft wie Bundesregierung die Lebensmittelbuch-Kommission verteidigt. Und die Gutachter, die die Evaluierung verantworteten, sind auch keine Unbekannten: Den Auftrag hatten die zur industrienahen AFC Consulting Group gehörende AFC Public Services GmbH gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Voit von der Philipps-Universität Marburg erhalten, dessen Forschungsstelle u.a. von Ferrero und Dr. Oetker unterstützt wird.
Minister lässt Reformpläne noch offen
Wie genau sich Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) die Zukunft der Lebensmittelbuch-Kommission vorstellt, ist noch offen. Bekannt hat er lediglich, dass er das Gremium beibehalten wolle – wenn auch „mit deutlicher Feder“ verändert. Folgt Minister Schmidt seinen Gutachtern, dürfte die staatlich legitimierte Verbrauchertäuschung weiter gehen. Denn in ihren Empfehlungen wollen diese den entscheidenden Konstruktionsfehler beibehalten: Den Einfluss der Hersteller auf die Produktbezeichnungen, die am Ende eben nicht für die Unternehmen da sind, sondern die Verbraucher über die Beschaffenheit von Lebensmitteln verständlich informieren sollen. foodwatch meint: Wer Klarheit und Wahrheit verspricht, darf nicht diejenigen maßgeblich an der Entscheidung über Kennzeichnungsstandards beteiligen, die von Unklarheit und Etikettenschwindel profitieren.
foodwatch fordert demokratisch legitimiertes Verfahren
foodwatch spricht sich – wie bereits rund 47.000 Verbraucher in unserer E-Mail-Aktion – für eine Abschaffung der bisherigen Kommission aus. Stattdessen sollten rechtsverbindliche Leitsätze für die Produktbezeichnung in einem demokratisch legitimierten Verfahren von einer Bundesbehörde erarbeitet werden und sich zuvorderst an Erwartungen und Verständnis der Verbraucher orientieren, nicht an den ökonomischen Interessen der Hersteller. Die Angaben der Hersteller über Herstellungsweisen müssen natürlich einfließen – am Ende jedoch muss auf dem Etikett eine Angabe stehen, die Verbraucher verstehen können und die ihren Erwartungen gerecht wird.