Nach zwei Todesfällen und mehreren Erkrankungen durch Listerien-Keime in Fleischwaren des hessischen Herstellers Wilke hat foodwatch die katastrophale Informationspolitik des Unternehmens und der zuständigen Behörde kritisiert. Die belastete Wurst ist offenbar an Supermärkte, Fleischtheken und Krankenhäuser geliefert worden. In einem Klinikum in Köln wurde die Ware sogar noch nach dem öffentlichen Rückruf ausgegeben.
In Wurstwaren der hessischen Firma Wilke Waldecker Fleisch- und Wurstwaren sind Listerien nachgewiesen worden. Die zuständige Behörde im Landkreis Waldeck-Frankenberg hatten die Produktion des Unternehmens am Dienstag vorläufig geschlossen. Eine Untersuchung des Robert-Koch-Instituts (RKI) hatte einen unmittelbaren Zusammenhang zu Todesfällen von zwei älteren Menschen aus Hessen ergeben. Wie die Listerien in die Wurst kamen, ist bislang unklar.
Listerien sind in der Natur häufig vorkommende Bakterien. Nur sehr wenige Menschen, die diese aufnehmen, erkranken an der sogenannten Listeriose. Bei gesunden Erwachsenen verläuft die Infektionskrankheit meist unauffällig oder nimmt einen harmlosen Verlauf mit grippeähnlichen Symptomen. Gefährlich ist die Infektion für abwehrgeschwächte Personen: Neugeborene, alte Menschen, Patienten mit chronischen Erkrankungen, Transplantierte, Schwangere. Bei ihnen und bei Ungeborenen kann Listeriose zum Tod führen.
Nach Angaben des Unternehmens vom Mittwoch wurden „alle im Unternehmen hergestellten Erzeugnisse mit sämtlichen Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdaten“ zurückgerufen. Die betroffenen Waren seien durch das ovale Kennzeichen „DE EV 203 EG“
eindeutig zu identifizieren.
Schwere Versäumnisse bei der Informationspolitik
foodwatch hat dem Landkreis und dem Wurstproduzenten schwere Versäumnisse bei der Informationspolitik im Zusammenhang mit dem Rückruf der potenziell keimbelasteten Wurst vorgeworfen. Es ist inakzeptabel, dass noch immer keinerlei Angaben zu den Verkaufsstellen der zurückgerufenen Produkte gemacht wurden. Auch gibt es bislang keine Liste der betroffenen Produkte.
Den offiziellen Rückrufangaben zufolge wurden Wilke-Produkte beispielsweise auch als lose Ware in Wursttheken verkauft. Zudem produzierte Wilke offenbar auch für Handelsmarken. Unter anderem hat Metro betroffene Ware, die der Großhändler unter seiner Eigenmarke Aro vertreibt, zurückgerufen und aus dem Verkauf genommen. Unklar ist, ob auch andere, von Wilke selbst vertriebene Marken betroffen sind. Aus Sicht von foodwatch reicht es nicht aus, ausschließlich Wilke als Hersteller der zurückgerufenen Produkte sowie das Identitätskennzeichen zu benennen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können die Herkunft der Produkte nicht sicher nachvollziehen.
Kölner Klinik hat noch gestern Wilke-Ware ausgegeben
Nach Informationen von foodwatch sind in der Reha-Einrichtung „UniReha“ des Universitätsklinikums Köln noch am Feiertag (3. Oktober) zum Frühstück vom Rückruf betroffene Wilke-Produkte an Patientinnen und Patienten ausgegeben worden. Dies wurde foodwatch von mehreren voneinander unabhängigen Quellen berichtet. Noch am Vortag (2. Oktober) waren auf Anordnung des hessischen Landkreises Waldeck-Frankenberg vorsorglich sämtliche Produkte aus der Herstellen der Firma Wilke zurückgerufen worden.
Die Behörden müssen alles dafür tun, um die Menschen rechtzeitig vor dem Verzehr potenziell gefährlicher Lebensmittel zu warnen – genau das haben der Landkreis und das Unternehmen versäumt. Die Menschen werden im Stich gelassen. Auch wenn es um Salami geht, eine Salami-Taktik bei der öffentlichen Information ist hier völlig fehl am Platz.foodwatch-Geschäftsführer
Noch immer zahlreiche offene Fragen
foodwatch fordert, dass alle bekannten Verkaufsstellen und die Namen der betroffenen Produkte auch von Handelsmarken unverzüglich öffentlich genannt werden. Handelsunternehmen müssen bekanntgeben, ob sie Wilke-Produkte unter eigenen Marken verkauft haben. Der zuständige Landkreis muss zudem transparent machen, ob und wann die Verkaufs- und Ausgabestellen von Wilke-Produkten direkt kontaktiert worden sind.
Der Landkreis und das hessische Umweltministerium müssten umgehend über die Abläufe vor der Betriebsschließung aufklären. Wer hatte zu welchem Zeitpunkt welche Information? Wann wurden an welcher Stelle Proben genommen und Listerien nachgewiesen? Wie wurde darauf reagiert? An beide Stellen hat foodwatch bereits am Freitag erste Fragen geschickt und erwartet hieraufbis spätestens Montag Antwort.
Unzureichende Lebensmittelkontrollen
Dem Verbraucherschutz wurde im Landkreis Waldeck-Frankenberg in der Vergangenheit kein großer Stellenwert beigemessen. Das Veterinäramt ist eklatant unterbesetzt. Im Jahr 2018 kamen nach Angaben des Landkreises gegenüber foodwatch gerade einmal 3,15 Stellen für Lebensmittelkontrolleure auf annähernd 3.000 zu kontrollierende Betriebe. Bei den Betriebskontrollen verstieß der Landkreis massiv gegen die Vorgaben: 2018 führte er nur etwa die Hälfte der vorgeschriebenen planmäßigen Betriebskontrollen durch.
Interessenkonflikt bei der Lebensmittelüberwachung?
In einem Interview mit der Hessenschau des HR-Fernsehens am 2. Oktober 2019 erweckte der zuständige Dezernent des Landkreises Friedrich Schäfer den Eindruck, als liege das größte Problem in der Schließung eines Unternehmens, in dem „Freunde und Bekannte arbeiten“ und nicht in den schweren gesundheitlichen Folgen, mit dem der Verzehr von Wilke-Produkten in Verbindung gebracht wird. Die Aussagen Schäfers - der im Landkreis „Dezernent für Verbraucherschutz und Direktvermarktung“ ist - sind ein mustergültiges Argument dafür, die Lebensmittelüberwachung nicht mehr auf kommunaler Ebene zu organisieren. Denn es kann nicht gut sein, wenn ein und dieselbe Behörde für Lebensmittelkontrollen und für die lokale Wirtschaftsförderung zuständig ist - dieser Interessenkonflikt muss aufgelöst werden, indem die Bundesländer die Kontrolltätigkeit an sich ziehen und auf Landesebene organisieren.
Aufruf an Betroffene
foodwatch will im Sinne der Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher prüfen, ob im konkreten Fall Unternehmen und Behörden auch wirklich alles Erforderliche getan haben, um Erkrankungen zu vermeiden und die Menschen zu warnen. Betroffene – sowohl Erkrankte als Angehörige – können sich bei foodwatch melden per E-Mail an mr@foodwatch.de oder über Telefon +49 (0)174 / 3 75 16 89.