Geht es Tieren in Bio-Haltung besser?
Viele Menschen greifen im Supermarkt zu Fleisch, Joghurt, Käse und Co. aus Bio-Produktion. Weil sie sich eine bessere Tierhaltung erhoffen. Aber geht es Nutztieren in Öko-Haltung wirklich besser?
Andreas Winkler von foodwatch antwortet:
Tatsächlich: Nutztiere haben in Bio-Ställen zum Beispiel etwas mehr Platz und können ins Freie, schmerzhafte Eingriffe wie das Abschneiden der Ringelschwänze beim Schwein sind nicht erlaubt, Antibiotika dürfen nur im Notfall verabreicht werden und gentechnisch veränderte Futtermittel sind tabu. Das sind klare Vorteile gegenüber der konventionellen Massentierhaltung.
Doch führen die strengeren Standards auch dazu, dass Kühe, Schweine oder Hühner auf Bio-Höfen an weniger Krankheiten leiden? Um diese Frage zu beantworten, hat foodwatch gemeinsam mit Tiermediziner:innen systematisch wissenschaftliche Studien zur Nutztierhaltung ausgewertet. Mit klarem Ergebnis: In allen Haltungsstufen gibt es zum Teil gravierende Probleme mit Krankheiten, Verletzungen und Schmerzen. So zeigen Schlachthofbefunde beispielsweise, dass knapp 40 Prozent aller Schweine in konventioneller Haltung krankhafte Befunde wie Lungenentzündungen, offene Wunden oder Abszesse haben – in der Bio-Haltung sind es mit 35 Prozent laut einer Studie kaum weniger. Bis zu 39 Prozent aller Milchkühe leiden an schmerzhaften Erkrankungen der Klauen. Bei jeder zweiten Milchkuh in einem Bio-Stall wurden Euterentzündungen festgestellt.
Tiergesundheit ist keine Frage der Haltung
Auch in der Bio-Haltung heißen Kühe, Schweine und Hühner nicht ohne Grund „Nutztiere“ – sie sollen möglichst viel Fleisch, Milch und Eier „produzieren“. Das macht die Tiere häufig krank. Ein Beispiel: Auch für Bio-Eier werden Turbo-Hühnerrassen verwendet, die darauf hochgezüchtet wurden, bis zu 300 Eier im Jahr zu legen. Zum Vergleich: Die wildlebenden „Urhühner“ legen 20-30 Eier im Jahr. Die vielen Eier entziehen den Knochen das Kalzium, so dass den Hühnern unter ihrem eigenen Körpergewicht die Knochen brechen. Dänische Forscher:innen haben vor einigen Jahren 40 verschiedene Legebetriebe untersucht. Sie fanden bei etwa 85 Prozent der Hennen Knochenbrüche am Brustbein – und zwar in allen Haltungsstufen, sowohl bei Käfig- als auch bei Bio-Freilandhühnern.
Auch wenn es überraschen mag, ist es also wissenschaftlich klar erwiesen: Kranke und verletzte Tiere gibt es auf kleinen Bio-Höfen genauso wie in großen Tierfabriken. Denn ob Hühner, Schweine oder Kühe gesund sind, hängt nicht einfach davon ab, ob der Stall ein paar Zentimeter größer ist oder Stroh auf dem Boden liegt. Sondern ganz entscheidend auch vom Stallmanagement der Landwirt:innen. Die Haltung von Nutztieren ist äußerst komplex und anspruchsvoll. Während viele Höfe das Gesundheitsmanagement gut im Griff haben, gibt es auf anderen immer wieder Probleme – unabhängig von der Haltungsform oder der Betriebsgröße.
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Bio kaufen als Lösung?
Was heißt das für uns Verbraucher:innen im Supermarkt? Sollten wir also lieber nicht mehr zu Bio greifen, weil doch eh alles gleich schlecht ist? Nein. Bio hat, wie oben beschrieben, durchaus klare Vorteile gegenüber der konventionellen Landwirtschaft. Aber ökologische Lebensmittel sind eben auch deutlich teurer als konventionelle. Nicht jede:r kann sich das leisten. Kein Wunder, dass Bio immer noch eine Nische ist. Bei Fleisch lag der Marktanteil 2022 bei nicht einmal vier Prozent.
Die Lösung kann aus Sicht von foodwatch also nicht lauten: Liebe Leute, kauft einfach mehr Bio! Sondern die Verantwortlichen in der Politik müssen strengere gesetzliche Vorgaben machen, damit es allen Tieren in allen Haltungsformen besser geht. Bisher gibt es noch nicht einmal gesetzliche Vorgaben für Tierhalter:innen, dass sie ihre Tiere gesund halten müssen – weder in der ökologischen noch in der konventionellen Haltung. Eigentlich unglaublich.
Die Politik muss handeln!
foodwatch fordert: Krankheiten und Verletzungen von Kühen, Schweinen und Hühnern müssen auf jedem Hof erfasst werden und die Ergebnisse in Form eines Gesundheitsindexes veröffentlicht werden. Betriebe mit guten Gesundheitsdaten müssen belohnt, solche die schlecht abschneiden entsprechend sanktioniert werden. Das würde jene Betriebe unterstützen, die schon jetzt alles für eine bessere Gesundheit ihrer Tiere tun. Ziel muss es sein, dass im Supermarkt-Regal nur noch Produkte liegen von Tieren, die nicht krank gemacht wurden.
Die Ampel-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag zwar versprochen, eine „Tiergesundheitsstrategie“ zu erarbeiten. Passiert ist bisher aber wenig. Wir von foodwatch bleiben an dem Thema daher auf jeden Fall dran!