„Billig-Agrarexporte für den Weltmarkt und eine tiergerechte Nutztierhaltung sind ein unauflösbarer Widerspruch!“
Der Bundestag hat für die Umsetzung der Borchert-Empfehlungen zum Umbau der Nutztierhaltung gestimmt. Doch der Vorschlag des Stallneubaus löst nicht die Probleme in der Nutztierhaltung, sondern lenkt nur vom eigentlichen Problem ab: die Export-Fixierung der deutschen Agrarindustrie. Diese muss problematisiert werden und es müssen gesetzliche Vorgaben für eine bessere Tiergesundheit her!
Ein Beitrag von Matthias Wolfschmidt von foodwatch.
Ein ganzes Schweineschnitzel für 1,78 Euro oder 100 Gramm Hähnchenbrust für 50 Cent – solche Billigangebote lösen immer wieder Empörung aus. Ist es da nicht richtig, dass wir Verbraucherinnen und Verbraucher im Supermarkt etwas mehr zahlen sollen, damit es den Tieren besser geht?
Eine Expertenkommission im Auftrag von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat genau das vorgeschlagen: eine „Tierwohlabgabe“. Denkbar seien Preisaufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst und 2 Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte, so die Empfehlung der sogenannten „Borchert-Kommission“. Mit den Einnahmen sollen Landwirtinnen und Landwirte tierfreundlichere Ställe bauen können.
Klingt gut? Auf den ersten Blick vielleicht.
Allein der Neu- oder Umbau von Ställen ändert wenig an den teils unerträglichen Zuständen in der Nutztierhaltung. Tiere werden in der modernen Landwirtschaft systematisch krank gemacht. Verhaltensstörungen, Krankheiten und Schmerzen sind an der Tagesordnung. Schweine knabbern sich gegenseitig aus Stress die Schwänze ab, Kühen wird Milch aus kranken Eutern abgepumpt und in Geflügelställen ist Kannibalismus „normal“. Rund jedes vierte (!) tierische Produkt stammt von einem kranken Tier – das gilt für alle Haltungsformen und alle Stallgrößen. Es mag verwundern, aber tiermedizinische Studien belegen immer wieder ganz klar: Der Gesundheitszustand der Tiere hängt bei weitem nicht nur davon ab, ob sie in kleinen Betrieben oder „Megaställen“, in Bio-Höfen oder konventioneller Haltung leben.
Irreführung der Öffentlichkeit
Wenn jetzt also so getan wird, als ob neue Ställe die Lösung für mehr Tierschutz sind, dann ist das einfach falsch und eine Irreführung der Öffentlichkeit. Denn nur ein bisschen "schönere" Ställe – vielleicht mit etwas mehr Platz, Auslauf und Spielmöglichkeiten – sind keine Garantie dafür, dass die Tiere auch gut behandelt werden und nicht erkranken.
Entscheidend ist das Betriebsmanagement
Tiere sind empfindsame und fühlende Wesen – und tiergerechte Nutztierhaltung ist äußerst komplex. In jedem Betrieb gibt es viele Faktoren, die beeinflussen, ob es den Tieren gut geht. Entscheidend für den gesundheitlichen Zustand (und damit für den Schutz) der Tiere ist längst nicht nur wie der Stall gebaut ist. Sondern vor allem das "Management" durch die Tierhalter, also die Tierbetreuung, die Hygiene, das Stallklima. Vereinfacht gesagt: Während die eine Landwirtin ihr Stallmanagement gut im Griff hat und sich so um die Tiere kümmert, dass sie gesund sind, gibt es bei ihrem Kollegen im Nachbardorf vielleicht immer wieder kranke und leidende Tiere – auch wenn der Stall ähnlich gebaut ist.
Statt nur über Stallumbauten zu sprechen, muss sichergestellt werden, dass die Tiere nicht krank gemacht werden. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht. Eigentlich unglaublich: Bisher gibt es für Tierhaltungsbetriebe schlichtweg keinerlei Vorgaben dafür, dass es den Tieren gut gehen muss, sie also gesund sein müssen – weder in der konventionellen noch in der Bio-Tierhaltung. Das muss sich endlich ändern! Wir brauchen gesetzliche Zielvorgaben für die Tiergesundheit. Dass die Tiere gesund sind und gut gehalten werden, muss regelmäßig in jedem Stall kontrolliert werden. Und die Ergebnisse müssen betriebsgenau veröffentlicht werden – denn nur dann gibt es eine öffentliche Kontrolle und auch den Druck für schlechte Betriebe, die krankmachenden Zustände zu ändern.
Höhere Preise sind unausweichlich
Ja, eine Wahrheit gehört dazu: Die Erzeugung von Fleisch, Milch, Eiern & Co. würde dadurch teurer werden. Doch genau das will die Agrarindustrie und auch die Politik nicht. Denn die deutsche Agrarwirtschaft setzt seit Jahren vor allem auf günstig produzierte Exportprodukte. Während wir zum Beispiel vor 20 Jahren noch Schweinefleisch importierten, ist Deutschland heute der drittgrößte Schweinefleischproduzent der Welt. Wirksame Tierschutzvorgaben, die höhere Kosten verursachen, sind da nur hinderlich. Denn Schweinefleisch-Exportweltmeister wird man nicht aufgrund hoher Tierschutzstandards – sondern durch niedrige Preise.
Die „Tierwohlabgabe“ ist eine Mogelpackung
Sowohl der Billig-Exportstrategie als auch den gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Tierschutz will die Expertenkommission von Julia Klöckner jetzt also durch eine "Tierwohlabgabe" gerecht werden: Wir alle sollen im Supermarkt mehr zahlen, um bauliche Veränderungen an den Ställen zu finanzieren. Damit soll der Anschein erweckt werden, hier würde tatkräftig und wirksam gegen die flächendeckenden Missstände in der Tierhaltung vorgegangen. Aber eigentlich geht es vor allem darum, dass die deutsche Agrarindustrie weiter billig für den Weltmarkt produzieren kann und ihre "Wettbewerbsfähigkeit" nicht verliert. Doch es ist und bleibt ein unauflösbarer Widerspruch: Billig-Agrarexporte für den Weltmarkt und tiergerechtes Leben für alle Nutztiere schließen sich gegenseitig aus!
Keine Agrarindustrie auf Kosten von Tier, Umwelt und Mensch!
Solange unsere Landwirtinnen und Landwirte vor allem billig für den Export produzieren, sind sie gezwungen in einem brutalen Unterbietungswettbewerb ihren Aufwand und ihre Kosten für Tier-, Umwelt- und Arbeitsschutz immer weiter zu minimieren.
Eine ehrliche Debatte darüber, welche Landwirtschaft wir als Gesellschaft wollen, scheuen Agrarlobby und Agrarpolitik gleichermaßen. Wollen wir wirklich eine Agrarindustrie, die vor allem auf billige Exportgüter setzt – auf Kosten von Tieren, Umwelt und Menschen? Wir von foodwatch meinen: Nein!
Matthias Wolfschmidt ist Strategiedirektor von foodwatch und Veterinärmediziner