Junkfood-Kindermarketing: Özdemir präsentiert Pläne für Werbeschranken
Nach jahrelangem Druck von Ärzteverbänden und Verbraucherorganisationen will Ernährungsminister Cem Özdemir endlich das an Kinder gerichtete Marketing von Zuckerbomben einschränken. Gegen die ehrgeizigen Pläne formiert sich bereits Widerstand.
Fast alle Lebensmittel, die Unternehmen an Kinder vermarkten, sind ungesund. Das war bereits vor zehn Jahren das vernichtende Ergebnis eines foodwatch-Marktchecks. Seither hat sich daran kaum etwas geändert.
Eine Milliarde Euro für Süßwarenwerbung
Laut einer Studie der Universität Hamburg sieht jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie hat 2021 über eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor.
Junkfood-Werbung hat fatale Folgen
Die Branche weiß, dass ihr Geld gut angelegt ist: Lebensmittelwerbung prägt nachweislich das Ernährungsverhalten von Kindern und erhöht den Verzehr. Kinder essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Die Folge: Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.
Verbraucher- und Medizinverbände dringen schon seit längerem zum Handeln. SPD, FDP und Grüne haben solche Werbebeschränkungen auch grundsätzlich im Koalitionsvertrag vereinbart. Nun legt Özdemir Punkte für einen Gesetzentwurf dazu vor, die zunächst in der Bundesregierung weiter abgestimmt werden sollen.
Die von Minister Özdemir auf den Weg gebrachten Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel sind ein Meilenstein im Kampf gegen Fehlernährung und Übergewicht.Recherche und Kampagnen bei foodwatch
WHO-Kriterien als Grundlage
Als Messlatte, ab wann Produkte zu viel Salz, Fett und Zucker enthalten, soll das Nährwertprofil der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen. Dabei handelt es sich um Höchstwerte für mehrere Kategorien, die beispielsweise bei Frühstückscerealien wie Müslis nicht mehr als 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm vorsehen. Überschreiten Produkte die empfohlenen Profile, dürfen sie also nicht mehr für Kinder angepriesen werden. Nicht tabu sein soll laut Ministerium Werbung für Milch und normale Obstsäfte.
Junkfood-werbefreie Zeit zwischen 6 und 23 Uhr
Die Werbeverbote sollen dann auf breiter Front greifen: In Presse, Radio und Fernsehen, im Internet samt Streaming, sozialen Netzwerken, für Influencerinnen und Influencer. Dass eine Werbung an Kinder gerichtet ist, lässt sich laut Ministerium etwa an Kindern als Darstellern und Produkten mit Farben und Kindermotiven festmachen. Im Fernsehen sind mit der langen Zeitspanne von 6.00 bis 23.00 Uhr auch Familienfilme oder Fußballspiele im Abendprogramm eingeschlossen. Vom Verbot umfasst sein sollen Spots für Salziges und Fettiges in der Halbzeit dann auch, wenn sie nicht mit Kinderoptik gestaltet sind. Das hatten foodwatch und andere Organisationen in den vergangenen Monaten explizit gefordert: Denn laut einer foodwatch-Analyse läuft fast die Hälfte der Werbung für ungesunde Lebensmittel, die Kinder im Fernsehen wahrnehmen, zur abendlichen Primetime. Jede dritte der unter Kindern beliebtesten TV-Sendungen ist kein klassisches Kinderformat, sondern eine meist abends ausgestrahlte Unterhaltungssendung, ein Familienfilm oder eine Sportübertragung.
Kommen soll das Verbot außerdem auch für Außenwerbung auf Plakaten in einer „Bannmeile“ von 100 Metern um Schulen, Kitas, Spielplätze und Freizeiteinrichtungen für Kinder - und für Sponsoring, das sich etwa bei Veranstaltungen an Kinder richtet.
Özdemir nimmt die Industrie in die Pflicht
Minister Cem Özdemir macht nun endlich Schluss mit dem von der Bundesregierung jahrelang vorgelebten, erfolglosen Prinzip der Freiwilligkeit. Der Minister nimmt die Lebensmittelindustrie in die Pflicht, die mit aggressiven Marketingtricks Kindern Burger, Süßigkeiten und Limonaden andreht.
Jetzt kommt es darauf an, dass das Gesetz innerhalb der Ampelkoalition – insbesondere vom Koalitionspartner FDP – nicht verwässert wird und der Kinderschutz gegen die Interessen der Werbewirtschaft und der Junkfood-Industrie durchgesetzt wird.
Kritik von der Industrie – und der FDP
Auf Seiten der Industrie formiert sich bereits Widerstand. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft kritisierte, dass das Gesetz die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend beschädige und den Wettbewerb ausschalte. Die Verbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger betonten, zur Finanzierung der Presse seien Werbeeinnahmen weiterhin unverzichtbar. Der Lebensmittelverband warnte vor symbolischen Maßnahmen.
In der Koalition gab es ein geteiltes Echo. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstützte Özdemir. Oft beginne eine chronische Krankheit in der Kindheit, ungesunde Ernährung sei häufig der Anfang. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch begrüßte den Gesetzesvorschlag. «Wir wollen Kinder besser vor Werbung schützen, damit ungesunde Lebensweisen gar nicht erst normalisiert werden.» Grünen-Expertin Renate Künast wies auf hohe gesellschaftliche Kosten von Krankheiten hin.
Die FDP meldete dagegen erhebliche Einwände an. Fachpolitiker Gero Hocker mahnte, ein Werbeverbot dürfe sich „nicht an willkürlich festgelegten Uhrzeiten orientieren, sondern muss am tatsächlichen Zuschaueranteil von Kindern festgemacht werden“. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai machte klar, was seine Partei grundsätzlich von dem Vorschlag hält: „Verbote bringen hier nichts.“
Werbeschranken wirken!
Was die FDP verschweigt: Mittlerweile ist es sogar nachgewiesen, dass Werbeschranken wirken. In Ländern mit gesetzlichen Beschränkungen des Kindermarketings ist der Konsum von Junkfood im Zeitraum von 2002 bis 2016 um 8,9 Prozent gesunken. In Ländern mit freiwilligen Selbstverpflichtungen ist der Konsum im gleichen Zeitraum hingegen um 1,7 Prozent gestiegen.
(mit dpa)