Um Fehlernährung bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken, muss die Ampel-Koalition die Werbung für Zuckerbomben und fettige Snacks umfassend beschränken, verlangen rund 40 Organisationen in einem offenen Brief. Mitunterzeichner ist TV-Koch Jamie Oliver, der in Großbritannien bereits ein solches Gesetz erkämpft hat.
Werbung beeinflusst „nachweislich die Präferenzen und das Essverhalten“ junger Menschen, heißt es in dem offenen Brief an die Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und FDP, den knapp 40 medizinische Fachgesellschaften, Forschungseinrichtungen, Elternverbände, Verbraucherschutz- und Kinderrechtsorganisationen sowie Krankenkassen und Ernährungsorganisationen unterzeichnet haben. Auch foodwatch ist dabei. Werbebeschränkungen sind ein „wichtiger Schritt, um Familien dabei zu unterstützen, Kindern eine gesunde Ernährungsweise beizubringen“, bekräftigt das Bündnis.
Laut einer Studie der Universität Hamburg sieht jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie hat 2021 über eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor.
Mehr Übergewicht bei Kindern seit Corona
Kinder essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Während der Corona-Pandemie hat sich Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen weiter ausgebtreitet. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen. Fehlernährung ist damit etwa genauso tödlich wie das Rauchen.
Täglich bombardiert die Lebensmittelindustrie unsere Kinder mit Werbung für Süßigkeiten und fettige Snacks. Um sie vor den Marketing-Tricks zu schützen, haben wir in Großbritannien weitreichende Werbeschranken erkämpft. Wenn Deutschland einen ähnlichen Weg beschreitet, dann wäre das ein Meilenstein.
In Großbritannien soll ab 2024 eine umfassende Werbebeschränkung in Kraft treten. Im Internet soll Werbung für Ungesundes komplett untersagt und im TV ausschließlich nachts ausgestrahlt werden dürfen. Jamie Oliver hatte sich gemeinsam mit Ärzteverbänden und Elternorganisationen jahrelang für ein solches Gesetz stark gemacht – mit Erfolg.
„Werbebeschränkung light“ würde Ziel verfehlen
Auch die Ampel-Parteien in Deutschland hatten im Koalitionsvertrag angekündigt, gegen Junkfood-Werbung vorzugehen. Das Bundesernährungsministerium dürfte schon in Kürze einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis pocht auf eine „umfassende Regelung“. Eine „Werbebeschränkung light“, die lediglich klassische Kindersendungen adressiert, würde „ihr Ziel verfehlen“. Das Gesetz muss Junkfood-Werbung in TV, Radio und Streamingdiensten tagsüber von 6 bis 23 Uhr untersagen. Influencer:innen sollen ausschließlich Werbung für gesunde Lebensmittel machen dürfen. Für Plakatwerbung soll eine 100-Meter-Bannmeile im Umkreis von Kitas, Schulen und Spielplätzen gelten. Als Grundlage, welche Lebensmittel als ungesund gelten, müssen die Nährwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dienen.
Den offenen Brief an die Ampel-Koalition unterzeichneten:
- AOK Bundesverband
- Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
- Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKI)
- Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd)
- Bundeszahnärztekammer (BZÄK)
- Bundeselternrat (BER)
- Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG)
- Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)
- Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG)
- Deutsche Diabetes Stiftung (DDS)
- Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
- Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP)
- Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP)
- Deutsche Herzstiftung
- Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ)
- Deutsches Kinderhilfswerk (DKHW)
- Deutsches Netzwerk Schulverpflegung (DNSV)
- diabetesDE - Deutsche Diabetes-Hilfe
- FIAN Deutschland
- foodwatch Deutschland
- Gütegemeinschaft Ernährungs-Kompetenz (GEK)
- Institut für Urban Public Health, Universitätsklinikum Essen
- Institut für Welternährung
- Jamie Oliver
- Kompetenznetz Adipositas
- Physicians Association for Nutrition (PAN)
- Slow Food Deutschland
- Stiftung Bildung
- Sarah Wiener Stiftung
- Stiftung Deutsche Krebshilfe
- Stiftung Kindergesundheit
- Techniker Krankenkasse
- Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD)
- Verband der Diätassistenten (VDD)
- Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)
- WWF Deutschland
Mit Kinderärzt:innen gegen Junkfood-Werbung!
Über 300 Kinderärzt:innen haben daher bereits einen Appell an Ernährungsminister Cem Özdemir unterzeichnet. Schließen Sie sich an! Gemeinsam fordern wir: Noch dieses Jahr muss er ein wirkungsvolles Gesetz gegen Kindermarketing ohne Schlupflöcher für die Junkfood-Industrie auf den Weg bringen.
Quellen und weiterführende Informationen:
- Offener Brief an Spitzen der Ampel-Koalition: „Werbeschranken für Ungesundes – Kinder umfassend schützen!“
- Studie der Uni Hamburg zum Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel im TV & Internet
- Statista/Nielsen (2022): Entwicklung der Bruttowerbeaufwendungen für Süßwaren in Deutschland in den Jahren 2017 bis 2021
- OECD 2021: Länderprofil Gesundheit, u.a. zu Todesfällen aufgrund schlechter Ernährung
- vzbv-Befragung Eltern und Großeltern zu Lebensmittel mit Kinderoptik (2020)