Mit Vorsicht zu genießen: Wenn Firmen sich als NGOs gerieren
Es liegt im Trend, dass sich Lebensmittelunternehmen als Aktivisten für eine bessere Welt inszenieren. Doch die Grenzen zwischen glaubhaftem Engagement und Werbegag sind fließend.
„Achtung, wenig Zucker“ – mit diesem Warnhinweis versah Lemonaid im Frühjahr seine Flaschen. Der Hersteller protestierte damit gegen Leitsätze für Lebensmittel, nach denen „Limonaden“ mindestens sieben Prozent Zucker enthalten müssen. Höhepunkt der Kampagne: Lemonaid stellte vor dem „süßesten Ministerium der Welt“ ein „Denk Mal“ auf: Bundesernährungsministerin Julia Klöckner aus Zucker.
Coole Aktion – oder Werbegag? Tatsächlich ist ein Zuckermindestgehalt eine irrsinnige Vorgabe angesichts der Adipositas-Epidemie. Fakt ist aber: Das Unternehmen hätte einfach „Erfrischungsgetränk“ statt „Limonade“ ins Kleingedruckte schreiben können. Tatsächlich enthält die Lemonaid Maracuja 5,5 Gramm Zucker – das ist nicht wenig. In Großbritannien wäre wegen dieses Zuckergehalts die Limo-Steuer fällig. In Chile müsste das Unternehmen mit dem Hinweis „Hoher Zuckergehalt“ warnen. In Deutschland klebt Lemonaid den Aufkleber „Achtung, wenig Zucker“ auf die Verpackungen – und bekommt damit Gratis-PR in unzähligen Medien.
Ritter Sport – ausgeklügelter PR-Gag
Ritter Sport stellte sich im Februar als Opfer des „absurden Lebensmittelrechts“ dar. Ein neues Produkt dürfe nicht „Schokolade“ heißen, weil es nicht mit herkömmlichen Zucker, sondern mit Kakaosaft gesüßt worden sei. „Aufwachen!“ fordert der Chef in einer Pressemitteilung – und platziert seine Botschaft auf zahlreichen Titelseiten, selbst die Deutsche Presseagentur meldete: „Ritter Sport verkauft eine Schokolade, die nicht so heißen darf.“ Dabei hätte das Unternehmen laut Bundesernährungsministerium die Schokolade einfach als „Schokolade“ auf den Markt bringen können – der Medienrummel wäre dann vermutlich aber deutlich kleiner ausgefallen.
Oatly’s CO2 Siegel: Klimarettung oder Augenwischerei?
Auch der Haferdrink-Hersteller Oatly ist unter die Polit-Aktivisten gegangen: Auf großen Plakatwänden warb der schwedische Konzern im vergangenen Jahr für die Kennzeichnung des CO2-Ausstoßes von Lebensmitteln. Die von Oatly gestartete Petition an den Bundestag unterzeichneten fast 60.000 Menschen. Klar, auch diese Initiative ist alles andere als uneigennützig: Im Vergleich zu „normaler“ Kuhmilch hat Hafermilch eine deutlich bessere Klimabilanz. Werbegag hin oder her, könnte man denken: Für gesunde Lebensmittel und klimaschützende Gesetze ist es doch wunderbar, wenn auch „grüne“ Unternehmen aktiv werden – als Gegenpol zur übermächtigen Auto- und Zuckerlobby. Aber die Kampagnen sind mit Vorsicht zu genießen.
So ist der Nutzen eines CO2-Siegels fraglich. Statt die Verantwortung fürs Klima auf die Verbraucher*innen abzuwälzen, sollten die Konzerne mit dem Verursacherprinzip in die Pflicht genommen werden: Wer dem Klima schadet, muss dafür zur Kasse gebeten werden, beispielsweise durch eine wirksame CO2-Abgabe. Die Einführung eines Siegels hingegen könnte den politischen Druck für solche Maßnahmen eher schwächen.
Auch die Aktionen der vermeintlichen Zucker-Aktivisten sind irreführend, wie die Beispiele von Ritter Sport und Lemonaid zeigen. Das Problem hierzulande ist nicht, dass die Hersteller Zucker reduzieren möchten, dies aber nicht dürfen. Im Gegenteil: Die meisten stecken viel zu viel Zucker in ihre Produkte. Das Problem ist, dass die Bundesregierung zu wenig unternimmt, um die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Dafür müssen wir Verbraucher:innen auf politischer Ebene kämpfen – durch Demonstrationen, Zusammenschlüsse in Verbraucherorganisationen oder Petitionen.
Manuel Wiemann, Campaigner gegen Verbrauchertäuschung bei foodwatch