Ursula von der Leyen und die Agro-Lobby: die stille Erosion von EU-Umweltstandards
Ein Kommentar von foodwatch-Geschäftsführer Dr. Chris Methmann.
Die europaweiten Bauernproteste zeigen Wirkung: Im Eilverfahren hat die EU unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Umweltauflagen für die Landwirtschaft abgeschafft. Die Beschneidungen der Gemeinsamen Agrarpolitik sind fatal für Umwelt und Klima – und dienen dabei gleichzeitig nicht den Landwirt:innen, sondern vor allem den Profiten der Agro-Industrie.
Lagerfeuer, Misthaufen und das laute Hupen von hunderten riesigen Traktoren: Im Brüsseler EU-Viertel blockierten aufgebrachte Landwirt:innen in den vergangenen Wochen die Straßen und sorgten für bedrohliche Bilder. Aber nicht nur in Brüssel, auch in Hauptstädten in ganz Europa, von Berlin bis Athen, demonstrierten immer wieder Landwirt:innen. Angesichts des täglichen Kampfs vieler Betriebe für einen angemessenen Lebensunterhalt ein legitimer Protest – der jedoch in kürzester Zeit von den großen Agrarkonzernen instrumentalisiert wurde. Für die Lobbyisten der Agrarindustrie kamen die Proteste genau zum richtigen Zeitpunkt. Nachdem die EU schon nach der Invasion Russlands in die Ukraine viele Umweltauflagen für die Landwirtschaft zurückgenommen hatte, war jetzt die Zeit gekommen, um den letzten Nagel in den Sarg des sogenannten „EU Green Deal“ zu schlagen.
Der Green Deal war ursprünglich eines der Vorzeigeprojekte von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Die Landwirtschaft sollte grüner, nachhaltiger, krisenfester werden – mit weniger Pestiziden und mehr Brachflächen für die Natur. Von diesen Plänen ist nicht mehr viel übrig. Die Christdemokratin versucht derzeit verzweifelt, für eine nächste Amtszeit als Kommissionspräsidentin wiederernannt zu werden. Dabei setzt sie offenbar auf massive Zugeständnisse an die Agrarbranche – wohl auch aus Angst davor, dass Rechtspopulisten überall auf dem Kontinent die Bauernproteste für sich zu nutzen versuchen.
Die sogenannte Sustainable Use Directive, mit der Ursula von der Leyen die EU-Landwirtschaft dazu bringen wollte, weniger gefährliche Ackergifte einzusetzen? Wurde bereits vor Wochen mehr oder weniger stillschweigend auf Eis gelegt. Und Mitte März präsentierte die Kommission einen neuen Änderungsvorschlag für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) – mit drastischen Einschnitten bei Umweltvorgaben.
Innerhalb weniger Wochen wurde der Vorschlag von den nationalen Hauptstädten abgesegnet und für eine Dringlichkeitsabstimmung im Europäischen Parlament vorgeschlagen. Wobei der für Umweltfragen zuständige Ausschuss bequem umgangen wurde. In der allerletzten Plenarsitzungswoche dieser Legislaturperiode stand nun im EU-Parlament die Abstimmung an – und die Parlamentarier:innen stimmten zu. Das bedeutet: Die derzeit geltenden Umweltauflagen, die Betriebe erfüllen müssen, um EU-Agrarsubventionen zu erhalten („guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand“, kurz GLÖZ) werden aufgegeben. Konkret: Bauernhöfe werden nicht mehr verpflichtet, mindestens vier Prozent ihrer Ackerflächen für den Umweltschutz brachliegen zu lassen.
Normalerweise sind die Verhandlungen in Brüssel über die Gemeinsame Agrarpolitik ein verwaltungsintensiver und langwieriger Prozess, an dem zahlreiche Akteure beteiligt sind. Kein Wunder – die GAP ist einer der größten Brocken im EU-Haushalt. Für den Zeitraum 2021-2027 werden insgesamt 387 Milliarden Steuergelder verteilt. Dieser mühselig ausgehandelte Kompromiss wurde jetzt von Ursula von der Leyen von heute auf morgen neu aufgerollt – ohne eine aussagekräftige Folgenabschätzung oder eine gesellschaftliche Debatte.
Das ist nicht nur undemokratisch, sondern auch fatal für den Umwelt- und Klimaschutz in Europa. Bisher mussten Landwirt:innen immerhin ein Mindestmaß an Umweltstandards einhalten, um EU-Subventionen zu erhalten. Die jetzigen Änderungen bedeuten einen weiteren Rückschritt und stehen in direktem Widerspruch zu den Umwelt- und Klimaproblemen, mit denen wir konfrontiert sind. Und sie stehen auch in Widerspruch zu den Forderungen der Landwirt:innen nach einem gerechten Einkommen. Denn zum einen werden wieder einmal die Großbetriebe begünstigt: Wer viel Fläche hat, bekommt viel Steuergelder – unabhängig davon, wie umweltfreundlich ein Hof arbeitet. Unter den großen Subventionsempfängern sind auch Agrarholdings, die Finanzinvestoren gehören oder an denen Supermärkte wie Aldi Anteile halten. Es profitieren also gerade nicht die kleinen Familienbetriebe. Zum anderen gefährden die Maßnahmen langfristig die Landwirtschaft in Europa. Sinkende Grundwasserspiegel und erodierende, von Pestiziden ausgelaugte Böden bieten unseren Agrarbetrieben in Zukunft keine Lebensgrundlage.
Kurz vor den Wahlen zum EU-Parlament ist es das falsche Signal, auf die Agrar-Lobby zu hören und Umweltauflagen zu rasieren. Die Bürger.innen in Europa wollen eine umweltverträgliche und damit zukunftsfähige und krisenfesten EU-Landwirtschaft, die langfristig die Ernährungssicherheit garantiert.