Nachricht 26.02.2025

Bundestagswahl: Vier Hoffnungsschimmer

Ein Kommentar von foodwatch-Geschäftsführer Dr. Chris Methmann. 

Was das Wahlergebnis für foodwatch bedeutet – und warum es Anlass zur Hoffnung gibt: Lesen Sie hier die Analyse von foodwatch-Geschäftsführer Dr. Chris Methmann. 

Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer

Die Bundestagswahl am vergangenen Sonntag sitzt uns allen noch in den Knochen. Natürlich gibt es viele gute Gründe, jetzt schlechte Laune zu haben. Auch ich habe Sonntagabend vor dem Fernseher laut geflucht. Trotzdem gibt es einige Punkte, die mich positiv auf das Ergebnis blicken lassen.

Versuchen wir es mal mit Optimismus!  

1. Wir bekommen eine funktionierende Regierung. 

Die sich abzeichnende Koalition aus Union und SPD verspricht Stabilität. Das ist wichtig wegen der Bedrohungen von außen und innen. Aber es ist auch die Bedingung dafür, dass foodwatch politisch etwas bewegen kann. 

Die Ampel wollte ein Gesetz zum Schutz unserer Kinder vor übermäßiger Junkfood-Werbung – auch, weil wir uns schon lange dafür einsetzen. Da kann man dafür sein (wie die Grünen) oder dagegen (wie die FDP). In einer funktionierenden Koalition findet man einen Kompromiss. Vermutlich hätten wir ihn als zu lasch kritisiert. Aber es hätte ein Gesetz gegeben.  

In der Ampel wurde lange gestritten und blockiert. Was am Ende herausgekommen ist: ein argumentatives Trümmerfeld, aber kein Gesetz. Jetzt gibt es berechtigte Hoffnung, dass eine Regierung wieder Kompromisse findet. 

2. Totalverweigerung wird bestraft. 

Die FDP wurde für ihre verantwortungslose Haltung in der Ampel abgestraft. Was hinter der unwürdigen Flucht aus der Ampel (“D-Day”, “offene Feldschlacht”) inzwischen verblasst: Die Partei hatte schon Jahre zuvor nicht mehr ernsthaft mitgearbeitet, sondern vor allem Gesetze verhindert (s.o.).  

Die Krisen türmen sich auf. Es gibt viel zu tun. Wer das verkennt und nur blockiert, verliert offenbar das Vertrauen der Wähler:innen.   

Für alle anderen Parteien ist das ein wichtiges Signal: Wer nur opponieren will, sollte in der Opposition bleiben – oder droht aus dem Bundestag zu fliegen. 

3. Der Linken-Erfolg erzeugt Druck. 

Erinnern Sie sich noch, wofür die Grünen im Wahlkampf geworben haben? Eben. Inhaltsleere Wahlplakate (“Zuversicht”) sollten ehemalige Merkel-Wähler:innen anziehen. Das änderte sich erst in den Wochen vor der Wahl. Da wurde Habeck auf einmal wieder mit “Klimaschutz” plakatiert. Der Grund: Die spektakuläre Aufholjagd der Linken, die grüne Stammwähler anzog.  

Für die Grünen dürfte das eine Lehre sein: Sie werden gewählt, wenn sie konsequent soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Verbraucherrechte einfordern. Bei der SPD wird der Linken-Erfolg ähnliche Spuren hinterlassen. Das könnte dazu führen, dass sie unsere Anliegen in Zukunft wieder ernster nehmen. 

4. Das Grau der Ampel sortiert sich in schwarz und weiß. 

Für uns wird es wieder einfacher, die Regierung unter Druck zu setzen. Ein Beispiel: Cem Özdemir hat wenig für die Agrarwende getan, war als Grüner aber immer schwer zu packen.  

Mit der GroKo wird wahrscheinlich ein verurteilter Umwelt-Straftäter sein Ressort bekommen. Denn das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat Markus Söder einem Chef-Lobbyisten der Agrarindustrie versprochen: Günther Felßner, Präsident des bayrischen Bauernverbandes. 

Als Milchbauer wurde er im Jahr 2018 zu einer vierstelligen Geldstrafe verdonnert, weil er giftige Abwässer  illegal in einen Wald leitete. Einsichtig zeigte er sich kaum. 

Auch das Programm der Union liest sich, wie aus dem Forderungskatalog der Industrielobby abgeschrieben:

  • Die Union „bekennt sich“ zu chemischen Ackergiften und will deren Zulassung sogar noch erleichtern. Der Wunschtraum von Chemiekonzernen wie Bayer – als ob es das Insekten- und Artensterben nicht gäbe. 
  • Ganze drei Zeilen widmen die Parteien in ihrem Wahlprogramm dem Bereich Ernährung. Darin beschreiben sie vor allem, was sie nicht wollen. Zum Beispiel wirksame Regeln, die unsere Kinder vor dem Junkfood von Nestlé und anderen schützen würden. 
  • „Ernährungssicherheit“ soll Staatsziel werden – ein Lieblings-Mythos der Agrarlobby. Denn wer Angst vor Knappheit schürt, lügt – und will vor allem Umweltauflagen abwehren. Vor kurzem haben wir nachgewiesen: Wir können locker auf Pestizide verzichten und trotzdem alle satt werden.

Das alles klingt nach Durchmarsch der Agrarlobby direkt ins Ministerium. Und klar, das kann Anlass zur Verzweiflung geben. 

Aber ich sehe es so: Auch die Bilanz der Ampel war im Bereich Agrar und Ernährung bescheiden. Ihr Dauerstreit hat uns alle zermürbt, so dass am Ende keiner mehr Lust hatte, sich zu engagieren. 

Jetzt droht die Regierung offensichtlich gegen gesundes und zukunftsfähiges Essen zu handeln. Das wird uns alle motivieren, sich ihr entgegenzustellen. Mit diesem öffentlichen Druck im Rücken können wir zu sie trotzdem zu besserer Politik treiben. 

Für mich bleibt das Fazit: Der 23. Februar hat das beste aller schlechten Ergebnisse gebracht, die realistisch waren. 

Wir dürfen nicht davon ausgehen, in den nächsten vier Jahren viel durchsetzen zu können. Und manchmal wird es sich so anfühlen, als wären wir machtlos. Aber wenn wir langfristig denken, dann kommen wir jetzt endlich aus der Defensive heraus. Denn die nächste Regierung, die nächste Wahl kommt bestimmt. Bis dahin haben wir jetzt beste Chancen, unsere Themen auf die Agenda bringen. 

Gerade deswegen zahlt sich aus, dass Zehntausende hinter uns stehen. Es sind diejenigen, die Petitionen unterzeichnen, diese teilen oder uns mit einem monatlichen Beitrag unterstützen. Das gibt uns den langen Atem, den wir für die nächsten vier Jahre und darüber hinaus brauchen. Dafür danke ich unseren Unterstützer:innen von Herzen! 

Vielen Dank und herzliche Grüße 

Dr. Chris P. Methmann