Ein Jahr nach dem Wilke-Skandal: Neustart bei Lebensmittelüberwachung nötig
Vor einem Jahr kam der Listerien-Ausbruch beim Wursthersteller Wilke mit mehreren Todesfällen und dutzenden Krankheitsfällen ans Licht. Eine grundlegende Reform der Lebensmittelüberwachung ist ausgeblieben - noch schlimmer: Das System wurde sogar geschwächt.
2. Oktober 2019: Der Kreis Waldeck-Frankenberg informiert über die Betriebsschließung der Firma Wilke. In Wurstwaren des Unternehmens wurden mehrfach Listerien (Bakterien) nachgewiesen. Später wurden mit den Produkten insgesamt 37 Krankheitsfälle, darunter drei Todesfälle, in Verbindung gebracht. Die hessische Landesregierung räumte eigene Fehler ein, schob die Hauptverantwortung jedoch auf den Betrieb und den Landkreis. Die politischen Konsequenzen: Verbraucherschutzministerin Priska Hinz stockte unter anderem das Personal in den Regierungspräsidien auf und stattete ihr eigenes Haus mit der Stelle eines „Sichters“ aus, der alle E-Mail-Posteingänge der Fachaufsicht überwachen soll. Außerdem sollen künftig Problembetriebe besser kontrolliert werden. Weitere Reformen: Fehlanzeige! Dabei braucht es einen grundlegenden Neustart der Lebensmittelüberwachung.
Die Lebensmittelüberwachung in Deutschland ist ineffizient, unterbesetzt und intransparent. Um Lebensmittelskandale wirksam zu verhindern, gehört das gesamte System grundlegend auf dem Prüfstand.foodwatch-Geschäftsführer
Interessenskonflikte bei der Lebensmittelüberwachung auflösen!
Die Lebemsmittelüberwachung in Deutschland ist auf kommunaler Ebene organisiert. Zurzeit kontrollieren rund 400 verschiedene Behörden auf Landkreisebene die Lebensmittelüberwachung. Dabei sind die lokalen Behörden sowohl der Förderung der regionalen Wirtschaft und dem Erhalt von Arbeitsplätzen verpflichtet als auch der Kontrolle der Unternehmen. Um diesen permanenten Interessenskonflikt aufzulösen, ist eine einzige Behörde künftig für alle Betriebe eines jeweiligen Bundeslandes denkbar. Um die Unabhängigkeit dieser Anstalten sicherzustellen, sollten diese jenseits der normalen Staatsverwaltung installiert werden – ohne die sogenannte Fachaufsicht durch übergeordnete Landesverbraucherministerien.
Lebensmittelkontrollen transparent machen!
Sämtliche durch die Landesanstalten erlangten Ergebnisse, sei es durch Betriebskontrollen oder Labortests, sollten offen zugänglich sein – in Form eines Smileys oder Hygiene-Barometers im Internet und direkt an den Eingangstüren der Betriebe. Das wäre nicht nur ein Anreiz für alle Betriebe, sich jederzeit an alle Vorgaben des Lebensmittelrechts zu halten, wie Erfahrungen aus Dänemark, Wales oder auch Norwegen zeigten, sondern würde auch dazu führen, dass das staatliche Handeln in der Lebensmittelüberwachung einer öffentlichen Kontrolle unterliegt. Die Gesetzgebungskompetenz dazu liegt bei den Bundesländern – jede Landesregierung kann somit aktiv werden. Das Land Berlin zum Beispiel, geht derzeit voran und bereitet ein Hygiene-Barometer per Landesgesetz vor.
Kontrollämter mit ausreichend Personal ausstatten!
Statt die Ämter mit ausreichend Personal auszustatten, um Lebensmittelbetriebe umfassend zu kontrollieren, haben die Bundesländer, darunter auch Hessen, im Bundesrat einstimmig für eine Vorschrift von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner gestimmt, wonach Risikobetriebe seltener routinemäßig kontrolliert werden müssen. Bei einem Unternehmen der Kategorie Wilke sind jetzt zum Beispiel nur noch 4 statt 12 Regelkontrollen im Jahr vorgesehen.
Jede dritte Lebensmittelkontrolle entfällt
Weil die meisten Lebensmittelämter unterbesetzt sind, wird schon jetzt in keinem einzigen Bundesland die vorgeschriebene Zahl an Routinekontrollen erreicht. Jede dritte planmäßige Kontrolle fällt aus. Durch die Neuregelung der Lebensmittelkontrollen werde der Personalmangel in den Behörden verschärft.