FAQ 22.10.2024

Entlarvt: Die „Milchmärchen“ der Agrarlobby

Verbraucher:innen trinken immer weniger Milch. Die Milchindustrie steht wegen ihrer Klimaauswirkungen und der schlechten Haltungsbedingungen für Kühe zunehmend in der Kritik. Die Branche reagiert mit gezielten Marketing-Kampagnen, um ihr Image zu verbessern – und täuscht dabei mit irreführenden Behauptungen. Unser Faktencheck: 

Milch liefert zwar Kalzium und Proteine, aber das macht sie nicht unersetzlich. Menschen in Deutschland konsumieren eher zu viel Milch und Milchprodukte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zum Beispiel empfiehlt pro Person und Tag bis zu 400 Gramm „Vollmilchäquivalente“ – der tatsächliche Konsum liegt in Deutschland jedoch mehr als doppelt so hoch.  Durch eine ausgewogene Ernährung mit Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten – und auch in Maßen Milchprodukten – lässt sich der Nährstoffbedarf gut decken. Pflanzliche Produkte können dabei eine Alternative sein. Sojamilch zum Beispiel hat einen vergleichbaren Eiweißgehalt wie Kuhmilch. Ebenso gibt es pflanzliche Nahrungsmittel, die viel Calzium enthalten, z.B. dunkelgrünes Gemüse, Haselnüsse, aber auch angereicherte Milchalternativen.  Gleichzeitig sind Pflanzenprodukte deutlich klimaschonender als tierische Lebensmittel. Untersuchungen, die die Emissionen von Milch und unverarbeiteten Hülsenfrüchten mit Bezug auf den Eiweißgehalt vergleichen, zeigen beispielsweise: Milch verursacht pro Menge Eiweiß 14-mal so viel Treibhausgasemissionen wie Hülsenfrüchte, Käse 11-mal so viel.  Auch eine vegane Ernährung kann, wenn sie sorgfältig gestaltet ist, laut dem neuen Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gesundheitsfördernd sein.  

Fakt ist: Wir müssen deutlich weniger Milchprodukte essen. Das ist gesünder – und schützt das Klima und die Umwelt.

Falsch. Effizienz in der Milchproduktion bedeutet nicht, dass sie klimafreundlich ist. Fakt ist: Milchprodukte verursachen etwa dreimal mehr schädliche Treibhausgase als pflanzliche Alternativen. Zudem hängen viele „effiziente“ Methoden von der Verwendung importierten Kraftfutters wie Soja ab, das oft aus Ländern stammt, in denen Regenwälder gerodet werden . Deutschland ist der größte Kuhmilchproduzent in der EU  und trägt Verantwortung, die Produktion zu reduzieren. 

Die Milchindustrie behauptet: Kühe, die möglichst viel Milch produzieren, schonen das Klima.  In den letzten Jahrzehnten wurde durch Züchtung die sogenannte „Milchleistung“ pro Kuh und Jahr mehr als verdoppelt. Und tatsächlich verursacht die moderne Agrarindustrie heute weniger Treibhausgasemissionen pro Liter Milch als bei der früheren geringeren Milchleistung.  Aber eine noch weitere Steigerung ist nicht die Lösung. Denn das macht bei dem heute üblichen, hohen Leistungsniveau der Tiere kaum einen Unterschied mehr für den Treibhausgastausstoß.  Und vor allem: Milchkühe immer noch „effizienter“ zu machen, ist aus Tierschutzgründen der falsche Weg. Schon jetzt leiden die Tiere durch die Zucht auf immer höhere Milchleistung. So haben rund 40 Prozent der deutschen Milchkühe schmerzhafte Euterentzündungen.  Viele Tiere werden durch die tägliche Belastung krank und müssen frühzeitig geschlachtet werden.

Die Hochleistung ist eine Scheinlösung auf Kosten der Tiere. Für den Klimaschutz besteht die wirksamste Maßnahme darin, die Tierzahlen und die Milchproduktion zu verringern, was zugleich eine Verringerung von Tierleid bedeutet.  
 

Die Milchlobby behauptet zwar gerne, die gesamte Tierhaltung in Deutschland sei für nur 5 Prozent der deutschen Emissionen verantwortlich und die Rinderhaltung nur für 3,9 Prozent.  Doch das Problem ist: Bei dieser Darstellung werden erstens nur Emissionen betrachtet, die in Deutschland entstehen – Emissionen durch Futtermittelimporte werden nicht mitgerechnet. Zweitens sind nur die direkten Emissionen aus der Tierhaltung berücksichtigt – was fehlt, sind zum Beispiel Emissionen aus dem Futtermittelanbau und aus der (besonders klimaschädlichen) Bewirtschaftung von entwässerten Moorböden. Zu den „indirekten“ Emissionen gehören außerdem die Emissionen aus der Produktion von Mineraldüngern und Pestiziden sowie dem Dieselverbrauch von Landmaschinen.

Wenn man die „indirekten“ Emissionen, für die die Tierhaltung klar verantwortlich ist, einbezieht, sind die Emissionen der Tierhaltung in Deutschland mehr als dreimal so hoch, wie die Lobbyverbände suggerieren!  Zudem verursacht die Milchproduktion in Deutschland deutlich mehr Emissionen als vergleichbare pflanzliche Alternativen. Eine Reduktion der Tierhaltung hätte ein enormes Einsparpotenzial: Würden in Deutschland Milch und Milchprodukte durch pflanzliche Alternativen ersetzt und freiwerdende Agrarflächen renaturiert, könnten Emissionen in einer Größenordnung von 10 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen reduziert werden.

Die Milchlobby versucht, die Rolle von Methan aus der Tierhaltung zu verharmlosen: Weil es anders als Kohlendioxid nach zwölf Jahren zerfällt, sei es für das Klima eigentlich unproblematisch.  Die Lobbykampagne „Initiative Milch“ bezeichnet Kühe sogar als „Teil eines natürlichen Klimazyklus“, denn das Methan würde in wenigen Jahren zu Kohlendioxid abgebaut, das als Kohlenstoff wieder von den Futterpflanzen aufgenommen würde.  

Das klingt harmlos – ist aber grob irreführend. Es stimmt zwar, dass Methan nach etwa zwölf Jahren in der Atmosphäre zu Kohlendioxid zerfällt. Solange es existiert, hat es aber eine viel stärkere Heizwirkung als Kohlendioxid. Die hohe Konzentration an Methan in der Atmosphäre trägt entscheidend zur aktuellen Erderwärmung bei. Die Reduktion von Methanemissionen wäre eine der schnellsten und effektivsten Maßnahmen, um die Erderwärmung kurzfristig zu bremsen. Außerdem ist der Methan-Ausstoß aus der Verdauung nur ein Teil der Klimawirkung der Rinderhaltung. Hinzu kommen die Emissionen etwa beim Futtermittelanbau, aus Gülle oder aus entwässerten Mooren.
 

Spezialfutter wie bestimmte Zusatzstoffe oder Algen sollen die Methanemissionen der Kühe reduzieren. Doch diese Maßnahmen haben nur begrenztes Potenzial  – allein schon, weil es bei der Klimaschädlichkeit der Milchproduktion nicht nur um das Methan aus der Verdauung der Kühe geht, sondern zum Beispiel auch um den Futtermittelanbau oder die Bewirtschaftung auf trockengelegten Mooren. Außerdem funktioniert die Futteroptimierung nur bei Stallhaltung, was die Lebensbedingungen der Tiere verschlechtert. Die Tierversuche, mit denen daran geforscht wird, den Methanausstoß über die Fütterung zu reduzieren, fügt zudem den Kühen massives Leid zu.  

Spezialfutter ist keine Lösung – der effektivste Weg, die Emissionen der Milchproduktion zu senken, ist die Reduktion der Tierzahlen und der Milchproduktion.

Bio-Milch verursacht laut einigen Studien zwar tatsächlich im Schnitt etwas geringere Treibhausgasemissionen . Die Unterschiede liegen allerdings nur im Bereich von 3 bis 11 Prozent und Bio-Milch verursacht noch immer rund zwei- bis dreimal so viele Emissionen wie die pflanzlichen Alternativen.  Bio-Milch ist also keine Klima-Lösung. Für Verbraucher:innen spielt sie außerdem oft die Rolle eines Feigenblatts – der eigene Konsum fühlt sich besser an, obwohl sich faktisch wenig ändert. Anstatt also Bio-Milch als Lösung zu bewerben, muss es darum gehen, die Tierzahlen und die Milchproduktion zu senken.

Die Milchlobby behauptet gerne, dass Rinder nur die Abfall- und Nebenprodukte der Land- und Ernährungswirtschaft als Futter bekämen, die somit nicht weggeschmissen werden müssen, sondern nachhaltig verwertet würden. Doch das ist irreführend. Denn zwar fressen Rinder in einigen Fällen tatsächlich Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie. Aber das macht nur einen kleinen Teil aus, schätzungsweise nur 12 Prozent vom aktuellen Rinderfutter in Deutschland.  Ein großer Teil des Futters  besteht aus Pflanzen wie Mais, Getreide und Soja, die auf Ackerland angebaut werden, das auch direkt für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden könnte. Diese Futtermittel sind alles andere als „Reste“, sondern werden speziell für die Tierhaltung angebaut – oft mit hohen ökologischen Kosten, insbesondere in Ländern, in denen Regenwald abgeholzt wird. Eine viel  stärker pflanzenbasierte Ernährung wäre eine effizientere und umweltfreundlichere Nutzung der verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen.

Grüne Landschaften mit grasenden Kühen sind das Lieblingsbild der Milchlobby – und ein ziemliches Greenwashing, denn in Wahrheit steht gerade einmal ein Drittel aller Kühe in Deutschland auf der Weide und das auch nur ein paar Monate im Jahr. Was die Milchlobby gerne vermitteln möchte: Indem Wiesen und Weiden bewirtschaftet werden, nutzt die Milchwirtschaft der Umwelt und dem Klima. Doch das stimmt nur, wenn das Grünland extensiv bewirtschaftet würde, mit wenigen Tieren und wenig Düngung. 

Die Realität ist davon weit entfernt: Die meisten Grünlandflächen werden heute intensiv genutzt, stark gedüngt und mehrfach im Jahr gemäht. Die Artenvielfalt ist entsprechend gering , und durch hohe Düngung gelangt Nitrat in Böden und Gewässer.  Was die Milchlobby außerdem außer Acht lässt: Bei mehr als 20 Prozent des deutschen Grünlands handelt es sich um entwässerte Moore  – auf solchen Flächen ist die Futternutzung und Weidehaltung besonders klimaschädlich. Würden diese Flächen nicht mehr für die Tierhaltung genutzt, sondern wiedervernässt, könnten enorme Mengen Treibhausgase eingespart werden. 

Quellen und weiterführende Informationen