Nachricht 22.10.2014

Kommentar von Thilo Bode: Bei TTIP geht es nicht um Blinker

Freihandel ist unabdingbar für die Weltwirtschaft, gegen fairen Freihandel gibt es keine Einwände. Doch bei den geplanten Handelsabkommen TTIP und CETA geht es um viel mehr als um die Angleichung von Regeln für die Farbe von Autorücklichtern oder die Länge von Schrauben. Ein Kommentar von foodwatch-Gründer Thilo Bode.

Bisherige Freihandelsabkommen hatten vor allem den Abbau von Zöllen zum Ziel. Bei einem durchschnittlichen Zollsatz von lediglich 2,8 Prozent im transatlantischen Handel geht es deshalb beim Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA primär um den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse (NTB). Darunter fallen zum Beispiel auch unterschiedliche technische Standards von Produkten, die den In-und Export zwischen den beiden Handelsblöcken erschweren. Eine Harmonisierung dieser Standards – zum Beispiel eine einheitliche Farbe für Auto-Rückblinker – spart Kosten und belebt das Geschäft. Dagegen hätte niemand etwas.

Verbraucherschutzregeln werden ausgehölt

Doch nicht-tarifäre Hemmnisse sind eben nicht nur unterschiedliche Blinkerfarben, sondern auch unterschiedliche Zulassungsverfahren für Chemikalien, Sicherheitsstandards und Kennzeichnungsvorschriften für Lebensmittel oder Vorschriften für menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Damit sind die Rechte von Verbrauchern und Arbeitnehmern unmittelbar betroffen – das macht die Brisanz von TTIP aus. Eine Beseitigung dieser nicht nur technischen „Hemmnisse“ durch eine Angleichung von Konventionen, zum Beispiel die Zulassung von Verfahren und Produkten, birgt die Gefahr einer Aushöhlung von Umwelt- und Verbraucherschutzregeln – vor allem in der EU, wo insgesamt höhere Standards gelten.

Kritik an TTIP = Kritik an freiem Handel?

Kritiker des TTIP pauschal als „Freihandelsgegner“ abzustempeln, beschreibt deshalb die Situation falsch. Freihandel ist unabdingbar für die Weltwirtschaft, gegen fairen Freihandel gibt es keine Einwände. Aber wenn das Freihandelsargument missbraucht wird, um Bürgerrechte zu schleifen, regt sich – zu Recht – Widerstand.

Um diese Befürchtungen zu entkräften argumentieren Regierung und Wirtschaftsverbände, an den Verbraucher-, Lebensmittel- und Umweltstandards würde TTIP nicht rütteln.  Doch mit dieser Versicherung werden die Bürger in der EU gleich zweifach getäuscht.


„Vorsorgeprinzip“ wird aufgeweicht

Erstens ist ein Absinken von Standards schon im Verhandlungsmandat der EU-Kommission angelegt. So wird das beispielsweise bei der Zulassung von Risikostoffen  in der EU gültige und  verfassungsrechtlich geschützte „Vorsorgeprinzip“ aufgeweicht. Es sieht vor, schon bei begründetem Verdacht und nicht erst bei endgültigem wissenschaftlichem Beleg, einen riskanten Stoff zu verbieten. Zudem gilt die Umkehr der Beweislast: Die Inverkehrbringer müssen die Unschädlichkeit der Stoffe nachweisen, und nicht die Gegner deren Schädlichkeit. Die EU hat das Vorsorgeprinzip in ihrer Chemikalienverordnung REACH verankert und damit weltweit eine Vorreiterrolle eingenommen. In den USA hingegen gilt das „Wissenschaftsprinzip“. Salopp ausgedrückt bedeutet es: Erst muss eine Leiche vorliegen, die eindeutig auf diesen einen Risiko-Stoff zurückgeht, bevor dieser verboten wird. Im Rahmen des TTIP sollen nun unterschiedliche Standards durch gegenseitige Anerkennung harmonisiert werden. Es ist eine Konsequenz ökonomischer Logik, dass eine Anerkennung laxerer Zulassungsverfahren in einer Wettbewerbswirtschaft zur Dominanz der weniger strikten Verfahren führen wird.

EU-Standards sollen nicht gesenkt werden – ist das ein Erfolg?

Zweitens: Der Erhalt der EU-Standards wäre insgesamt – trotz des beispielhaften Vorsorgeprinzips – kein Erfolg, sondern eine Bankrotterklärung. Skandalöse Praktiken etwa in der Landwirtschaft würden damit eingefroren: die tierquälerische Nutztierhaltung, der exzessive Einsatz von Antibiotika in der Tiermast, die Verschmutzung des Trinkwassers durch Überdüngung, regelmäßige Dioxin-Kontaminationen von Milch, Fleisch und Eiern, Salmonellenbelastung in der Geflügelwirtschaft, mangelnde Transparenz bei der Gentechnikkennzeichnung - um nur einige Beispiel zu nennen. Diese negativen Auswüchse eines Wirtschaftszweigs, dessen Treibhausgasemissionen denen des Verkehrssektors entsprechen, blieben durch das sich abzeichnende TTIP nicht nur erhalten, sondern würden sozusagen völkerrechtlich auf Jahrzehnte zementiert.

Völkerrechtlich abgesicherte Politik gegen die Bürger

Das Ziel von TTIP ist es, die Kosten der global aktiven Konzerne zu senken; verbesserte Standards für die Umwelt, für Verbraucher und Arbeitnehmer erhöhen die Kosten – und haben im TTIP deshalb keinen Platz. Dafür sorgen nicht nur die umstrittenen privaten Schiedsgerichtsverfahren, die es Unternehmen ermöglichen, bei der Einführung gemeinwohlorientierter Regulierung vor privaten Schiedsgerichten gegen den Staat zu klagen, sondern auch die geplante „regulatorische Kooperation“. Dieser Mechanismus soll Regulierungsvorhaben der Vertragsstaaten  schon im Vorfeld  zwischen den Regulierungsbehörden diesseits und jenseits des Atlantiks – natürlich unter Beteiligung der Industrielobby – abstimmen. Angesichts des übermäßigen  Einflusses organsierter Wirtschaftsinteressen auf EU- Regulierungsmaßnahmen  bedeutet dies eine völkerrechtlich abgesicherte Fortsetzung der Politik gegen Bürger und Verbraucher.

Es geht beim TTIP also nicht um Blinker. Es geht darum, die in den Augen der Industrie problematischsten nicht-tarifären Handelshemmnisse aus dem Wege zu räumen: die Verbraucherrechte und eine demokratisch legitimierte Normsetzung durch Parlamente.

(Dieser Text ist als Gastbeitrag am 30. September 2014 in der FAZ erschienen.)