Report „Handel um jeden Preis?“
Die Europäische Union verhandelt derzeit eine Reihe neuer Freihandelsabkommen, die negative Folgen für Verbraucherrechte, Umweltstandards und demokratische Prinzipien hätten. Das ist das Ergebnis eines gemeinsamen Reports der Organisation PowerShift und foodwatch. Sonderklagerechte für Konzerne, Handelsausschüsse ohne ausreichende demokratische Kontrolle oder eine Aufweichung des Vorsorgeprinzips – die geplanten EU-Abkommen enthalten ähnlich kritische Vorhaben wie das auf Eis gelegte TTIP-Abkommen mit den USA oder das vorläufig in Kraft getretene CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada.
Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, nicht einmal alle Verhandlungsmandate sind öffentlich einsehbar. foodwatch fordert den sofortigen Stopp der Verhandlungen und eine Neuausrichtung der europäischen Handelspolitik. Es besteht die Gefahr das Standards des Umwelt- und Verbraucherschutzes abgesenkt oder auf niedrigem Niveau festgeschrieben werden.
Der heute veröffentlichte Report „Handel um jeden Preis?“ wurde im Auftrag von foodwatch von der Organisation PowerShift erstellt und nimmt fünf EU-Handelsabkommen in den Blick, die bisher kaum öffentliche Beachtung fanden: mit Japan, Vietnam, Indonesien und Mexiko sowie mit dem Verbund der südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay (Mercosur). Zum Teil sind die Verhandlungen bereits weit fortgeschritten, andere stehen noch ganz am Anfang. Besonders alarmierend: Viele Aspekte, die bereits bei TTIP und CETA für Kritik sorgten, sind auch in den neuen Verträgen nahezu identisch enthalten.
Nachsorge statt Vorsorgeprinzip
Keines der Abkommen sichert das europäische Vorsorgeprinzip ab, es soll stattdessen der „nachsorgende Ansatz“ der Welthandelsorganisation (WTO) gelten. Dieser besagt, vereinfacht ausgedrückt, dass eine Substanz solange zugelassen ist, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen ist. Das Vorsorgeprinzip sieht das umgekehrt vor: Ein Unternehmen muss die Unschädlichkeit wissenschaftlich nachweisen – etwa bei der Zulassung von Chemikalien. Bei eventuellen Risiken müssen die europäischen Regierungen vorsorgend aktiv werden, wenn es begründete Bedenken gibt.
Außerdem werden durch die Abkommen Ausschüsse gebildet, die weitreichende Veränderungen festlegen dürfen – ohne eine ausreichende demokratische Kontrolle durch Parlamente. Ähnliche Mechanismen im CETA-Abkommen sind Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde in Deutschland.
Klagerecht für Konzerne und Absenkung von Verbraucherschutz-Standards
In den Verträgen mit Vietnam, Indonesien und Mexiko sind umfassende Investor-Staat-Klagerechte geplant – eine Art Paralleljustiz, über die Konzerne in Zukunft Staaten wegen politischer Regulierungsmaßnahmen verklagen könnten. Bei allen geplanten Abkommen steht nicht nur der Abbau von Schutzzöllen und Marktöffnungen für Unternehmen im Mittelpunkt. Es sind vielmehr Freihandelsabkommen einer „neuen Generation“, ähnlich wie TTIP und CETA. Sie sehen auch die Beseitigung sogenannter nicht-tarifärer Handelshemnisse vor. Dazu zählen zum Beispiel Regulierungen im Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz. Bestehende Standards könnten durch die Verträge gesenkt oder vertraglich festgeschrieben werden, so dass sie künftig nicht mehr von einem der Handelspartner verschärft bzw. verbessert werden könnten.
Umweltschädliche Fleisch- und Palmölimporte
Bereits jetzt lassen sich konkrete Punkte nenne, welche negativen Auswirkungen die Handelsverträge haben könnten. Drei Beispiele:
· Fleischimporte / Südamerika: Ein Freihandelsabkommen mit dem Staatenverbund Mercosur würde den europäischen Markt für Agrarprodukte aus Südamerika weiter öffnen. Fleischproduzenten etwa aus Brasilien, die enorm kostengünstig große Mengen produzieren, könnten ihre Exporte und Produktion deutlich steigern – mit fatalen Folgen für die Umwelt: In Brasilien findet ein Großteil der Nutztierhaltung auf gerodeten Regenwaldflächen statt.
· Pestizide / Japan: In Japan werden deutlich mehr Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt als in der Europäischen Union. Kommt es zu einem Freihandelsvertrag, könnten Import-Lebensmittel mit erhöhten Pestizidrückständen in Europa auf den Markt kommen. Das eigentlich im EU-Recht verankerte Vorsorgeprinzip würde so faktisch ausgehebelt.
Palmöl-Anbau / Indonesien: Indonesien ist der weltgrößte Produzent von Palmöl. Rund 10 Prozent der Exporte gehen in die EU – für Lebensmittel, Kosmetika oder Biodiesel. Das Land erhofft sich durch den Wegfall von Handelsschranken einen weiteren Anstieg der Exporte nach Europa. Die Anbauflächen könnten weiter wachsen – was zu deutlich höheren Treibausgas-Emissionen führen würde. Denn neue Palmölplantagen entstehen oft durch das Abbrennen von Torfböden. Die EU setzt sich zwar offiziell für einen nachhaltigen Palmöl-Anbau ein – allerdings nur mit freiwilligen Initiativen. Die deutsche Bundesregierung hat vorgeschlagen, einen umweltgerechteren Anbau unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten zur Bedingung für den Abbau von Handelsbeschränkungen zu machen. Die EU-Kommission hat die damit einhergehende Möglichkeit von Sanktionen jedoch bisher stets abgelehnt. Aktuell liegt ein Entwurf für ein Nachhaltigkeitskapitel in dem Indonesien-Abkommen vor – der ebenfalls keine sanktionsbewehrten Maßnahmen vorsieht.