Seit September letzten Jahres rufen immer mehr Unternehmen Produkte wegen Verunreinigungen mit dem krebserregenden und verbotenen Schadstoff Ethylenoxid zurück. Doch werden wirkliche alle belasteten Lebensmittel vom Markt genommen?
Erstmals am 9. September 2020 meldete Belgien über das europäische Schnellwarnsystem RASFF, dass Sesamsamen aus Indien mit Ethylenoxid belastet sind. Während in etlichen Staaten außerhalb der EU Ethylenoxid zur Bekämpfung von Pilzen und Bakterien eingesetzt wird, ist es in der Lebensmittelproduktion der EU verboten. Auch Rückstände in den Lebensmitteln verstoßen gegen europäisches Lebensmittelrecht.
Der Grund: Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist Ethylenoxid krebserzeugend und erbgutschädigend. Zwar gilt „bei einem mittleren Verzehr über längere Zeit überschreiten weder Kinder noch Erwachsene die Aufnahmemenge geringer Besorgnis“. Jedoch seien Rückstände in Lebensmitteln grundsätzlich „unerwünscht“. Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gebe es nicht.
1.800 Rückrufe in Frankreich, 54 in Deutschland
Seit der belgischen Lebensmittelwarnung wurden in Frankreich mehr als 1.800 Produkte zurückgerufen – neben sesamhaltigen Produkten auch Schalotten, Pfeffer und das in vielen verarbeiten Produkten enthaltene Guarkernmehl. Betroffen waren auch Zucker für Konfitüren und fast alle industriellen Eiscremes, die einen Zusatzstoff auf der Basis von verunreinigtem Johannisbrotmehl aus der Türkei enthalten. In anderen Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, gab es hingegen weniger Rückrufe. In Deutschland wurden gemäß Angaben des staatlichen Portals lebensmittelwarnung.de nur insgesamt 54 Produkte öffentlich zurückgerufen.
Will die EU Rückruf-Vorgaben aufweichen?
Am morgigen Dienstag nun wollen sich die EU-Mitgliedsstaaten mit der Europäischen Kommission auf ein einhetliches Vorgehen gegenüber Ethylenoxid verständigen. Nach vertraulichen Informationen von foodwatch erwägt die Kommission in dieser Sitzung eine EU-weite Verständigung herbeizuführen, wonach künftig bestimmte mit Ethylenoxid belastete Produkte auf dem Markt bleiben könnten. Dies soll Lebensmittel betreffen, bei denen Ethylenoxid in einzelnen Zutaten enthalten ist, im Endprodukt jedoch die Nachweisgrenze nicht überschritten wurde. Aus Sicht von foodwatch absolut inakzeptabel!
Wenn die EU etlichen Herstellern einen Freifahrtschein erteilt, mit krebserregenden Substanzen verunreinigte Produkte zu importieren und in der EU zu vermarkten, gefährdet sie unnötig die Gesundheit von Millionen von Europäer*innen!foodwatch
Appell an Julia Klöckner
foodwatch hat Bundesernährungsministerin Julia Klöckner nun aufgefordert, sich bei der EU für ein konsequentes Vorgehen gegen Ethylenoxid stark zu machen. Die Bundesregierung darf keinesfalls akzeptieren, dass Lebensmittel verkauft werden, die mit einer krebserregenden Substanz kontaminiert sind. Frau Klöckner muss sich dafür stark machen, dass solche Produkte „in der gesamten EU als nicht sicher und damit nicht für den menschlichen Verzehr geeignet eingestuft werden und bleiben“, schrieb foodwatch in einem Brief an die Ministerin.
Informationen niederländischer Behörden legen nahe, dass mit Ethylenoxid belastete Import-Produkte bereits seit 2016 auf dem Markt sind. Die Bevölkerung könnte daher einer insgesamt höheren Menge an Ethylenoxid ausgesetzt sein als bisher vermutet.