Appell an FDP: Mehr als 60 Organisationen fordern Kinderschutz vor Junkfood-Werbung
Die FDP blockiert das Gesetz, mit dem Bundesernährungsminister Cem Özdemir Werbung für ungesunde Lebensmittel beschränken will. Ein breites Bündnis übt in einem offenen Brief deutliche Kritik.
Mehr als 60 Organisationen haben an FDP-Parteichef Christian Lindner appelliert, den Weg frei zu machen für die von Ernährungsminister Cem Özdemir geplanten Werbeschranken für Lebensmittel mit einem hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt. Umfassende Regeln für Junkfood-Marketing seien ein wichtiges Instrument zur Förderung einer gesunden Ernährung bei Kindern, schreibt das Bündnis in einem offenen Brief an die Parteispitze. Die Liberalen stellten sich gegen den einhelligen Konsens in der Wissenschaft und unter Fachorganisationenunter, wenn sie den von Cem Özdemir vorgelegten Gesetzesentwurf weiter ablehnten. Den offenen Brief mitgezeichnet haben unter anderem foodwatch, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der AOK-Bundesverband, die Deutsche Adipositasgesellschaft und das Deutsche Kinderhilfswerk.
Fehlernährung bei Kindern mit fatalen Folgen
Kinder essen mehr als doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Den letzten repräsentativen Messungen zufolge sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.
TV- und Online-Werbung vor allem für Ungesundes
Eine wichtige Rolle spielt der Medienkonsum von Kindern. Laut einer Studie der Universität Hamburg sehen mediennutzende Kinder zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet ungesunde Lebensmittel wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie in Deutschland hat 2022 knapp eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben. Um Fehlernährung bei Kindern zu bekämpfen, empfahl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst kürzlich, Junkfood-Werbung gesetzlich einzuschränken.
FDP blockiert Özdemirs Pläne
Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat nun reagiert und ein Gesetz vorgeschlagen, das Kinder vor dieser Werbeflut für Ungesundes schützen soll. So sollen Influencer:innen nur noch für ausgewogene Produkte werben dürfen. In TV, Radio und Streamingdiensten soll Junkfood-Werbung zu bestimmten Zeiten untersagt sein. Auch soll es eine Bannmeile für Plakatwerbung um Schulen und Spielplätzen geben.
Gerade in der abendlichen Primetime überschüttet die Lebensmittelindustrie Kinder mit Junkfood-Werbung – genau hier müssen die Werbeschranken greifen, sonst ist nichts gewonnen.foodwatch
Die FDP läuft gegen die Pläne von Minister Özdemir Sturm. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki ärgerte sich etwa in der Bild-Zeitung über Özdemirs „persönliche Verbotsfantasien“, sein Parteifreund Gero Hocker bezeichnete die Pläne als „Quark-Quatsch des Ministers“. Man wolle nicht „in den Kühlschrank der Bürger hineinregieren“. Werbebeschränkungen würden sogar in den „Erziehungsauftrag der Eltern eingreifen“. Die FDP-geführten Ministerien blockieren seit Monaten das im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben in der Ressortabstimmung.
Werbeschranken stärken die Souveränität von Familien
Das zivilgesellschaftliche Bündnis stellt hingegen klar: Die Pläne von Özdemir seien weder eine Beschneidung der persönlichen Freiheit noch staatliche Bevormundung. Vielmehr beeinflusse Werbung für unausgewogene Produkte „nachweislich die Präferenzen, das Kaufverhalten und das Essverhalten von Kindern in negativer Weise“, schreiben die Organisationen in dem offenen Brief. „Wenn Kinder und Jugendliche – in Folge einer Regulierung – weniger Werbung für ungesunde Lebensmittel ausgesetzt werden, stärkt das die souveräne und freie Entscheidung der Familien über die Ernährungsweise ihrer Kinder“, so das Bündnis.
FDP blockiert auch Kompromissvorschlag
Mit ihrer Blockade haben die Liberalen dem Ernährungsminister bereits Zugeständnisse abgerungen: Eigentlich hatte Özdemir geplant, die Werbung für unausgewogene Lebensmittel im TV und Hörfunk tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr grundsätzlich zu untersagen. Auf Druck der FDP beschränkt sich die Regelung nun wochentags nur noch auf die Abendstunden, wenn besonders viele Kinder Medien nutzen. Auch für Plakatwerbung soll es nun lediglich eine 100-Meter-Bannmeile um Kitas und Schulen, nicht aber um Spielplätze und Freizeiteinrichtungen geben. Die FDP will jedoch auch den Kompromissvorschlag Özdemirs nicht unterstützen.
Die Blockadehaltung der FDP beim Kinderschutz wirft kein gutes Licht auf die Partei und steht im Widerspruch zum liberalen Leitbild der Chancengerechtigkeit.Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)
Den offenen Brief an die FDP-Parteispitze unterzeichneten:
- AOK-Bundesverband
- Aktion gegen den Hunger
- Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der DAG
- Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO)
- Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung (BLUE 21)
- Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
- Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP)
- Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunale Kinderinteressenvertretungen (BAG Kinderinteressen)
- Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKi)
- Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe (bbt)
- Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd)
- Bundeszahnärztekammer (BZÄK)
- D•A•CH-Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG)
- Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)
- Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
- Deutsche Diabetes Stiftung (DDS)
- Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe)
- Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi)
- Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
- Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
- Deutsche Gesellschaft für Hauswirtschaft (dgh)
- Deusche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
- Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS)
- Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)
- Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP)
- Deutsche Krebshilfe
- Deutsche Liga für das Kind
- Deutsche Umwelthilfe (DUH)
- Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
- Deutsches Kinderhilfswerk (DKHW)
- Deutsches Netzwerk Schulverpflegung (DNSV)
- Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF)
- Deutscher Frauenring (DFR)
- diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe
- Die Freien Bäcker
- FIAN Deutschland
- foodwatch Deutschland
- Forum Ökologie & Papier
- Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE)
- Institut für Urban Public Health, Universitätsklinikum Essen
- Institut für Welternährung
- Internationaler Bund (IB)
- Jugend der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG-Jugend)
- Katholische Erziehergemeinschaft (KEG) Deutschlands
- Kompetenznetz Adipositas
- National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
- PAN International - Physicians Association for Nutrition
- Sarah Wiener Stiftung
- Slow Food Deutschland
- Spielmobile – Bundesarbeitsgemeinschaft der mobilen kulturellen Projekte
- Stiftung Bildung
- Stiftung Kindergesundheit
- Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD)
- Verband der Diätassistenten (VDD)
- Verband Wohneigentum (VWE)
- VerbraucherService Bundesverband im Katholischen Deutschen Frauenbund
- Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)
- WWF Deutschland
- Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention – ZEP, Krankenhaus Barmherzige Brüder München