Behörde verschweigt Hygienemängel
In einer bayerischen Wurstfabrik des größten deutschen Fleischkonzerns Tönnies herrschten über Monate hinweg ekelerregende Zustände. Obwohl die zuständige Kontrollbehörde Bescheid wusste, informierte sie die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht über die Hygienemängel. Der Fall zeigt: Wenn die Ergebnisse von Hygienekontrollen nicht veröffentlicht werden müssen, haben Ekelbetriebe nichts zu befürchten.
Schmutzpartikel in der Weißwurstlake, verdreckte Maschinen, Pfützen mit stinkendem Wasser: In einer Wurstfabrik des größten deutschen Fleischkonzerns Tönnies war über Monate hinweg Ekel an der Tagesordnung. Das zeigen geheime amtliche Kontrollberichte, die von foodwatch jüngst veröffentlicht wurden. Demnach beanstandeten Lebensmittelkontrolleure bei der „Landsberger Wurstspezialitäten GmbH“ in Oberbayern bei insgesamt 41 Überprüfungen zwischen Oktober 2017 und Februar 2018 immer wieder Verstöße gegen Hygienevorschriften. In den Kontrollberichten ist zudem mehrfach von Darmbakterien an Maschinen die Rede. Das Unternehmen widerspricht in einer Stellungnahme dieser Darstellung.
Keine Bußgelder, keine Information der Öffentlichkeit
Doch trotz der zum Teil eklatanten Mängel verhängte das zuständige Landratsamt in Landsberg am Lech keine Bußgelder und informierte die Öffentlichkeit nicht über die Zustände in der Wurstfabrik. foodwatch sieht hier auch die bayerische Landesregierung in der Verantwortung: Sie hat sich immer wieder gegen mehr Transparenz in der Lebensmittelüberwachung ausgesprochen. Aus vergangenen Hygiene-Skandalen wie Müller-Brot hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder offenbar nichts gelernt.
„Der Fall Landsberger zeigt: Wenn die Ergebnisse von Hygienekontrollen nicht veröffentlicht werden müssen, haben Ekelbetriebe nichts zu befürchten. Nur Transparenz über die Kontrollen schafft Abschreckung.“foodwatch
foodwatch fordert, dass Behörden per Gesetz dazu verpflichtet werden, immer alle Kontrollergebnisse zu veröffentlichen. Der Zeitpunkt dafür könnte eigentlich nicht günstiger sein: Bundesernährungsministerin Julia Klöckner kann bei den ohnehin anstehenden Änderungen am Lebensmittelrecht ein Transparenzsystem einführen, das Behörden dazu verpflichtet, alle Lebensmittelkontrollergebnisse unverzüglich öffentlich zu machen.
Aktueller Gesetzesvorschlag nicht ausreichend
Es ist jedoch fraglich, ob es dazu kommen wird. Denn auch mit dem von Julia Klöckner kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf wären die Ekelzustände bei Landsberger nicht ans Licht gekommen, da der Vorschlag die weitreichenden Ermessensspielräume der Behörden aufrechterhält. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2018 in einem Urteil ausdrücklich die Informationsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern gestärkt und ihnen verfassungsrechtliche Bedeutung beigemessen. Diese Grundsatzentscheidung wird von der Bundesregierung jedoch missachtet.
Erfolgreiches Smiley-System in Dänemark
Vorbild für Deutschland muss das erfolgreiche Smiley-System aus Dänemark sein. Dort sind Lebensmittelbetriebe seit 2002 verpflichtet, die Kontrollergebnisse mithilfe eines Smiley-Schemas an der Eingangstür auszuhängen und im Internet zu veröffentlichen. Die Zahl der Beanstandungen ist seitdem deutlich zurückgegangen.
Aus „Müller-Brot“ nichts gelernt
Die bayerische Großbäckerei Müller-Brot hatte bis 2012 jahrelang Millionen von Backwaren an Verbraucherinnen und Verbraucher verkauft, obwohl die Behörden von den miserablen hygienischen Zuständen in der Fabrik wussten. Nun sind den Menschen erneut über Monate hinweg Lebensmittel aus Ekelproduktion untergejubelt worden – mit dem Wissen einer Kontrollbehörde.
Daher sollte insbesondere Markus Söder sich als Ministerpräsident für ein solches Gesetz stark machen, um den wiederkehrenden Hygieneskandalen in Bayern endlich ein Ende zu bereiten. Doch bislang weigert er sich: Unter seiner Verantwortung als Fachminister hatte der Freistaat in der Verbraucherschutzministerkonferenz 2011 als einziges Bundesland gegen eine Veröffentlichung von Hygienekontrollergebnissen gestimmt.
„Markus Söders Blockadehaltung gegen ein Transparenzsystem ist mitverantwortlich dafür, dass Hygieneskandale in Bayern immer wieder vorkommen. Er predigt Recht und Ordnung, drückt aber bei Verstößen gegen Hygienevorgaben beide Augen zu. Der bayerische Ministerpräsident darf nicht länger als Schutzpatron der Schmuddelbetriebe agieren, sondern muss sich für die Veröffentlichung aller Kontrollergebnisse stark machen.“
Johannes Heeg, foodwatch
Nach Klage kontrolliert weiter das Landratsamt
Die Kontrolle der „Landsberger Wurstspezialitäten“ sollte eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der neu errichteten „Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen“ (KBLV) fallen. Die KBLV ist seit Januar 2018 für rund 600 Lebensmittelbetriebe in Bayern zuständig, die zuvor der Kontrolle der Landratsämter unterlagen. Die „Landsberger Wurstspezialitäten“ haben jedoch gegen den von der KBLV erlassenen Zuständigkeitsbescheid Klage erhoben – und werden deshalb weiterhin vom Landratsamt Landsberg kontrolliert.
„Das setzt dem Ekel-Skandal die Krone auf: Erst redet das zuständige Landratsamt die Hygieneprobleme klein. Und dann verhindert das betroffene Unternehmen, dass eine andere, womöglich strengere Behörde die Kontrollen übernimmt. Will sich hier ein Schmuddelbetrieb seine Kontrolleure selbst aussuchen?“Campaigner bei foodwatch
Trotz Ekel keine Reaktion der zuständigen Behörde
Behörden sind nicht verpflichtet, alle Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen öffentlich zu machen. Um die Kontrollberichte der Tönnies-Wurstfabrik zu erhalten, hat foodwatch einen Antrag nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) gestellt. Die Unterlagen, die wir daraufhin erhalten haben dokumentieren über Monate hinweg immer wieder Verstöße gegen Hygienevorgaben. In den Berichten führen die Kontrolleure beispielsweise aus, dass in einem Bereich des Betriebs „die übliche stinkende Pfütze stand“, „Schinken in altverschmutzte, verkalkte Pressen verbracht“ wurde und sich in einem Raum „Grobschmutz am Boden und hinter den Wägen an der Wand“ befand. In einer Stellungnahme gegenüber foodwatch gab das Landratsamt Landsberg am Lech hingegen an, bei den Hygienemängeln handele es sich „nicht um gravierende, sondern in der Regel lediglich um geringfügige Verstöße“, die „in der Regel unmittelbar durch den Betrieb abgestellt wurden“.
„Es ist völlig unverständlich, warum das Landratsamt Landsberg noch nicht einmal Bußgelder verhängte und den Betrieb einfach monatelang weiter laufen ließ. Bei dem Ausmaß der in den Kontrollberichten festgehaltenen Hygienemängel hätten zumindest die beanstandeten Maschinen zwecks Reinigung und Desinfektion stillgelegt werden müssen.“ehemaliger Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure
Hinweis: Die in diesem Artikel verwendeten Fotos stammen vom Landratsamt Landsberg am Lech. Sie zeigen Originalbilder aus der Tönnies Wurstfabrik. Sie waren Teil von Informationen, die foodwatch im Rahmen der Anfrage nach dem Verbraucherinformationsgesetz übermittelt wurden.
Links
- Das haben die Kontrolleure bei den „Landsberger Wurstspezialitäten“ bemängelt
- Ausgewählte Fotos der Hygiene-Mängel zum Download (Quelle: Landratsamt Landsberg am Lech)
- Stellungnahme Landratsamt Landsberg inkl. aller vom Landratsamt übermittelten Fotos
- foodwatch-Schriftwechsel mit der neuen Kontrollbehörde KBLV
- Mehr Informationen zum dänischen „Smiley-System“
- foodwatch-Stellungnahme zur geplanten Reform des Transparenz-Gesetzes §40