Bundesernährungsministerin Julia Klöckner will den Einsatz von Zucker und anderen Süßungsmitteln in Baby- und Kleinkindertees verbieten. Was die Ministerin im Kampf gegen Fehlernährung und Fettleibigkeit als großen Wurf verkauft, wird in der Praxis so gut wie nichts bringen.
Der Schritt mag auf den ersten Blick verblüffen: Bundesernährungsministerin Julia Klöckner – die verpflichtende Regeln für die Lebensmittelindustrie bislang strikt abgelehnt hatte – will den Einsatz von zugesetztem Zucker in Babytees verbieten. „Babys und Kleinkinder benötigen keine gesüßten Getränke“, sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. „Es sollte ihnen auch nicht von Anfang an ‚antrainiert‘ werden.“ Deshalb sollen Kräuter- und Früchtetees für Säuglinge und Kleinkinder weder zugesetzten Haushaltszucker noch Honig, Malzextrakt, Sirupe oder Dicksäfte enthalten. Über das Gesetz wird an diesem Freitag der Bundesrat entscheiden.
Gezuckerte Babytees sind Nischenprodukt
Was Julia Klöckner verschweigt: Gesüßte Tees für Babys und Kleinkinder sind mittlerweile ein Nischenprodukt und kaum noch im Handel erhältlich. Die Hersteller haben bereits vor Jahren aufgrund öffentlicher Kritik die Rezepturen geändert und umstrittene Produkte vom Markt genommen. Das Verbot ist also ein Papiertiger und kein Mittel, um das Übergewichtsproblem bei Kindern zu lösen.
Im Kampf gegen Fehlernährung versagt Julia Klöckner auf ganzer Linie. Ihre freiwilligen Verabredungen mit der Industrie funktionieren nicht, und jetzt versucht sie ihr politisches Scheitern mit dem Verbot gesüßter Babytees zu überdecken.Leiter Recherche und Kampagnen
Politik der Freiwilligkeit
Wenn das Verbot von Babytees nur wenige Produkte betrifft – was unternimmt Julia Klöckner sonst im Kampf gegen Fehlernährung und Übergewicht? Bisher hat sie die Hersteller lediglich darum gebeten, freiwillig bis 2025 weniger Zucker einzusetzen. Dazu hat sie vor einigen Jahren ihre „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ an den Start gebracht. Bis heute hat sich bei den Rezepturen jedoch kaum etwas geändert: Weiterhin enthalten 99 Prozent der Frühstücksflocken für Kinder zu viel Zucker, Joghurts für Kinder enthalten 40 Prozent mehr Zucker als von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen – das zeigen Daten der AOK und des Max Rubner-Instituts. Bei Zuckergetränken, einer der Hauptursachen für Fettleibigkeit, ging der Zuckeranteil sogar nur um läppische 0,2 Gramm pro 100 Milliliter zurück. Frau Klöckners Strategie gegen Fehlernährung ist krachend gescheitert – auch wenn die Ministerin sich das nicht eingestehen will.
Millionenfaches Leid und 63 Milliarden Euro Folgekosten
Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern sowie Erwachsenen haben in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch zugenommen. Die WHO und die OECD sprechen von einer „globalen Adipositas-Epidemie“. Aktuell ist etwa jeder vierte Erwachsene in Deutschland fettleibig. Bei Kindern sind mehr als 15 Prozent übergewichtig. Ein Zusammenschluss von deutschen Fachgesellschaften warnt vor einem „Tsunami chronischer Krankheiten“, denn Fettleibigkeit erhöhe nachweislich das Risiko für die Entstehung von zahlreichen chronischen Krankheiten, darunter Herzkrankheiten, Typ-2-Diabetes sowie diverse Krebsarten. Allein durch Adipositas entstehen in Deutschland jährlich etwa 63 Milliarden Euro Folgekosten.
Klöckner ignoriert Experten-Appelle
Statt Ablenkungsmanöver und loser Vereinbarungen muss Frau Klöckner ernsthafte Maßnahmen ergreifen, wie sie von der WHO und der Ärzteschaft seit Jahren gefordert werden. Die Werbung an Kinder für unausgewogene Lebensmittel muss gesetzlich untersagt werden, wir brauchen eine verpflichtende Nutriscore-Ampel auf allen Produkten und eine Limo-Steuer nach britischem Vorbild.
In Großbritannien ist nach Einführung einer Limo-Steuer der Zuckergehalt in Limonaden und anderen Erfrischungsgetränken drastisch gesunken. So enthält mittlerweile eine Fanta in Großbritannien nur noch halb so viel Zucker wie eine Fanta in Deutschland (4,6 statt 9,1 Gramm pro 100 Milliliter). Sowohl in Großbritannien als auch in Mexiko, Finnland, Berkeley oder Frankreich ging der Zuckergetränke-Verbrauch nach Einführung einer Steuer signifikant zurück.
Nutri-Score kommt bald, aber freiwillig
Julia Klöckner lehnt eine Limo-Steuer ab. Bei der Nährwertkennzeichnung hat sie indes nach langem Zögern nachgegeben. Deutsche Hersteller soll es bald möglich sein, die aus Frankreich stammende Nutri-Score-Ampel auf ihre Produkte zu drucken. Das System bezieht neben dem Gehalt an Zucker, Fett und Salz empfehlenswerte Bestandteile wie Ballaststoffe in eine Gesamtbewertung ein und gibt dann einen einzigen Wert an - auf einer fünfstufigen Skala von „A“ auf dunkelgrünem Feld für die günstigste Bilanz über ein gelbes „C“ bis zu einem roten „E“ für die ungünstigste. Die Nutzung des Nutri-Scores ist freiwillig. Eine gesetzliche Verpflichtung allein auf nationaler Ebene ist nach europäischem Recht nicht möglich. Julia Klöckner kann sich aber in Brüssel dafür einzusetzen, die Nutri-Score-Ampel zum verpflichtenden Modell in der EU zu machen.