Ein Kommentar von foodwatch-Geschäftsführer Dr. Chris Methmann.
Mit einem Report macht foodwatch auf den Pestizid-Einsatz im Getreideanbau aufmerksam. Die Agrarindustrie wirft foodwatch daraufhin „Panikmache“ vor, verschweigt zugleich aber die fatalen Folgen von Pestiziden für Umwelt und Artenvielfalt.
Es ist ein bekanntes Muster: Sobald Nichtregierungsorganisationen wie foodwatch den intensiven Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft kritisieren, bringt sich umgehend die Agrarindustrie um Bayer, Syngenta & Co. in Stellung. Doch statt zu den fatalen Folgen des Pestizideinsatzes für Umwelt und Artenvielfalt und der Mitverantwortung der Chemiekonzerne konstruktiv Stellung zu beziehen, säen die Unternehmen Zweifel an der Seriosität der NGOs. So auch unmittelbar nach der Veröffentlichung des foodwatch-Reports zum Pestizideinsatz im Getreideanbau. „Panikmache“, „nicht vertrauenswürdig“, „unsachlich“ – diese wenig überraschenden Vorwürfe kamen nicht nur von Martin Courbier, dem Geschäftsführer des Verbands „Der Agrarhandel“ bei Table Media, sondern auch zum Beispiel bei Twitter von Vertretern der Agrarindustrie wie Bayer. Also von denen, die mit Ackergiften ihr Geld verdienen.
Schauen wir uns die Fakten aus dem foodwatch-Report an: Jedes dritte Getreideprodukt in der EU ist mit Rückständen von Pestiziden belastet. Diese Zahl stammt aus der Datenbank der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA. Für alle nachvollziehbar veröffentlicht und per Download nachzulesen. foodwatch hat dabei stets deutlich gemacht, dass nur bei wenigen der belasteten Proben die Höchstmengen überschritten werden. Wer jetzt jedoch – wie Bayer und Konsorten – beschwichtigt und die Kritik von foodwatch als übertrieben abtut, verschweigt zwei entscheidende Aspekte:
Erstens werden bei der Festlegung der Grenzwerte die Wechselwirkung verschiedener Pestizide nicht berücksichtigt. Dieser „Cocktail-Effekt“ ist seit Jahren Gegenstand Debatten. Auch das Umweltbundesamt äußert im Zusammenhang mit dem Fund zahlreicher Pestizidrückstände im Urin von Kindern und Jugendlichen die Sorge, dass sich die Effekte von Stoffen mit ähnlichen Wirkmechanismen addieren können, „so dass in Summe eine kritische Belastung erreicht werden kann“.
Zweitens machen die Rückstandsdaten ein noch drängenderes Problem deutlich: Der Einsatz von Pestiziden im Getreideanbau ist allgegenwärtig und gefährdet die Artenvielfalt, das Grundwasser und die Bodenqualität. Nicht ohne Grund warnt die EU-Kommission, dass ohne die Reduktion des Pestizideinsatzes die Ernährungssicherheit bedroht sei.
Pestizidausstieg wäre günstig und leicht umzusetzen
Der Getreideanbau ist für rund die Hälfte aller Pestizidanwendungen in Europa verantwortlich. Gleichzeitig wäre es bei Getreide relativ schnell und einfach möglich, auf die Ackergifte zu verzichten. Das wäre ein Riesenschritt! Denn seit Jahren diskutiert die Politik über eine Pestizidreduktion – aber es passiert nichts. Vielmehr werden heute mehr Pestizide verspritzt als in den 1990er Jahren.
Agrarindustrie schürt Angst vor Lebensmittelknappheit
Statt über die Chancen einer pestizidfreien Landwirtschaft zu sprechen, betreibt die Industrie Panikmache und schürt Angst vor Lebensmittelknappheit. Wir erinnern uns: Bei der Diskussion um das Verbot von gefährlichen Neonicotinoiden warnte die Industrie vor Ertragsverlusten von bis zu 50 Prozent bei Mais. In den meisten EU-Ländern ist das nicht eingetreten. In Deutschland sind die Erträge laut Bundesamt für Statistik sogar gestiegen!
Vorbild Migros
Ein pestizidfreier Getreideanbau wird von vielen Landwirten längst praktiziert, etwa durch Fruchtfolgen, den Anbau von Zwischenfrüchten und den Einsatz robuster Getreidesorten. Für Verbraucher:innen wären pestizidfreies Brot und Co. - wenn überhaupt - nur wenige Cent teurer. Und Landwirte müssen für einen pestizidfreien Anbau belohnt werden. In der Schweiz zum Beispiel fördert die Handelskette Migros in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Vereinigung für integrierte Produktion (IP Suisse). Landwirte werden für den zusätzlichen Arbeitsaufwand beim Jäten durch Prämien und Direktzahlungen entschädigt.
Aldi, Rewe & Co. müssen handeln!
Die Supermärkte in Deutschland müssen nachziehen und ihre Marktmacht nutzen. Wenn Rewe, Aldi und Co. nur noch pestizidfreie Getreideprodukte in ihre Regale stellen, hätte das enorme Auswirkungen auf die Branche. Für Bayer, Syngenta und Co. würde ein riesiges Geschäftsfeld einbrechen. Für unsere Umwelt, die bedrohte Artenvielfalt, unsere Böden, unser Trinkwasser – sprich für unsere gesamte Lebensgrundlage – wäre es jedoch ein Segen!
Dieser Beitrag erschien am 20. Oktober erstmals bei Table.Media.