Wie Minister Schmidt seinen „Ernährungsreport“ manipulierte
Bundesernährungsminister Christian Schmidt hat in seinem „Ernährungsreport 2016“ Umfrageergebnisse falsch dargestellt und ein manipulatives Bild der öffentlichen Meinung gezeichnet. foodwatch konnte die nicht-veröffentlichten Originaltabellen und -Fragestellungen des Meinungsforschungsinstituts Forsa einsehen, auf denen der Ernährungsreport basiert. Fazit: Ergebnisse wurden unterschlagen, sachlich falsche Angaben in den Fragestellungen gemacht, die Befragten mit suggestiven Formulierungen oder durch die Vorgabe von Antwortmöglichkeiten geleitet sowie für eine Grafik manipulativ-verzerrte Größenverhältnisse gewählt.
Auffällig oft dienen die Manipulationen des Ministeriums dem Politikverständnis von Minister Christian Schmidt, der in der Ernährungspolitik auf Aufklärung und freiwillige, gemeinsam mit den Unternehmen entwickelte Selbstverpflichtungen statt auf regulative Vorgaben für die Lebensmittelwirtschaft setzt. Der Ernährungsreport kommt damit nicht daher wie eine objektive Bestandsaufnahme, sondern eher wie ein interessengeleitetes Zerrbild, mit dem das Ministerium seine Politik der wirkungslosen freiwilligen Selbstverpflichtungen und windelwechen Aufklärungskampagnen rechtfertigt.
foodwatch liegen die Original-Tabellen vor
Bundesernährungsminister Christian Schmidt hatte den „Ernährungsreport 2016“ am 5. Januar in Form einer aufbereiteten Broschüre publik gemacht. Nicht veröffentlicht wurden jedoch die Umfragedaten und Fragestellungen im Original. Der entsprechende Tabellenband von Forsa liegt foodwatch mittlerweile vor.
Im Einzelnen kritisiert die Verbraucherorganisation:
- Unliebsame Umfrageergebnisse wurden nicht veröffentlicht: Aus den Forsa-Tabellen (Frage 18/Folie 145) geht hervor, dass 83 Prozent der Befragten eine klare Gentechnikkennzeichnung „sehr wichtig“ oder „wichtig“ wäre. Im Ernährungsreport wird dies mit keinem Wort erwähnt. Hintergrund: In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD ursprünglich auf eine bessere, verpflichtende Kennzeichnung von Agrargentechnik auch bei Tierprodukten verständigt – mittlerweile hat sich die Koalition davon aber verabschiedet.
- Manipulative Antwortauswahl: Zur Förderung gesunder Ernährung hat das Ministerium die Zustimmung zu drei Ansätzen abgefragt: kindgerechte Aufklärung/Ernährungsbildung, neutrale Informationen, Steuerpolitik. Bei diesen Optionen fehlt jedoch ausgerechnet der Ansatz, der von zahlreichen gesundheitspolitischen Fachverbänden und Verbraucherorganisationen gefordert wird: Eine Beschränkung von Werbe- und Marketingmaßnahmen für ungesunde Lebensmittel insbesondere für Kinder (Frage 25/Folie 187). Mehrere Umfragen in den vergangenen Jahren haben ergeben, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung eine solche Regulierung befürwortet.
- Suggestive Formulierungen: Beim selben Thema fragt das Ministerium auch nach der Akzeptanz steuerpolitischer Maßnahmen zur Förderung gesunder Ernährung. Die Formulierung dieser Option lautet: „Besteuerung ungesunder Lebensmittel, z.B. besonders fett- oder zuckerreicher Lebensmittel, sodass diese für den Verbraucher deutlich teurer werden“. Das ist deutlich wertend und suggestiv („deutlich teurer“) und zudem einseitig – weil die Möglichkeit weggelassen wird, dass im Gegenzug gesunde Lebensmittel steuerlich besser gestellt werden könnten, so dass es für die Verbraucher unter dem Strich nicht zu einer Verteuerung von Lebensmitteln insgesamt kommen müsste.
- Manipulative Wiedergabe der Ergebnisse: Obwohl also einschlägig diskutierte, regulative Optionen gar nicht und andere Regulierungsmaßnahmen nur suggestiv abgefragt wurden, behauptet das Ministerium im Ernährungsreport wahrheitswidrig, dass „Zwangsmaßnahmen“ von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt würden (S. 29). Auf seiner Internetseite behauptet das Ministerium, dass die „Mehrheit der Deutschen zwar staatliche Maßnahmen für besonders geeignet hält, um einer gesunden Ernährung den Weg zu ebnen, aber nicht in Form von Verboten und Gesetzen.“ Das ist manipulativ, denn eine Absage an Gesetzesänderungen lässt sich aus der Umfrage gerade nicht ableiten.
- Verzerrte Grafiken: Noch weiter verstärkt wird die Präferenz des Ministeriums für aufklärerische Maßnahmen in der grafischen Darstellung. So ist der Anteil der Befragten, die Ernährungsbildung befürworten, gut doppelt so groß wie der Anteil derer, die – selbst unter der suggestiven Fragestellung – eine höhere Besteuerung von ungesunden Lebensmitteln befürworten. In der Grafik im Ernährungsreport wird die Zustimmung zu mehr Ernährungsbildung jedoch mit einer fast fünf Mal größeren Kreisfläche dargestellt als der Zuspruch zu Steuererhöhungen (S. 28).
- Falsche Angaben: In einer Fragestellung zur Wichtigkeit von Herkunftsangaben wird behauptet, dass die Herkunft von Lebensmitteln bereits zu den „verbindlich gekennzeichneten Angaben“ gehört. Dies ist sachlich falsch: Bis auf einige Ausnahmen (wie unverarbeitetes Fleisch, Obst und Gemüse) muss auf den meisten verarbeiteten Produkten keine Angabe zur Herkunft gemacht werden. In anderen Umfragen war dies einer der dringlichsten Wünsche der Verbraucher für die Lebensmittelkennzeichnung. In der Fragestellung der BMEL-Umfrage wird weiter suggeriert, die in der Produktion eingesetzten Hilfsstoffe müssten verpflichtend gekennzeichnet werden – auch diese Angabe ist falsch, es besteht hier keine Kennzeichnungspflicht.
- Irreführende Schlussfolgerungen: Die Frage „Wie gut fühlen Sie sich alles in allem über die Lebensmittel, die Sie einkaufen und essen, informiert“ haben 13 Prozent der Befragten mit „sehr gut“, weitere 64 Prozent mit „gut“ beantwortet (Frage 12/Folie 101). Daraus leitet das Bundesernährungsministerium ab, dass Lebensmittelkennzeichnung aus Sicht der Verbraucher weitgehend funktioniert – wörtlich heißt es auf der Internetseite des Ministeriums: „Grundsätzlich sind sie mit den zur Verfügung stehenden Informationen beim Einkauf zufrieden“. Diese Folgerung ist jedoch irreführend. Denn gefragt wurde nicht nach einer Zufriedenheit mit den zur Verfügung stehenden Informationen. Hier kommen eine ganze Reihe von Umfragen – selbst die von der Ernährungswirtschaft beauftragten – zu ganz anderen Ergebnissen:
- 92,4 Prozent stimmen der Aussage „Es sollten mehr Informationen über Lebensmittel zur Verfügung stehen“ voll und ganz, eher oder teils/teils zu, ergab eine Studie der Universität Göttingen für den Lobbyverein „Die Lebensmittelwirtschaft“ (2014).
- Eine Umfrage von TNS Emnid für foodwatch kam zu folgenden Resultaten: 74 Prozent stimmen der Aussage (voll und ganz bzw. eher) zu: „Es ist schwierig, die Qualität von Lebensmitteln anhand der Verpackung richtig zu beurteilen.“ 68 Prozent machen sich häufig oder manchmal Sorgen darüber, dass wichtige Angaben zu den Inhaltsstoffen nicht oder nur versteckt auf der Verpackung stehen. Und 69 Prozent wünschen sich mehr Informationen über Lebensmittel direkt auf der Verpackung (2014).
- Gerade einmal 18,1 Prozent vertrauen den Angaben der Hersteller über die Qualität von Lebensmitteln, ermittelte 2011 die GfK im Auftrag der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie BVE.
Ganz offensichtlich antworten die Menschen also wohlwollender, wenn nach dem Maß ihrer Informiertheit gefragt wird und nicht nach dem Bedürfnis an Informationen – irreführend ist es aber, daraus absolut abzuleiten, dass die Menschen mit den zur Verfügung stehenden Angaben zufrieden seien.