Nachricht 26.12.2012

Von Rinderwahn bis Windbeutel: 10 Jahre foodwatch

2002 gründete Thilo Bode foodwatch. Seit zehn Jahren kämpft das Team um den ehemaligen Greenpeace-Chef für die Rechte der Verbraucher im Lebensmittelmarkt. Ein Rückblick.

Von Thilo Bode

Erinnern Sie sich noch? Im Fernsehen brannten Tierkadaver, die Verbraucher kauften kein Rindfleisch mehr, sogar der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, seine Frau würde nur noch beim Öko-Metzger einkaufen. Renate Künast von den Grünen wurde die erste Verbraucherschutzministerin der Republik und versprach die Agrarwende: 20 Prozent Anteil der Öko-Landwirtschaft sollten bis zum Jahr 2010 erreicht sein. Wir schrieben das Jahr 2001. Der Rinderwahnsinn, die BSE-Seuche, hatte ihren Höhepunkt erreicht.


In dieser Zeit – ich war gerade als Geschäftsführer bei Greenpeace ausgestiegen – fragte mich ein guter Bekannter, ob ich nicht einen Lobbyisten-Job für die ökologische Landwirtschaft in Berlin übernehmen wolle. War es Eingebung oder eine Laune? Ich antwortete spontan, viel notwendiger sei es doch, eine Verbraucherorganisation zu gründen, die eine derartige Katastrophe wie BSE in Zukunft verhindert – die Idee für foodwatch war geboren. Wie immer brauchte es Menschen, die sich begeistern lassen. Ohne Henner Ehringhaus von der GLS Bank, Albert Fink von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Nikolai Fuchs, Demeter-Vordenker, den Versicherungsunternehmer Rolf Gerling und Karl Ludwig Schweisfurth, den Ökolandwirtschaftspionier, wäre aus der Idee keine Realität geworden.  

Aus einer Idee wird Wirklichkeit

Eine unabhängige Organisation, um die Gesundheit der Verbraucher zu schützen: Sehr viel mehr als diese grobe Zielrichtung hatten wir damals noch nicht – aber eine Menge Motivation und Enthusiasmus. Und natürlich sollte foodwatch eine Mitglieder-Organisation werden, von den Verbrauchern selbst getragen. In nur drei Jahren wollten wir 30.000 Mitglieder gewinnen und foodwatch sollte sich damit selbst finanzieren – so meine optimistische Einschätzung. (Tatsächlich brauchten wir sieben Jahre bis wir die laufenden Ausgaben vollständig durch Beiträge von Fördermitgliedern und Kleinspenden decken konnten und haben heute 25.000 Mitglieder).

Einkaufskorb statt Futtertrog

Ein kleines Team von fünf Mitarbeitern nahm schließlich im September 2002 die Arbeit auf. Angesichts der BSE-Krise befassten wir uns zunächst  mit den Auswüchsen der konventionellen Landwirtschaft, mit Futtermittelskandalen und illegalen Tiermehlexporten. Doch dann merkten wir: Um den Menschen die Missstände im Lebensmittelmarkt nahezubringen, dürfen wir nicht nur über solche komplizierten und abstrakten Themen sprechen, sondern müssen die Verbraucher dort „abholen“, wo sie täglich hingehen: im Supermarkt.

Von BSE bis Etikettenschwindel

Der Schwerpunkt unserer Kampagnen verlagerte sich auf die Nahrungsmittelindustrie. Auf abgespeist.de veröffentlichen wir seit fünf Jahren regelmäßig konkrete Beispiele von Verbrauchertäuschung und Etikettenschwindel. Der „Goldene Windbeutel“, der foodwatch-Preis für die dreisteste Werbelüge, schlug ein wie eine Bombe und machte die ganz legale, tägliche Täuschung im Supermarkt zu einem breiten Thema in der Öffentlichkeit.

Niederlagen und Erfolge

Der Weg von foodwatch war auch ein Weg permanenten Lernens. Heute würden wir selbstverständlich keine Spende mehr von dem Schokoladenhersteller Alfred Ritter annehmen. Vor Jahren, als foodwatch sich insbesondere mit der Agrar- und Futtermittelindustrie auseinandersetzte, sahen wir darin keinen Interessenkonflikt: Die intensive Auseinandersetzung mit der Lebensmittelindustrie hatten wir damals noch nicht auf dem Schirm. Auch Rückschläge wie die verlorene Abstimmung zur Nährwertampel im Europäischen Parlament gehören genauso zur Geschichte von foodwatch wie unsere Erfolge. Wie diese einzuordnen sind, darüber sollten vornehmlich Dritte urteilen. Einen wesentlichen Erfolg aber kann ich wohl nennen: foodwatch hat die Probleme des Lebensmittelmarktes zu einem politischen Thema gemacht. Viel mehr Menschen ist heute klar: Irreführung und Gesundheitsgefährdung können nur politisch gelöst werden – nicht durch vermeintlich kluges Einkaufen des Einzelnen.

Politik für uns Verbraucher?

Mit der unabdingbaren parteipolitischen Neutralität und der finanziellen Unabhängigkeit von Staat und Industrie machten wir uns nicht nur Freunde. Für den Bauernverband war foodwatch der „Kettenhund“ der grünen Verbraucherministerin Renate Künast, die wiederum foodwatch nie verzieh, dass wir die Ziele ihrer Öko-Agrarwende als völlig illusorisch kritisierten – und damit Recht behielten.  Unser provokanter Report „Klimaretter Bio?“ verletzte die Vertreter der ökologischen Landwirtschaft tief. Und die Lebensmittelindustrie gründete 2012 eigens einen Verein („Die Lebensmittelwirtschaft“), um den aus ihrer Sicht völlig ungerechten Angriffen von foodwatch etwas entgegenzusetzen.

Die Politik stellt sich taub

Doch es waren letztlich unsere Gegner, die foodwatch zur heutigen Popularität verhalfen, während uns unsere vielen tausend Unterstützer politischen Einfluss verschafften. Die Angriffe aus Politik und Industrie haben mich nicht wirklich überrascht. Was mich aber heute noch täglich wundert ist die Hartnäckigkeit, mit der die Politik – die eigentlich für die Menschen da sein soll – sich mit der Wirtschaft gemein macht und sinnvolle Maßnahmen ablehnt, die von einer überwältigenden Mehrheit der Verbraucher gefordert werden. 70 Prozent der Verbraucher wollen die Nährwert-Ampel, 90 Prozent das Smiley-System zur Veröffentlichung der Lebensmittelkontrollen. Doch die Politik stellt sich taub! Einen besseren Grund, noch hartnäckiger für die Interessen der Verbraucher zu streiten, kann es nicht geben.

Unser nächstes großes Ziel

Mit dieser Hartnäckigkeit werden wir auch die nächste Phase von foodwatch – den Schritt nach Europa – angehen. Allein in Deutschland können wir nur noch begrenzt Verbraucherpolitik machen. Egal ob Zusatzstoffe oder Detailregelungen zu  Futtermittelkontrollen: Die Entscheidungen fällen die EU-Institutionen. Deshalb müssen wir auch die Verbraucher aus anderen EU-Staaten für die foodwatch-Mission, sich gemeinsam gegen Verbrauchertäuschung und Gesundheitsgefahren zu wehren, gewinnen. Damit diese, so wie wir in Deutschland, ihre Regierungen in die Pflicht nehmen. So sollen in den nächsten Jahren foodwatch-Büros in Frankreich, Spanien und Italien folgen. Wenn Sie uns dabei unterstützen wollen, werden Sie Fördermitglied – schon ab einem Betrag von 5 Euro pro Monat.