Die foodwatch-Familie wächst: In Wien eröffnet heute ein neues Büro. Im Interview erzählen die Kolleginnen, warum eine Organisation wie foodwatch in Österreich dringend gebraucht wird.
Lisa Kernegger und Heidi Porstner sind erfahrene Campaignerinnen. Sie kennen sich aus mit Pestiziden, Gentechnik, Schadstoffen in Lebensmitteln, Landwirtschaft sowie Umweltschutzthemen, denn sie haben beide zehn Jahre für die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 gearbeitet. Lisa hat Biologie studiert, Heidi Ernährungswissenschaften. Sie bezeichnen sich gegenseitig als „Lieblingskolleginnen“. Sie sind engagiert, professionell und unerschrocken. Die perfekte Besetzung also, um ein neues foodwatch-Büro zu gründen.
Wie seid ihr darauf gekommen, foodwatch Österreich zu gründen?
Heidi: Bei einem gemeinsamen Mittagessen unterhielten wir uns über österreichische Nichtregierungsorganisationen und stellten fest, dass es in Österreich keine Organisation gibt, die sich schwerpunktmäßig mit Lebensmitteln beschäftigt.
Lisa: Wir sind quasi von unserem Mittagessen zu foodwatch gekommen.
Heidi: Wir waren uns sicher, dass eine Organisation wie foodwatch in Österreich gebraucht wird. Wir denken, dass die Menschen eine Sehnsucht danach verspüren, dass sich endlich jemand in Österreich um Verbraucherrechte rund um Lebensmittel kümmert. Und: Wir hatten Lust zu gestalten, etwas Neues auszuprobieren und aufzubauen.
Newsletter von foodwatch Österreich abonnieren
Was treibt euch an?
Lisa: David gegen Goliath, Ungerechtigkeiten.
Heidi: Die Empörung. Lebensmittelkonzerne können machen was sie wollen, uns täuschen und in die Irre führen. Aber wenn wir viele sind, können wir etwas bewegen. foodwatch ist die schlagkräftige Organisation, die es braucht, um diesen Konzernen entgegenzutreten.
Lisa: Wir wollen ein ernstzunehmendes Gegengewicht zur Lebensmittelindustrie darstellen. Und foodwatch ist dieses Gegengewicht.
Was sind eure Themen?
Lisa: Die Themen mit denen wir zuerst an die Öffentlichkeit gegangen sind, sind Täuschung, Nährwertkennzeichnung, also der Nutri Score, sowie die Herkunftskennzeichnung.
Heidi: Für Österreicherinnen und Österreicher ist es sehr wichtig, woher die Lebensmittel stammen. Das wissen auch die Lebensmittelhersteller. Deswegen haben sehr viele Produkte im Supermarkt ein Österreich-Fähnchen oder „Mascherl“. Auf vielen Lebensmitteln steht „Hergestellt in Österreich“, „Qualität aus Österreich“ oder ähnliches. Damit werden Verbraucherinnen und Verbraucher nur allzu leicht in die Irre geführt, denn viele Zutaten kommen gar nicht aus Österreich. Viele Produkte wurden einfach nur in Österreich verpackt, oder abgefüllt. Da braucht es dringend foodwatch, um das aufzuzeigen.
Lisa: Gerade während des coronabedingten Lockdowns war ein wichtiges mediales Thema, woher die Lebensmittel stammen. Überall wird mit regionalen und österreichischen Produkten geworben: Vom Wirtshaus bis zum Supermarkt.
Heidi: Das Thema Täuschung ist natürlich eines der Kernthemen von foodwatch und betrifft alle Verbraucherinnen und Verbraucher täglich.
Lisa: Der Nutri-Score steht zurzeit auf der politischen Agenda ganz oben. In den kommenden Monaten wird auf europäischer Ebene entschieden, ob er in allen Mitgliedsländern der EU verpflichtend eingeführt wird. Aufgrund der Brisanz des Themas ist klar, dass wir dazu arbeiten müssen.
Was waren die größten Erfolge? Was die größten Hürden?
Heidi: Dass die Website steht und wir an die Öffentlichkeit gehen konnten, ist ein Wahnsinnserfolg. Wir haben innerhalb eines Jahres alles aufgebaut.
Lisa: Ein Jahr ist für die Gründung einer Organisation sehr kurz, wenn man bedenkt, dass wir nichts hatten: Wir hatten keine Telefone, keine Computer und kein Büro. Wir hatten eine Anstellung, das war schön (lacht). Wenn man neu beginnt irgendwo zu arbeiten, findet man normalerweise ja eine komplette Infrastruktur vor. Hier gab es nicht einmal einen Schreibtisch.
Heidi: Wir haben in einem Kaffeehaus an einem kleinen Tisch angefangen. We came a long way (lacht).
Wie nehmt ihr in Österreich foodwatch Deutschland wahr?
Heidi: Als eine schlagkräftige und mutige Organisation, die sich auch mit den Mächtigen anlegt und vor nichts zurückschreckt.
Was unterscheidet foodwatch Deutschland und foodwatch Österreich?
Heidi: Als foodwatch Österreich verwenden wir eine andere Sprache als foodwatch Deutschland. Wir haben auch ein eigenes Profil entwickelt. Wir leben hier und bekommen täglich mit, was die Themen der Österreicherinnen und Österreicher sind. Darüber hinaus ist es natürlich leichter die Leute mitzunehmen, wenn wir vor Ort sind.
Lisa: Rezepturen und Angebote von Lebensmitteln beispielsweise unterscheiden sich stark vom deutschen Markt. Auch die Supermarktlandschaft ist eine andere.
Heidi: Die österreichische Esskultur ist stark geprägt durch die Monarchie. Rezepte und Produktbezeichnungen, wie Kaiserschmarrn, stammen oft aus dieser Zeit.